Licht ins Dunkel

21.12.2009
Seit über 100 Jahren macht der Mensch die Nacht zum Tage - mit weitreichenden Folgen für das Ökosystem und den Biorhythmus von Mensch und Tier. "Das Ende der Nacht" zeigt, auf welchen Gebieten die zunehmende Ausleuchtung der Welt ungeahnte Schäden anrichtet.
Die Astronomen haben es zuerst bemerkt. Große Observatorien, die in der Nähe von Paris, London oder Wien gebaut wurden, verzeichneten mit der zunehmenden Elektrifizierung und dem Ausbau der Straßenbeleuchtung Anfang des 20. Jahrhunderts massive Einbußen an sichtbaren Sternen. Die Lichtglocke der Großstädte störte ihre Beobachtungen. Heute erkennt man in kaum einer Stadt noch das Band der Milchstraße am Nachthimmel. Seither flüchten die empfindlichsten Sternwarten auf hohe Berggipfel und in abgelegene Ödnisse.

Wenn es nur um die Astronomen ginge, wäre das zwar ärgerlich, aber immerhin nicht weiter schädlich. Dass die global immer weiter zunehmende Lichtverschmutzung jedoch eine ganze weitere Kaskade von unerwarteten Folgeschäden mit sich bringt, das erläutern die zwölf Autoren von "Das Ende der Nacht" in sieben reichlich illustrierten Artikeln zu unterschiedlichen Schwerpunkten.

Beispiel Insekten: Das Licht in der Nacht bringt den Rhythmus vieler nachtaktiver Tierarten durcheinander. Straßenlaternen haben auf viele Falter in der Umgebung einen beängstigenden "Leerfangeffekt". Die Tiere, die sich sonst an entfernten Lichtquellen wie dem Mond orientieren, werden von der künstlichen Beleuchtung angelockt und umkreisen sie nicht selten bis zur völligen Erschöpfung. 1950 wurden an einem Standort mit einer Lichtfalle noch 50.000 Insekten in einer einzigen Nacht gefangen. 2008 waren es in Düsseldorf im Schnitt weniger als drei pro Nacht. Diese Falter fehlen als Nahrungsquelle für Vögel und zur Bestäubung vieler Pflanzen. Folgen für die Artenvielfalt sind unausweichlich.

Auch Zugvögel, Meeresschildkröten und selbst Fische, Korallen, Krebse oder Algen sind von falschem Licht am falschen Ort zur falschen Zeit betroffen. Sie sterben zu Tausenden oder werden empfindlich in ihrer Fortpflanzung gestört.

Das Buch des Astronomen Thomas Posch und der Autoren Anja Freyhoff und Thomas Uhlmann, das auf ihrer Fernsehdokumentation "The Dark Side of Light" beruht, macht die bekannten Zusammenhänge auf verschiedenen Gebieten nüchtern, aber mit eindrucksvollem Bildmaterial deutlich. Die Auswirkungen von Lichtdauer, Lichtfarbe und Lichtintensität auf Menschen und andere Lebewesen sind bis jetzt nur unzureichend untersucht. Klar wird, dass auch der menschliche Biorhythmus empfindlich auf Eingriffe in den natürlichen Tag-Nacht-Wechsel reagiert. Zu viel Licht unterdrückt die Bildung von Melatonin im Körper, das normalerweise nachts gebildet wird. Ein nachgewiesenes erhöhtes Krebsrisiko für Nachtarbeiter könnte damit zusammenhängen.

"Das Ende der Nacht" ist nicht nur ein opulentes Bilderbuch, es ist auch ein Plädoyer, nicht gegen die eigene innere Uhr zu leben. Unfreiwillig macht es dennoch deutlich, dass man selten genug Licht haben kann. Die mal weiße und mal schwarze Schrift auf unterschiedlich eingefärbten Hintergründen macht die Lektüre des Textes manchmal etwas anstrengend – besonders bei zu wenig Licht. Dabei fordern die fundierten und mit wissenschaftlichen Literaturhinweisen ergänzten Kapitel implizit vor allem eines: ein Grundrecht auf Dunkelheit. Und werfen damit metaphorisch ein Licht auf die dunkle Seite des Lichts.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Thomas Posch, Anja Freyhoff und Thomas Uhlmann (Hrsg.): Das Ende der Nacht - Die globale Lichtverschmutzung und ihre Folgen
Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2010
151 Seiten, 29 Euro