"Lego-Professor" in Cambridge

Das Spiel als Schule des Lebens

Kinder spielen in einer Kita.
Kinder bei ihrer liebsten Tätigkeit: Im Spiel erforschen sie die Welt. © dpa / picture alliance / Jan-Philipp Strobel
André Stern im Gespräch mit Nana Brink · 19.01.2017
Die Universität Cambridge sucht zusammen mit dem Spielzeug-Hersteller Lego einen neuen Professor für die Erforschung des Spielens. Die Idee könnte auch von dem Autor André Stern stammen – für ihn ist das Spielen die Grundlage für Lernen und Kinderglück.
In den vergangen Tagen war desöfteren vom "Lego-Professor" die Rede: Zusammen mit dem dänischen Spielzeughersteller sucht die Universität Cambridge einen klugen Geist, der das Spielen erforschen soll. Schon vor einem Jahr hatten Universität und Lego-Stiftung das Forschungszentrum für Spiel in Bildung, Entwicklung und Lernen gegründet. Die Rolle des Spielens sei relativ wenig erforscht, hieß es.
Den Professoren-Posten wolle er nicht, viel beizutragen zum Thema habe er aber schon, sagt André Stern. Der Autor und Musiker ist nie auf eine Schule gegangen, nie geprüft, gemessen und bewertet worden. Er wurde, wie er im Deutschlandradio Kultur berichtet, von seinen Eltern als Kind beim Spielen grundsätzlich nicht unterbrochen. Aus diesen Erfahrungen hat Stern die Überzeugung entwickelt, dass nichts über das Spiel geht: als Schule des Lebens.
Alle redeten über spielerisches Lernen, selbst erfahren hätten es aber nur wenige, sagt er. Für ein Kind sei Spielen der direkteste Weg, sich mit dem Alltag zu verbinden.
Das Kind hat nach Stern die Fähigkeit, alles zum Spiel zu machen.
"Es gibt zum Lernen nichts Besseres", erklärt Stern. Spielen sei wichtiger als Hausaufgaben machen.
Stern vermutet in seinen Mitmenschen eine große Sehnsucht: "nach einem Freiraum, wo wir sein können". Stattdessen müssten wir alle "schon sehr früh werden statt zu sein".
Aber er glaubt daran, dass das Spiel als Prinzip sich durchsetzen wird. Die Idee werde bereits praktisch umgesetzt:
"Das ist im Gang, das kann man nicht mehr unterbrechen. Und der neue Professor in Cambridge zeigt ja auch, dass das gesehen wird und sich in diese Richtung entwickelt." (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Nana Brink: Das nenne ich mal innovativ, also auf den ersten Blick. Die Universität Cambridge sucht zusammen mit dem Spielzeughersteller Lego einen neuen Professor oder eine neue Professorin für die Erforschung des Spielens.
Dass es da nicht um schöne neue Lego-Welten geht, ist klar, denn in einem Forschungszentrum soll die Rolle des Spielens unter die Lupe genommen werden. Das klingt ziemlich nach Arbeit. André Stern hat ein Buch geschrieben über das Spielen, "Spielen, um zu fühlen und zu lernen" heißt es, ist erst vor Kurzem erschienen, und jetzt ist er bei uns. Guten Morgen, Herr Stern!
André Stern: Guten Morgen!
Brink: Ich dachte, dass ist ja längst so etwas wie eine Binsenweisheit, dass man spielerisch lernt. Ein Irrtum?
Stern: Na ja, alle reden darüber, dass Spielen …
Brink: Sie auch.
Stern: … das hängt davon ab. Ich finde, seit Kurzem spricht man darüber, erfahren haben es nur wenige. Aber man hat das Spiel ziemlich degradiert. Das ist eine Beschäftigung für die freie Zeit. Dabei ist es für das Kind der direkteste Weg, sich mit dem Alltag zu verbinden.
Brink: Spielen, habe ich immer so den Eindruck, steht ein bisschen immer in Konkurrenz zum Lernen. Also Schulkinder sollen Hausaufgaben machen, für die Schule arbeiten. Ist das Spielen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, genauso wichtig wie Hausaufgaben?

Spielen ist wichtiger als Hausaufgaben machen

Stern: Ich würde sagen, sogar wichtiger. Es ist so, dass wir diese Opposition geschaffen haben, dass wir die Ernsthaftigkeitsskala so eingeteilt haben, dass Spielen gar nicht ernst ist. Dabei zeigt uns heute alles und nicht zuletzt die Hirnforschung, dass es zum Lernen nichts Besseres gibt als zu spielen. Für das Kind sind Spielen und Lernen Synonyme, und aus gutem Grunde. Das Kind kann ja die beiden nicht voneinander unterscheiden. Und wir müssen uns vorstellen, was es bedeutet, wenn wir von einem Kind verlangen, dass es nicht mehr spielen soll, sondern lernen. Das ist für das Kind so unverständlich, so absurd, als ob ich von Ihnen verlangen würde, Sie sollen jetzt atmen, ohne Luft zu holen.
Der Musiker und Autor André Stern
Der Musiker und Autor André Stern© Catherine Forest
Das kann sich das Kind nicht vorstellen, und das Merkwürdige ist, dass das Kind im Spiel all die Zustände erforscht, die wir später bei unseren Erwachsenen haben wollen. Wenn sie später groß sind, wollen wir, dass sie genau das vorweisen, was sie im Spiel leben und erleben: Ernsthaftigkeit, Konzentrationsfähigkeit, die Fähigkeit, über sich hinaus zu wachsen. Und diese unglaubliche Ausdauer, die Kinder in ihrem Spiel haben. Und es geht nicht darum, dass man ein Leben lang nur spielt, sondern dass man das Vertrauen hat, zu sehen, was entsteht, wenn man ein Kind in seinem Spiel nicht unterbricht.
Brink: Das versuche ich mir jetzt gerade vorzustellen, was das Spielen denn dann ausmacht. Was ist das für eine Art Spielen, oder sagen Sie, da darf man eigentlich gar nichts vorgeben?

Das Kind kann alles zum Spiel machen

Stern: Eigentlich kommt das Spiel immer von innen heraus. Das Kind hat diese unglaubliche Fähigkeit, alles zum Spiel zu machen, weil alles dadurch ein Lernobjekt werden kann. Und wenn wir kleine Kinder beobachten – das tue ich im Moment mit meinem zweitgeborenen Sohn, mit Benjamin, dann merkt man, schon im zartesten Alter sind die Kinder damit beschäftigt zu spielen. Und das habe ich erlebt, und davon berichte ich.
Das ist kein persönlicher Verdienst. Ich wurde einfach in meinem Spiel, in meinem Spielen immer ernst genommen und nie unterbrochen. Und im Gegensatz zu dem, was man glaubt, führt das nicht zu Faulheit oder Analphabetentum oder was auch immer. Nein, da bleibt man genau in diesem Zustand, in dem man eigentlich all diese Qualitäten entwickelt, die wir eigentlich wollen.
Brink: Wie schaffen wir das dann, wenn wir Schule, die ja doch wichtig ist, weil Lesen und Schreiben lernen, bestimmte Techniken, das, glaube ich, sind wir uns klar, muss man ja irgendwie dann doch lernen – wie kriegen wir das dann hin, dass wir da so Freiräume schaffen? Was haben Sie da für Vorschläge?
Stern: Ich muss sagen, das ist nicht mein Job, das umzusetzen. Ich denke darüber nach, ich spreche und arbeite mit vielen Leuten, die Schule machen. Ich habe aber keine vorgefertigten Lösungen. Wenn ich das hätte, wäre es ja sehr verdächtig. Dann hätte ich eine Methode und würde sagen, schauen Sie, wenn Sie es nach mir machen, werden Sie glückliche Schüler haben und glückliche Lehrer. Das, glaube ich, gibt es nicht.
In Windeln und Gummistiefeln laufen zwei kleine Mädchen in Berlin auf dem Platz zwischen Bundeskanzleramt und Reichstag herum.
Spielen in Windeln und Gummistiefeln: Zwei kleine Mädchen in Berlin auf dem Platz zwischen Bundeskanzleramt und Reichstag© dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Ich glaube, wir sind an einen Punkt jetzt angekommen, wo alle zusammen was entwickeln werden. Und ich möchte meinen Teil dieser Aufgabe tragen, aber ich glaube nicht, dass es da Geheimrezepte oder allgemeingültige Lösungen gibt, geben kann. Ich finde aber wunderbar, dass man das alles gemeinsam und vor allem gemeinsam mit den Kindern entwickeln kann.
Brink: Spüren Sie denn so etwas, dass in unserer Leistungsgesellschaft, und das ist ja einfach unbestritten so, und der Druck, der ja auf Kinder irgendwie aufgebaut wird, der ist ja immens, also auch bei dem Pensum, das sie schaffen müssen. Spüren Sie denn, dass es eine Bereitschaft gibt für Ihre Theorie, sage ich jetzt mal ganz vorsichtig, also dem Zeit, Raum geben für Spielen? Was erfahren Sie, wenn Sie rausgehen und Vorträge halten?
Stern: Ja, ich sehe, dass es da eine sehr große Sehnsucht hat, und die ist leicht zu erklären. Es ist ja so, dass dieser Druck schon seit immer ausgeübt wird. Wir müssen eigentlich schon sehr früh werden statt zu sein, weil man von uns erwartet, dass wir uns verändern, damit wir ganz gefallen.
Die Frage, schläft das Kind durch, ist so bekannt und klingt so harmlos, führt aber dahin, dass die Kinder dann denken, wenn sie ihr Kind sehen, na ja, Kind, ich hätte dich lieber, wenn du mehr schlafen würdest. Das bedeutet also, damit meine Eltern mich mögen, muss ich mich verändern.
Es sind vier Kinder im Alter von ca. sechs Jahren. 
Auch in Krisenregionen geben Kinder das Spiel nicht auf: Hier ein Bild aus der irakischen Stadt Mossul© imago stock&people
Und dieser Druck bleibt ein Leben lang, und wenn wir plötzlich die Möglichkeit haben, diesen Druck aufzuheben und dass uns jemand eigentlich sagt, ich habe dich lieb, weil du so bist, wie du bist – so eine Erleichterung. Und deshalb gibt es diese Sehnsucht nach diesem Freiraum, wo wir sein können. Und Sein-Können können wir niemals so gut wie im Spiel.
Brink: Sehen Sie denn eine Chance, dass das so was, was ja eine wunderbare Theorie ist, irgendwie umsetzbar ist?
Stern: Das ist dabei. Ich sehe da keine Chance, ich sehe die praktische Umsetzung. Das ist im Gang, das kann man nicht mehr unterbrechen. Und diese neue Professur in Cambridge zeigt ja auch, dass das auch gesehen wird und sich in diese Richtung entwickelt.
Brink: Hätten Sie Lust an diesem Job?
Stern: Ich könnte da was Sinnvolles beitragen. Viele reden über Dinge, die ich erlebt habe. Ich kann da einen sinnvollen Beitrag leisten.
Brink: André Stern, vielen Dank für das Gespräch. Der Autor hat ein Buch geschrieben, "Spielen, um zu fühlen und zu lernen". Vielen Dank, Herr Stern, für Ihre Zeit.

André Stern: Spielen, um zu fühlen und zu lernen
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2016
144 Seiten, 19,95 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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