Legendäre Reise in einem verrückten Bus

11.03.2009
1964 kaufte der Schriftsteller Ken Kesey einen alten Schulbus, bemalte ihn zusammen mit Freunden und fuhr mit einer Horde von Hippies und jeder Menge Drogen durch die USA. Der Autor Tom Wolfe begleitete die Busreise und schrieb die skurrilen Erlebnisse und Begegnungen der Gruppe nieder. Das Buch erschien 1968, wurde ein Bestseller und zugleich Zeitdokument der Hippie-Ära.
Es ist nicht das erste Buch von Tom Wolfe, hierzulande vor allem durch "Fegefeuer der Eitelkeiten" bekannt. Aber mit diesem Buch hat er 1968 glasklar gemacht, was er und ein paar Kollegen (Gay Talese, Norman Mailer, Hunter S. Thompson) als New Journalism gegen den distanziert-objektivistischen alten zu setzen gedachten: literarische Reportagen, die umso genauer sind, je radikaler sie aus ihrem Sujet heraus erzählen und ihren eigenen subjektiven Blick riskieren. Aus dieser Reibung entsteht Stil und - Wirkmacht.

Worum es geht, ist schnell erzählt: 1964 kauft ein gefeiertes literarisches Wunderkind in Kalifornien einen ausrangierten Bus, lässt ihn in den Schockfarben der Zeit bemalen und besprayen, lädt ihn voll mit Musikinstrumenten, Kameras und Recordern, einer wilden Horde Leute und einem noch wilderen Sortiment Drogen und fährt damit quer durch die USA und wieder zurück. Bis New York geht es durch den Süden - also auch politisch heiße Gegenden wie Alabama und Louisiana -, zurück durch den Norden. Eine Abenteuerreise mit irrwitzigen Episoden.

Aber damit ist gar nichts erzählt. Namen könnten helfen. Der Schriftsteller ist Ken Kesey, seit 1962 berühmt durch "Einer flog übers Kuckucksnest", Kumpel von Beat-Generation-Größen wie Jack Kerouac und kalifornischer "Häuptling" der drogengestützten Bewusstseinserweiterung. Er hatte, im Auftrag und bezahlt von der US-Regierung, mit LSD und halluzinogenen Pilzen Erfahrungen gemacht, sie später selbsttätig erweitert und sorgte jetzt für deren Sozialisierung. Bei seinen "Acid Test" genannten Dauerpartys tummelte sich alles, was damals "revolutionär" war: Hell's Angels und Grateful Dead, Künstler, Psychiater. Eine Revolution aus dem Geist des Mutterkorns, aus dem das LSD synthetisiert worden war. Ihre Macht kam nicht aus Gewehrläufen, sondern aus dem Gegenteil - der Verführungskraft des freien Spiels mit allem und jedem.

Ihre kollektive Verkörperung waren die Merry Pranksters (etwa die Lustigen Schelme). Man kann sich ausmalen, wie verrückt ein Drogentrip ist, auf dem ein Haufen grotesk verkleideter, ständig alles filmender Schmuddel-Bohémiens ihren psychedelisch-bunten Bus an Tankstellen oder Burger-Buden parkt und daselbst auf biedere Bürger trifft.

Was die Sache wirklich interessant macht: Tom Wolfe fährt da mit. Er setzt sich gleichzeitig dem Experiment aus und beobachtet es. Er registriert auch die emotionalen Verrenkungen, hauchfeinen seelischen Risse und brutalen Abstürze, die das Gemisch aus kosmisch-spirituellen Erlebnissen, drogenverstärktem Sex und menschlichen Grenzen mit sich bringt. Er notiert mit grimmigem Witz den eifersüchtigen Bierernst des LSD-Papsts Timothy Leary.

Und vor allem: Er beschreibt die Reise nicht, er schreibt sie. Übersetzt sie in eine Sprache, mit der diese bizarre unschuldige Prankster-Radikalität sinnlich erfahrbar wird. Also der Zeitgeist der "Sixties".

Tom Wolfe ist ein Stilist von gar nicht unschuldiger Radikalität. Er erfindet Wörter, knautscht sie lautmalerisch um, lässt Satzzeichen prasseln oder zerreißt Sätze über Leerzeilen hinweg, um Klänge und Befindlichkeiten nachzubilden. Allein das Satzbild ist sinnfällig.

Das scheint dem deutschen Verlag aber entgangen zu sein. Hier wird mutwillig Zerrissenes oft zum artigen Fließtext verklumpt. Auch die bearbeitete Übersetzung ist leider immer noch nicht auf der Höhe dessen, was heute machbar ist an Eindeutschungen US-amerikanisch-subkultureller Literatur, rhythmisch wie lexikalisch. Lag's am Zeitdruck? Gus Van Sant plant die Verfilmung.

Dieser Klassiker gehört trotzdem auch ins deutsche Bücherregal. Und vielleicht kann man erst heute, über vierzig Jahre später, ermessen, wie tief diese "legendäre Reise von Ken Kesey und den Merry Pranksters" die westliche Kultur geprägt haben. Flächendeckend, auf allen Gebieten von Kunst und Gesellschaft - von Sprache bis Musik, von Bilderwelten bis Menschenbild, und weit hinein in unser Verständnis von Zivilgesellschaft und Individuum.

Rezensiert von Pieke Biermann

Tom Wolfe: Der Electric Kool-Aid Acid Test
Deutsch von Bernhard Schmid, vom Übersetzer durchgesehene Neuausgabe
Heyne-Taschenbuch/ Heyne Verlag, München 2009
560 Seiten, 9,95 EUR