Labor der Medienkunst

Von Günter Beyer · 17.04.2012
Eine Werkstatt für Experimentelles ist das European Media Art Festival (EMAF) schon immer gewesen. Das ist auch im 25. Jahrgang nicht anders: In einer Installation wird mit computergesteuerten Schranken mangelnde Barrierefreiheit suggeriert, eine andere zeigt einen Parcourslauf auf einem Friedhof.
"Barrierefrei" soll unsere Welt sein. Keine Hindernisse mehr für Menschen im Rollstuhl und alle anderen sowieso! Freier Zutritt zu allen Gebäuden und beim Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel!

Der schwedische Künstler Gustav Hellberg macht deutlich, dass die Wirklichkeit anders aussieht. 24 Schranken, wie sie den Zugang zu Parkhäusern regeln, hat er im Innenhof der Kunsthalle Dominikanerkirche um neun quadratische Flächen herum installiert. Gesteuert werden die Schranken von einem Computerprogramm.

Hermann Noering: "Durch eine wechselnde Choreografie eröffnen sie dem Besucher dann Räume, oder sie verschließen ihm den Weg, sodass die Maschinen - so der Hintergrund - letztendlich den Weg oder die Bewegungsfreiheit des Menschen eröffnen oder verschließen."

Hermann Noering hat die Ausstellung des European Media Art Festival kuratiert. Hervorgegangen aus der jungen Universität, findet es bereits zum 25. Mal in Osnabrück statt.

"Damals gab es einen Medienstudiengang, der für Deutschland in den 70er-Jahren einmalig war, und es gab einen Kurs zu Experimentalfilm. Und innerhalb dieses Kurses wurde festgestellt, dass es in Europa kein Forum für den Experimentalfilm gab, und es gab dann erste Workshops, um erst deutsche Künstler, dann schnell aber auch europäische Künstler einzuladen, ihre neuen Werke hier in Osnabrück zu zeigen."

Das frühe European Media Art Festival war ein Labor der Medienkunst noch ohne Internet und ohne digitale Technik. Trotzdem versuchten Künstler schon 1988, ihr Publikum in interaktive Installationen einzubeziehen. Etwa bei Filmen, die auf Knopfdruck einen anderen Verlauf nehmen konnten.

Hermann Noering: "Damals war das Stichwort 'Gegenöffentlichkeit' noch ein sehr starker Begriff."

Und einige Arbeiten sorgten durchaus für Aufregung.

"Zum Beispiel van-Gogh-TV 1988. Da hatten die Künstler einen Piratensender aufgebaut, mit dem ihr Material dann hier im Teutoburger Wald gesendet wurde, und sie wurden von der Polizei verfolgt und von Peilwagen der Post und konnten dem aber mit ihrem Motorrad-Sender entfliehen."

Reichten anfangs 200 Künstlerinnen und Künstler ihre Bewerbungen ein, muss die Jury sich heute durch einen Berg von 2500 Einreichungen wühlen.

Eine Werkstatt ist das Festival geblieben, wo Frisches, Experimentelles - häufig mit aktuellen Anspielungen - im Vordergrund steht. In diesem Jahr steht das Festival unter dem Motto "Revolve" - Drehbewegung.

"Wir haben sehr viele motorengetriebene Objekte. Aber auch Bewegung im Sinne einer Videobewegung, des Schnitts, der Bewegung im Raum als virtuellem Raum und der Bewegung im realen physikalischen Raum."

Da fahren kleine Roboter herum und demonstrieren mit Nonsense-Parolen auf Pappschildern.

Auf einem hochformatigen Bildschirm pumpt sich eine Frau auf einem Bürostuhl in schwindelnde Höhe. Als sie die Oberkante des Monitors erreicht, hebt sich die obere Verkleidung des Bildschirms und es scheint, als werde sie gleich aus der virtuellen in die reale Welt emporstoßen - bis der Bürostuhl wieder auf gewohntes Maß zurücksinkt. "Sisyphus Actions" heißt die Arbeit der slowenischen Künstler Nika Oblak und Primoz Novak.

Ein ultraschnelles, hart geschnittenes Video wird auf drei Bildschirmen wie ein Triptychon im ehemaligen Altarraum der Kunsthalle Dominikanerkirche projiziert. Maskierte Jugendliche, gekleidet in rote Kapuzenpullover und schwarze Trainingshosen, führen "Parcour" vor. Der künstlerische Hindernislauf stammt ursprünglich aus den Banlieus französischer Großstädte. Hier geht es allerdings nicht über geparkte Autos und Müllcontainer - ausgerechnet einen Friedhof hat die spanische Gruppe "Democracía" als Schauplatz ihres Video gewählt, auf dem nun rotschwarze Irrwische über Gräber flitzen, an Wänden hochlaufen und atemberaubende Überschläge zeigen.

Aber auch langsamere Arbeiten sind unter den knapp 50 Exponaten zu finden. Etwa die auf drei Leinwänden simultan projizierten Filme von Melanie Manchot. Die Streifen zeigen eine Tanzveranstaltung in Paris, ein Straßenfest in London und ein Treffen von 1000 Kindern vor den Hamburger Deichtorhallen. Gruppen strömen zusammen und gehen wieder auseinander. Die in London lebende Künstlerin, Jahrgang 1966, hat den Menschenauftrieb selber inszeniert und mit drei Kameras gefilmt.

Melanie Manchot: "Es gibt in der Arbeit Momente des Gleichzeitigen, des Gegeneinanders, aber auch des Chaos. Und gerade dieses Verhältnis von Kontrolle zu dem Verlust von Kontrolle ist Teil dieser Arbeit. Denn es geht mir auch ganz stark um Bezüge zu aktuellem Geschehen des letzten Jahres, verschiedene Formen des Protestes, Demonstrationen, Krawalle, die wir das letzte Jahr gerade auch durch die Jugendbewegungen gesehen haben."

Das 25. European Media Art Festival hinterlässt den Eindruck: Mit neuen technischen Entwicklungen gehen Künstlerinnen und Künstler souverän um. Nicht der Technik-Hype, die Aussage steht im Vordergrund, oft gepaart mit Witz und Engagement.

Service:
Das European Media Art Festival in Osnabrück (EMAF) mit Performances, Filmen und Kongressen läuft noch bis zum 22. April 2012. Die Ausstellung "Revolve" ist noch bis 27. Mai 2012 in der Kunsthalle Dominikanerkirche zu sehen.