Lafcadio Hearn: "Japans Geister"

Gebannt von Kobolden und Feen

Von Peter Urban-Halle · 14.03.2016
Der irisch-griechische Schriftsteller Lafcadio Hearn kam wegen einer Reportage 1890 nach Japan und fortan ließ ihn das Land nicht mehr los. Bis heute prägen seine Geschichten und Berichte das Japan-Bild. Nun erscheint sein Erzählband "Japans Geister" in einer Neuauflage.
Vor einem knappen Jahr veröffentlichte der Salzburger Verlag Jung und Jung ein schmales Buch, das in wuchtiger Sprache von einem mörderischen Sturm erzählte: "Chita". Verfasser war ein gewisser Lafcadio Hearn, 1850 auf der griechischen Insel Lefkas geboren, die Mutter war Griechin, der Vater Ire. Die Eltern trennten sich, er wuchs bei einer Tante in Dublin auf und ging nach Amerika, wo er zunächst als Journalist und Übersetzer arbeitete.
Wegen einer geplanten Reportage kommt er 1890 nach Japan, das ihn nicht mehr loslässt. Er wird Englischlehrer, heiratet eine Samurai-Tochter und nimmt einen japanischen Namen an. Es ist die sogenannte Meiji-Zeit, in der sich das Inselreich dem Westen öffnet. Dennoch hält sein "Märchenland" mit seinem ungewohnten Glauben, der auf Selbsterlösung setzt, und seiner erstaunlichen Lebensart weiter eine endlose Zahl "seltsamer Sensationen" bereit, die aufgeschrieben werden wollen.
Der Band wurde von Christian Döring aus fünf Büchern zusammengestellt, die 1905 bzw. 1922 auf Deutsch erschienen. Der uns Heutigen unbekannte Hearn ist also eine Wiederentdeckung: Im frühen 20. Jahrhundert war er in Deutschland ein beliebter Autor. Es ist erstaunlich, wie poetisch und gleichzeitig konkret er seine Eindrücke aus Japan zu schildern vermag, die er doch zunächst noch als "ungreifbar und flüchtig" beschrieben hatte.

Schwärmen und analysieren

Man merkt, wie hingerissen er ist, er schreibt schwärmerisch, erkennt dann aber ein System und wird in seinem Schreiben analytischer, ohne dass dies seiner Begeisterung Abbruch täte. Diese Entwicklung in seiner Anschauung kündigt sich anfangs in der Schilderung der Stadt Yokohama und ihrer Architektur an: Hearn empfindet sie nämlich zunächst als "köstlich verwirrend", bis er mählich einen "allgemeinen Plan" in dieser scheinbaren Willkür erkennt.
Erstaunlich ist auch, wie anders diese Texte aus Japan im Vergleich mit der erwähnten Erzählung "Chita" geschrieben sind. Wurde in "Chita" dramatisch und prall erzählt – sozusagen ganz großes Kino wie bei Victor Hugo –, wird der Stil durch den "elfenhaften" ostasiatischen Einfluss zarter, impressionistischer. Gleichzeitig ist er gebannt von unheimlichen Kobolden und Feen, angeregt von der Lebendigkeit japanischer Schriftzeichen, entzückt von den wohlgestalteten Füßen der Menschen. Und er erschafft einprägsame Bilder und skurrile Szenen wie schon am Anfang, wenn ihn sein nimmermüder Rikschaläufer von Tempel zu Tempel, von Schrein zu Schrein zieht.
Hearn war, wie es im aufschlussreichen und kritischen Nachwort heißt, in diesem Land voller Sensationen selbst eine Sensation. Es verrät auch, dass Hearn von Nippon keineswegs die ganze Zeit so überzeugt war, wie er es in seinen Texten darstellt. Trotzdem bleiben eine große Anzahl erkenntnisreicher Beobachtungen, die nicht nur faszinierend, sondern auch noch heute gültig sind.

Lafcadio Hearn: "Japans Geister"
Aus dem Englischen von Berta Franzos, mit einem Nachwort von Christoph Neidhart
Die Andere Bibliothek, Berlin 2015
415 Seiten, 42,00 Euro