Leichtathletin Samia Yusuf Omar

Der Traum von Olympia

Die somalische Leichtathletin Samia Yusuf Omar
Die somalische Leichtathletin Samia Yusuf Omar während der Olympischen Spiele im August 2008 in Peking. © picture alliance / dpa / Foto: Kerim Okten
Von Jutta Heeß · 03.05.2015
Beim 200-Meter-Vorlauf in Peking 2008 wurde sie Letzte: die Somalierin Samia Yusuf Omar. Den Traum, erneut an Olympia teilzunehmen, gab sie aber nicht auf. Sie entschied sich zur Flucht aus Somalia und ertrank im Mittelmeer. Eine Graphic Novel erzählt diese Geschichte.
"Ich möchte wieder trainieren. Ich denke dauernd an Peking zurück. Wo ich auch war, konnte ich das olympische Feuer sehen. Es war wie der Mond."

Samia Yusuf Omar träumte von ihren zweiten Olympischen Spielen. Dabei sein wäre für sie alles gewesen – am Ende bezahlte sie ihren Traum mit dem Leben.

Der Berliner Comic-Zeichner Reinhard Kleist hat das Schicksal der somalischen Leichtathletin in der Graphic Novel "Der Traum von Olympia" nacherzählt. Er traf hierzu Samia Omars Schwester, der die Flucht nach Helsinki geglückt war. Gemeinsam mit ihr rekonstruierte er das Leben der Sportlerin. Nach ihrer ersten Olympia-Teilnahme in Peking wollte Samia Omar unbedingt weiter trainieren, um an den nächsten Spielen in London teilzunehmen.
"Samias Schwester hat sehr viel erzählt über das Leben in Mogadishu, wie schwierig es war, für ihre Schwester in Mogadishu zu trainieren, weil für Frauen ist Sport nicht gerne gesehen, besonders von diesen islamistischen Milizen, sie wurde sehr oft angefeindet, sie wurde auch beschimpft, weil sie in der Fernsehübertragung von dem Lauf in Peking, da hatte sie kein Kopftuch an. Und die einzige Trainingsmöglichkeit war in einem ausgebombten Stadion in Mogadishu, wo sie ihre Runden gedreht hat."
Flucht nach Äthiopien
Islamistische Extremisten bedrohten Samia Omar und ihre Familie gezielt, ihr Vater wurde ermordet. Sie floh zuerst nach Äthiopien, in der Hoffnung mit den Leichtathleten dort trainieren zu können. Doch als dieser Plan scheiterte, beschloss sie gemeinsam mit ihrer Tante den gefährlichen Weg nach Europa zu beschreiten.

"Der Sport bedeutete in erster Linie die Erfüllung ihres Traums, sie wollte Profi-Sportlerin werden, aber auch eine Möglichkeit ihre Familie zu unterstützen, die sehr arm ist und es war halt auch so ein Traum, den sie aus Peking mitgebracht hatte. Sie hatte in einem Interview gesagt, dass sie es gerne möchte, dass die Leute ihr wieder applaudieren, aber nicht weil sie es überhaupt ins Ziel geschafft hat, sondern weil sie Erste geworden ist. Sie hatte wirklich den absoluten Willen und Traum gehabt, und sie war auch verdammt gut, ne Profi-Sportlerin zu werden."

Reinhard Kleist erzählt die Geschichte Samia Omars in einer bemerkenswerten Weise. Sein ausdrucksstarkes Schwarz-Weiß, sein reduzierter, aber lebhafter Strich bringen dem Leser die Ereignisse sehr nahe. Zudem ergänzt er Facebook-Einträge von Samia Yusuf Omar, die zwar frei erfunden sind, die jedoch ihre Odyssee glaubhaft nachzeichnen. Kleist hat mit Flüchtlingen gesprochen, denen die Flucht über denselben Weg geglückt ist und ihre Erfahrungen eingearbeitet.

"Liebe Schwester, ich warte seit Wochen auf das Boot, das mich nach Europa bringt. Aber ich bin voller Zuversicht. Was meinst du, wo ich am besten trainieren kann?"
Eine unerbittliche Flüchtlingsgeschichte
Das Schicksal Omars ist eine unerbittliche Flüchtlingsgeschichte, eine von dramatischer Aktualität. Das hält die Graphic Novel von Reinhard Kleist eindrücklich fest. Sie zeigt deutlich am Beispiel einer jungen Frau, deren Leben in ihrer Heimat bedroht ist, wie schwierig es ist, einen Ausweg zu finden, sich mit Behörden rumzuschlagen, Geld aufzutreiben, wie unmenschlich und gnadenlos Schlepperbanden arbeiten. Und wie nahezu unmöglich es ist, überhaupt auf dem Landweg zum Meer zu überleben, um dann eine Überfahrt in einem Boot anzutreten, das beim bloßen Hinschauen zu sinken droht.

Das Schicksal Omars ist aber zugleich eine tragische Sportgeschichte, denn weder nationale noch internationale Sportverbände leisteten der Athletin Hilfe. Schon bei ihrer Olympia-Teilnahme in Peking hätten die Verbände auf sie aufmerksam werden können. "Ich renne gegen den Hass in meinem Land, und um meiner Familie zu helfen", sagte sie damals. Liegt es nicht in der Verantwortung des Sports, sich um ehemalige Olympia-Teilnehmer aus Krisengebieten zu kümmern?

"Ich denke, ja, man müsste sich um die kümmern, aber ich weiß nicht, ob das nicht über die Kapazitäten hinausgeht. Aber ja, man müsste sich um die kümmern, man lädt sie ein zu Spielen mit einem und dann kann man sie nicht einfach so wieder nach Hause schicken, sondern dann müsste es schon die Möglichkeit geben, dass man ihnen eine Perspektive im Sport bietet."

Samia Yusuf Omar hat nach dieser Perspektive gesucht. Sie glaubte, an die Kraft des Sports, sie wollte siegen über die widrigen Lebensumstände, in die sie hineingeboren wurde. Die Niederlage, die sie letztlich erlitten hat, ist mehr als tragisch. Umso wichtiger, dass das Buch von Reinhard Kleist die Erinnerung an Samia Omar und ihre Utopie wach hält.

"Man ist schneller als alle und keiner kann einen einholen. Und dann kommt man zum Ziel und reißt die Arme nach oben, und das ist wie... das Paradies."


Reinhard Kleist: "Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar
Carlsen
152 Seiten, 17,90 Euro
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