Last und Lust des Umziehens (5)

Was ist das denn?

Nest einer Sächsischen Wespe
Immer wieder im Auto vergessen, das Ding. © imago/blickwinkel
Von Franziska Gerstenberg · 20.02.2015
Für die Lesart-Reihe "Originalton" hat die Autorin Franziska Gerstenberg Minidramen verfasst, in denen sie mit ihrem Lebensgefährten anschaulich macht, was einem widerfährt, wenn man umziehen will. Heute: Ein im Auto vergessenes Wespennest.
F(rau): Jetzt ist es schon fünf Wochen her, dass wir umgezogen sind.
M(ann): Ja.
F: Und eigentlich hat sich alles eingelebt, summt und brummt, wie es sich gehört.
M: Ja.
F: Wir haben sogar das Auto umgemeldet.
M: Wir haben sogar einen Anwohnerparkausweis besorgt.
F: Seitdem können wir das Auto in den umliegenden Straßen parken …
M: … ohne jeden Tag einen Strafzettel zu bekommen.
F: Nur eins kriegen wir nicht geregelt.
M: Das Ding ist immer noch im Auto. Wieso vergessen wir die ganze Zeit, es mit hochzunehmen? Seit dem Umzug ist es im Auto.
Durchladen und Pistolenschuss.
F: Jetzt ist es schon sechs Wochen her, dass wir umgezogen sind.
M: Ja.
F: Und gestern, im Auto, hatte ich wieder so ein Gespräch. Mit Moni. Was ist das denn?, hat Moni gefragt. Was?, habe ich zurückgefragt. Dieses, hat sie gesagt, Ding.
M: Weil es zwischen dem Fahrersitz und der Rückbank klemmt, sehen wir es nicht. Und denken nie daran.
F: Ein Kasten aus Plexiglas. Aber was ist das denn, hat Moni gefragt, was da drin ist? Ein Gehirn?
M: Und du hast gesagt: Nein, ein Wespennest.
F: Und Moni: Ein Wespennest? Mit Wespen drin?
M: Und du: Nein, natürlich ein leeres.
F: Ich weiß noch, wie ich das Wespennest von der Wand geschnitten habe, 2002 war das, auf dem Dachboden. Ich mochte das Wespennest, weil es so filigran aussah, und so schön. Deshalb habe ich es in den Plexiglaskasten gelegt und den Plexiglaskasten im Wohnzimmer an die Wand gehängt.
M: Moni natürlich so: Wieso hast du denn ein Wespennest in einem Plexiglaskasten?
F: Ja.
M: Hast du’s wenigstens mit hochgebracht? Dann können wir’s endlich in unserem neuen Wohnzimmer an die Wand hängen.
F: Nein. Vergessen.
Durchladen und Pistolenschuss.
M: Jetzt ist es schon sieben Wochen her, dass wir umgezogen sind.
F: Ja.
M: Und gestern hatte ich wieder so ein Gespräch, mit Peter. Was ist das denn?, hat Peter gefragt. Dieses, hat er gesagt, Ding.
F: Wir schauen halt nie dort hin. Zwischen den Fahrersitz und die Rückbank. Warum sollten wir auch?
M: Aber was ist das denn, hat Peter gefragt, was da drin ist? Ein Gehirn?
F: Nein, ein Wespennest.
M: Ein Wespennest? Mit Wespen drin?
F: Es ist natürlich leer.
M: Wieso hast du denn ein Wespennest in einem Plexiglaskasten?
F: Hat Peter auch irgendwas Neues gesagt?
M: Ja. Er behauptet, dass das Nest stinkt.
Furzgeräusch.
Durchladen und Pistolenschuss.
F: Jetzt ist es schon acht Wochen her, dass wir umgezogen sind.
M: Warte, warte, warte! Heute habe ich daran gedacht! Nachdem ich wieder so ein Gespräch hatte.
F: Mit Jochen?
M: Ja, mit Jochen. Und als sich Jochen verabschiedet hatte, habe ich das Ding aus dem Auto genommen. Ich habe es die Straße hinab vor mir hergetragen und mit nach oben gebracht.
F: Was hat Jochen gesagt?
M: Es steht im Wohnzimmer.
F: Stimmt, da ist es ja! Mein Wespennest!
M: Ich muss allerdings sagen …
F: Ja?
M: Ich weiß nicht, ob ich den Kasten aufhängen will …
F: Wieso denn nicht?
M: Merkst du’s nicht?
F: Was?
Furzgeräusch.
F: Du findest, das Wespennest stinkt?
M: Hat Jochen auch gesagt! Wirklich! Und Peter!
Furzgeräusch.
Danach kleiner Tusch.

Franziska Gerstenberg wurde 1979 in Dresden geboren. Nach dem Abitur arbeitete sie an einer Schule für geistig behinderte Jugendliche. Von 1998 bis 2002 studierte sie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig die Fächer Prosa, Lyrik und Dramatik/Neue Medien, danach war sie zwei Jahre lang Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "EDIT – Papier für neue Texte". Für die beiden Erzählbände "Wie viel Vögel" (2004) und "Solche Geschenke" (2007) erhielt Franziska Gerstenberg zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem ein Stipendium der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. 2012 erschien der erste Roman mit dem Titel "Spiel mit ihr". Dafür wurde ihr 2013 der Förderpreis zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen verliehen. Die Autorin leitet Schreibseminare und lektoriert.

Für den "Originalton" hat sie kleine Minidramen verfasst, in denen sie mit ihrem Lebensgefährten sehr anschaulich macht, was einem alles widerfährt, wenn man einfach nur umziehen will.

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