Lebenskrisen im Ramadan

Von Bernd Sobolla · 02.10.2010
"Shahada" handelt von drei jungen Muslimen im heutigen Berlin. Unabhängig voneinander geraten sie während des Fastenmonats Ramadan in Lebenskrisen, die ihr Werte- und Glaubenssystem auf eine harte Probe stellen.
"La ilah illa Allah wa Muhammad rasul Allah … Sidan, kannst Du das für unseren Gast übersetzen?" - "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammad ist sein Prophet." - "Richtig. Das ist die Shahada, unser Glaubensbekenntnis. Dieser Satz vor einem Zeugen gesprochen macht uns zum Muslim."

Der Imam einer muslimischen Gemeinde in Berlin erklärt Daniel die Shahada, den wichtigsten Glaubenssatz des Islams. Doch Daniel ist eigentlich nur hier, weil er sich in seinen Arbeitskollegen Samir verliebt hat, der ebenfalls in die Moschee kommt und der verzweifelt – mit "Unterstützung" seiner Mutter - gegen seine homosexuellen Gefühle ankämpft.

"You stay away from him! Don’t let him spoil you." - "Es geht nicht um Daniel. Es geht auch nicht um Gott. Es geht um mich." - "I don’t want to hear any more of it. Let us pray!" - "Mama!" - "Enough! We will pray to God. And then everything will be okay."

Die 19-jährige Maryam hingegen hat gerade eine illegale Abtreibung hinter sich, von der ihr Vater – der Imam - nichts wissen darf. Zunächst reagiert sie mit Verdrängung, doch dann wird sie streng gläubig und steigert sich immer mehr in ihre Rolle hinein. Auch vor den anderen jungen Frauen in der Moschee.

"Gott will, dass wir seinen Gesetzen gehorchen." - "Aber Gott will vielleicht nicht, dass Du Dich hier so als Wächterin aufspielst." - "Doch, das will er. Er richtet die Menschen nach seinem Handeln." - "Maryam, am Ende wird Allah entscheiden, wohin sich die Waagschale neigt. Es wird zwischen Dir und Gott sein." - "Ich glaube nicht, dass Du weißt, wovon Du sprichst." - "Weißt Du es?" - "Ja, ich kenne die Abgründe."

Regisseur Burhan Qurbani wollte mit dem Film auch die Widersprüche der islamischen und der deutschen Kultur miteinander verbinden. Allerdings spielen nicht muslimische Deutsche in "Shahada" keine tragenden Rollen.

Burhan Qurbani: "Also, Sergej Moya spielt eine wichtige Rolle, der spielt den besten Freund von Samir. Aber das ist ja das Ding: Ich würde sagen, ich kann im Jahr 2010 einen deutschen Film machen, ohne dass Deutsche noch mitspielen müssen. Und trotzdem dürfen das deutsche Geschichten sein, die in Deutschland verankert sind. Weil, ja, Deutschland ist inzwischen ein Einwandererland. Ich glaube, dass die Qualität deutsch zu sein, nicht zwangsläufig was mit meiner Herkunft zu tun haben muss."

Der dritte Protagonist schließlich ist der Polizist Ismail. Durch einen Querschläger hat er vor drei Jahren eine Frau namens Leyla lebensgefährlich verletzt. Leyla kommt vermutlich aus Osteuropa, lebt und arbeitet illegal in Berlin, und bei einer Routinekontrolle begegnet Ismail ihr wieder.

"Ihre Papiere sind abgelaufen, Sie … Alles in Ordnung, Sie können gehen."

Ismail verliebt sich in Leyla und riskiert das Ende seiner eigenen Familie. Burhan Qurbani verknüpft geschickt drei Geschichten miteinander, die von den Schuldgefühlen junger Moslems handeln. Zwar basiert keine Geschichte auf den eigenen Erfahrungen des Regisseurs. Dennoch kann der sich mit den Gefühlen seiner Protagonisten identifizieren.

Burhan Qurbani: "Die Reibung, mit der sie sich auseinandersetzen müssen, das sind Dinge, die mir nahe sind. Wenn man den universellen Überbau nimmt, wenn man sagt: Okay, wir erzählen bei Maryam, also der jungen Frau, die ein Kind abtreibt, erzählen wir eigentlich eine Vater-Tochter-Geschichte. Wenn wir mit dem Jungen, der entdeckt, dass er schwul ist, eine Geschichte von verbotener Liebe erzählen, damit kann ich mich identifizieren. Wenn wir eine Geschichte von Ismail, eine Geschichte von Schuld und Sühne erzählen, dann muss ich sagen: Ja! Da komme ich ran."

Vom ersten Bild an zieht der Film den Zuschauer in seinen Bann, ein überzeugend inszeniertes Drama mit versöhnlichem Ende. Wobei die ruhige Kameraführung, die entsättigten Farben und die zurückhaltend melancholische Musik die Lebenskrisen der Protagonisten unaufdringlich, aber intensiv unterstreichen.

Burhan Qurbani hat die Struktur seines Films an die Fünf Säulen des Islams angelehnt: Denn das Werk ist in fünf Akte aufgeteilt und jeweils nach einer Säule benannt. Neben dem Glaubensbekenntnis sind dies Gebet, Almosen, Fasten und Pilgerreise. Wobei sich die Charaktere nicht auf einer Wallfahrt gen Mekka befinden, sondern eher einen Weg der Reinigung im täglichen Leben erfahren. Und bei der Almosenpflicht geht es nicht um Geld, sondern um ein persönliches Opfer. So wie bei Ismail, der wegen Leyla seine Familie verlässt.

"Hör zu! Ich habe sie wieder gesehen, Leyla Imamovic. Routinekontrolle. Ihre Papiere waren abgelaufen. Ich habe sie laufen lassen." - "Warum hast du sie laufen lassen? Du schuldest ihr nichts." - "Darum geht es nicht?"

Etwas merkwürdig erscheint, dass Burhan Qurbani einerseits den Filmtitel "Shahada" gewählt hat, das Werk aber nicht als Film über den Islam sieht, sondern "nur" über persönliche Schicksale.

Burhan Qurbani: "Weil ich glaube, der Film könnte auch funktionieren, wenn man den religiösen Background wegnimmt. Ich glaube, dass Religion für die Figuren insofern eine wichtige Rolle spielt, weil sie sie in bestimmten Momenten eingrenzt oder ihnen Möglichkeiten gibt, auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu handeln. Aber letztlich ist es ein Drama, das von Menschen handelt. Und Religion ist das Umfeld, in dem sie sich bewegen."

"Shahada" ist ein gelungener Film, der jedoch die letzte Konfrontation meidet. Samir deutet gegenüber dem Imam seine homosexuelle Neigung nur an. Der wiederum stellt in seiner aufgeklärten, toleranten Haltung das ideale Vorbild eines religiösen und menschlichen Führers dar, der aber so äußerst selten zu finden ist. Nur seine Tochter schafft es, ihn herauszufordern.

"Allah, verzeih uns! Und Allah wird sagen: Ich habe euch verziehen. Amen." - "Das ist doch nicht wahr! Gott sieht, und Gott straft!" - "Maryam!" - "Ihr könnt doch nicht glauben, dass das so einfach geht! Dass ihr sündigt und euch selbst vergebt." - "Oh!" - "Du belügst doch diese Menschen hier. Ihr versündigt euch vor Gott, wenn ihr diesem Imam zuhört."
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