Lebensqualität

Die Hoffnung muss sterben

Eine junge Frau liegt mit geöffneten Augen auf dem Boden.
Hoffen dürfen wir - solange uns das Leben nicht eines Besseren belehrt. © Imago / Westend61
17.08.2015
Hoffen tun wir alle – und manchmal viel zu viel, meint der Psychologe, Therapeut und Autor Arnold Retzer. Er plädiert stattdessen für eine "resignative Reife".
Der Psychologe und Autor Arnold Retzer hat sich ausführlich mit der Hoffnung beschäftigt – und versucht sie uns zu nehmen. Hoffen sei eigentlich in Ordnung, meint er. Doch oftmals stellt sich Hoffnung nicht als realitätstauglich heraus. Und dennoch werde an ihr festgehalten. "Blödheit, Dummheit, das Ignorieren von Informationen, Schönfärberei" und das Abstellen jeder Vernunft sei eine gute Möglichkeit, auf Dauer weiter zu hoffen, meint Retzer.
"Die Hoffnung ist eine notwendige pubertäre Glaubensvorstellung unaufgeklärten Größenwahns", sagt er. Behalte man sie wider aller Erfahrung bis ins hohe Alter aufrecht, habe man ein ernstes Problem. Retzer empfiehlt eine "resignative Reife" als Lebenshaltung. Im Grunde reiche es, "auf die Anstrengung zu verzichten, dumm zu bleiben". Wer jahrzehntelang darauf hofft, dass der Partner sich doch noch ändert, macht nach Retzers Logik einen schweren Fehler. Erst das Aufgeben dieser Hoffnung führe zu mehr Lebensqualität.

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Das kennen Sie bestimmt, das Sprichwort: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das ist ja einer dieser Sprüche, die man schon als Kind hört und den man, als hätte er sich irgendwie eingebrannt, auch schon bestimmt mal seinen Kindern weitergegeben hat.
Es ist aber auch so etwas wie eine, kann man sagen, universelle Redensart. Uwe Seeler führt den Spruch gern im Munde, wenn es etwa um die Chancen seines HSV geht. Der Rapper Bushido – ist ja nicht gerade ein romantisches Seelchen – hat ein Lied darüber geschrieben, und in der aktuellen Griechenland-Krise hat dieses Stichwort Schlagzeilen gefüllt. Hoffnung als Lebensprinzip.
Heute Abend nun beginnt eine ARD-Sendereihe zu diesem Thema, wie die Deutschen daran glauben, an das Prinzip Hoffnung. Und mitten in all unser positives Denken hinein platzt da nun der Heidelberger Psychologe und Therapeut Arnold Retzer. Der hat ein Buch geschrieben: "Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken." Ich grüße Sie, Herr Retzer!
Arnold Retzer: Ich grüße Sie!
Brink: Jetzt war ich gerade noch so hoffnungsvoll, bis ich dann gelesen habe in Ihrem Buch: "Hoffnung erzeugt eine Binnenrationalität der Hoffenden, die man auch Blödheit nennen könnte." Kurz gefasst: Bin ich doof, wenn ich hoffe?
Nicht jeder, der hofft, ist prinzipiell blöd
Retzer: Prinzipiell nicht. Außerdem kenne ich Sie ja nicht so gut, insofern will ich eines endgültigen Urteils mich da auch eher zurückhalten.
Ich glaube auch nicht, jeder, der hofft, ist prinzipiell blöd. Aber man muss sich natürlich schon die Frage stellen, wie man Hoffnung auf Dauer stellt bzw. wie man es schafft, eventuell wider Lebenserfahrung weiter zu hoffen.
Und da ist möglicherweise Blödheit, Dummheit, das Ignorieren von Informationen, Schönfärberei, kurz, das Abstellen der Vernunft eine gute Möglichkeit, auf Dauer weiter zu hoffen, obwohl das Leben ständig sein Veto gegen diese Hoffnungsillusionen einlegt.
Brink: Habe ich Sie denn richtig verstanden, dass, wer hofft, dann nicht mehr seine Rationalität bemüht?
Retzer: Nicht prinzipiell. Man kann schon hoffen, das ist ja auch in Ordnung. Aber wenn sich die Hoffnung nicht als realitätstauglich herausstellt, also wenn zum Beispiel man auf ein bestimmtes Ding hin, auf eine bestimmte Erwartung hin hofft und es stellt sich nicht ein oder die Nebenwirkungen sind so negativ, dann stellt sich die Frage, ob Hoffen wirklich vernünftig ist.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die Hoffnung ist ja ein seltsames Phänomen eigentlich, und das macht sie auf der einen Seite möglicherweise so attraktiv, auf der anderen Seite möglicherweise auch so gefährlich, wenn man so will.
Die Hoffnung vermindert sich ja nicht durch ihre Enttäuschung, sondern sie vermehrt sich durch ihre Enttäuschung, also sie scheint so etwas wie eine Energie zu sein, die sich durch Verbrauch vermehrt.
Das weiß übrigens jeder Glücksspieler. Der Roulette-Spieler, der beim Roulette im Casino auf eine Zahl oder eine Farbe setzt, und diese Zahl und die Farbe kommt nicht, der geht davon aus, dass er beim nächsten Mal dran ist, dass heißt, dass die Wahrscheinlichkeit sich erhöht. Und das nährt seine Hoffnung, dass das Verlieren die Wahrscheinlichkeit des Gewinnens höher macht. Und dadurch wird die Hoffnung zu einer Möglichkeit, sich bankrott zu hoffen, weil sich die Hoffnung immer mehr steigert und sogar durch die Enttäuschung nicht kleiner, sondern größer wird.
Brink: Das heißt, ich muss also irgendwie den Punkt abpassen, in dem Hoffnung nicht mehr hilft und ich zweifeln muss. Ist das die Therapie?
Retzer: Na ja, also das klingt sehr anstrengend.
Brink: In der Tat.
Es reicht, auf die Anstrengung zu verzichten, dumm zu bleiben
Retzer: Es reicht eigentlich, auf die Anstrengung zu verzichten, dumm zu bleiben. Es soll ja auch, neben diesem Spruch, den Sie eben gesagt haben, "Die Hoffnung stirbt zuletzt", es soll ja auch den Spruch geben: "Aus Erfahrung kann man lernen." Es ist schon ziemlich anstrengend, wenn man aus Erfahrung es vermeidet zu lernen.
Wenn die Erfahrungen, zum Beispiel der Verlust beim Roulette, dagegen sprechen, dass man sich hoffnungsvoll sozusagen in den Bankrott hinein begibt, dann genügt es eigentlich, die Erfahrung zur Kenntnis zu nehmen und nicht über sie hinwegzugehen. Und das scheint mir das wichtigste Mittel gegen diese illusionäre und möglicherweise destruktive Hoffnung zu sein.
Brink: Wir hoffen ja auch meistens, wenn wir zum Beispiel Angst haben. Wie müssen wir denn damit umgehen, wenn wir dann nicht hoffen sollen oder können?
Retzer: Wir hoffen eigentlich nicht, wenn wir Angst haben. Dem muss ich ein bisschen widersprechen, auch als Psychotherapeut. Wenn wir Angst haben, versuchen wir alles Mögliche zu mobilisieren, die Angst zu bekämpfen. Das heißt, wir mobilisieren den Kampf gegen die Angst.
Ich bin in einem Interview mal gefragt worden, Herr Retzer, leben wir in Deutschland in einer Angstgesellschaft? Da habe ich gesagt, nein, das stimmt nicht, wir leben nicht in einer Angstgesellschaft, wir leben in einer Angstbekämpfungsgesellschaft.
Das heißt, es gibt dort die Hoffnung, durch den Kampf gegen die Angst die Angst in den Griff zu bekommen. Das hat die fatale Konsequenz, dass, je stärker wir Angst bekämpfen, umso größer wird die Angst, weil die Angst sozusagen als der Gegner die ganze Kampfenergie, die wir gegen sie aufwenden, benutzt, um noch stärker zu werden. Das weiß jeder, der versucht, sich sozusagen zusammenzunehmen, sich zusammenzureißen, um sein Lampenfieber bei einer Präsentation in den Griff zu bekommen.
Brink: Also dass wir vielleicht aufhört, in dieser Angstgesellschaft, Angstbekämpfungsgesellschaft und Schönfärberei zu leben, wie Sie in Ihrem Buch sagen. Und da taucht auch noch ein ganz interessanter Begriff auf, der eigentlich ganz gut passt. Sie sprechen da von einer "resignativen Reife". Ist das dann so was wie Achselzucken für Fortgeschrittene?
"Resignative Reife" ist mit erhöhter Lebensqualität verbunden
Retzer: Nein, ich glaube, das ist, wenn man so will, wenn man aus Erfahrung gelernt hat, die fast notwendige oder zwangsläufige Entwicklung, auf die etwas hinausläuft. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür geben für diese resignative Reife, aus einem Gebiet, das möglicherweise Ihnen auch und den Hörerinnen und Hörern möglicherweise vertraut ist.
Man heiratet jemanden, ein netter Kerl, nette Frau, sonst würde man ihn oder sie nicht heiraten, aber schon am Hochzeitstag sagt man sich: "Das kriegen wir auch noch hin." Gemeint ist damit, die zwei oder drei Macken, die der andere oder die andere hat, die wird mit Hoffnung versehen sozusagen als ein Auftrag, ein Veränderungsauftrag genommen, das kriegen wir auch noch hin. Wenn man Glück hat, sind dann zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre ins Land gegangen. Der Gegner, hätte ich jetzt fast gesagt, hat dieselben Macken in derselben Ausführung wie am Hochzeitstag, aber ein Großteil von Lebensqualität ist auf der Strecke geblieben.
Die resignative Reife kann dann darin bestehen, dass man die Hoffnung aufgibt, den Partner so hinzubekommen, wie man denkt, dass er sein sollte.
Diese Art von Hoffnungslosigkeit oder resignativer Reife kann mit einer erhöhten Lebensqualität verbunden sein, weil man die vergeblichen Versuche aufgeben kann, den Partner zu verändern, und der Partner kann die Verteidigungsversuche, die er anstrengen muss, um nicht verändert zu werden, auch aufgeben. Insofern ermöglicht die resignative Reife etwas wie Hoffnungslosigkeit, die durchaus ein Trost sein kann.
Brink: Können Sie uns noch ein bisschen mehr Hoffnung mitgeben zum Schluss?
Retzer: Ich befürchte, dazu bin ich nicht der Richtige. Aber ich will Ihnen trotzdem was Hoffnungsvolles zum Schluss noch sagen: Ich glaube, die Hoffnung ist eine, die wir, ähnlich wie die Angst, nicht abschalten können als Idee. Die Hoffnung ist aber wahrscheinlich eine notwendige pubertäre Glaubensvorstellung unaufgeklärten Größenwahns. Behält man diese pubertäre Glaubensvorstellung wider alle Erfahrung bis ins hohe Alter aufrecht, hat man ein ernstes Problem.
Brink: Der Psychologe Arnold Retzer. Vielen Dank!
Retzer: Ich danke Ihnen!
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