Kurz und kritisch

Rezensiert von Ernst Rommeney · 30.09.2012
Drei weitere Neuerscheinungen reflektieren auf ihre Art die Unvollkommenheit des Rechts beziehungsweise der Gerechtigkeit.
Adam Smith und Karl Marx ist gemeinsam, dass sie versprechen, was sie nicht halten können. Egal, ob der Mensch sich in ungezügelter Freiheit zu verwirklichen sucht, oder ob er sich in einer klassenlosen Gesellschaft vom Knecht zum Herrn emanzipieren will, stets setzt eine gesellschaftliche Ordnung ihm Grenzen. Denn verzichten kann er nicht auf sie, will er erfolgreich seines Glückes Schmied sein.

Freiheit kommt somit mit Unfreiheit, Selbstbestimmung mit Fremdbestimmung, Herrschen mit Beherrscht-Werden daher. Auf dieses Paradoxon hat Walter Benjamin hingewiesen. Und Peter Felixberger, Wirtschaftsjournalist und Programmdirektor des Murmann-Verlages, streicht es als Merkmal einer jeden politischen Idee heraus.

Ihn bewegt die Frage, warum sich die Debatte um die vielen Gerechtigkeitsbegriffe im Kreise dreht. Und beantwortet sie schließlich damit, dass es wohl müßig sei, ein einheitliches Konzept zu finden. Gerechtigkeit verlange nämlich fallbezogene Lösungen und werde dennoch immer unvollkommen bleiben.

Peter Felixberger: "Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?", Murmann Verlag Hamburg

Otto Rosenberg hat die Dreißiger Jahre, Auschwitz und andere Konzentrationslager überlebt, doch dabei seine Familie verloren. Dieses Verbrechen setzte ihm Zeit seines Lebens zu, mehr noch als die Schinderei, die er als Sinto selbst ertragen musste. Denn er sei ja noch jung gewesen, auch robust, weil er mit Kargheit und Hunger groß geworden war.

So hat er es dem Schriftsteller Ulrich Enzensberger erzählt, der es aufschrieb und den Leser der Autobiografie nun ebenfalls mit am Tisch des Vorstandsmitglieds im Zentralrat der Sinti und Roma sitzen lässt. Zu erfahren, wie sie, die Zigeuner, den bereits vielbeschriebenen Holocaust erlebt haben, empfand Klaus Schütz als das Besondere des Buches, als es erstmals 1998 erschien.

Drei Jahre, bevor er in Berlin starb, schildert Otto Rosenberg, wie wenig er das Unrecht begreifen konnte, das er erlebte, wie er abstumpfte angesichts der Leichenberge, die er täglich sah, wie sein Hass auf die deutschen Peiniger in ihm loderte. Weshalb er zornig wurde, wann immer sich im Nachkriegsdeutschland Bürokraten so überheblich verhielten, wie jene, die ihn einst rassisch verfolgt hatten.

Otto Rosenberg: "Das Brennglas", aufgeschrieben von Ulrich Enzensberger, Verlag Klaus Wagenbach Berlin.

Hatte der Vater einen guten Tag, konnte er auch nett sein, tröstet sich das eine Kind. Und ein anderes stellt überrascht fest, wie entspannt es in einer Familie zugehen kann, als es Schulfreunde besucht – draußen außerhalb der Berliner Quartiere des Ministeriums für Staatssicherheit.

Die Journalistin Ruth Hoffmann hat Erwachsene interviewt, die im konspirativen Milieu des Inlands- und Auslandsgeheimdienstes der DDR aufgewachsen sind, weil die Eltern dort offizielle Mitarbeiter waren. Gewiss, sie lebten privilegiert, aber wohl nur materiell gesehen.

Ansonsten kontrollierten und drangsalierten sie sich gegenseitig bis ins Privatleben hinein, sie verrieten die eigenen Angehörigen und zerstörten ihre Familien – aus Ehrgeiz, Überzeugung und auch Schwäche. Der soziale Druck aus der Behörde kam bei den Kindern mit Gefühlskälte, Strenge und Schlägen an.

Methoden des Terrors, gepaart mit Zynismus haben die alten Kommunisten von ihren nationalsozialistischen Gegner übernommen und dann kultiviert. Das führte zu einem Vertrauensbruch, der noch heute bleischwer an der Nachfolgepartei "Die Linke" hängt und das Selbstbildnis des Antifaschisten unglaubwürdig macht – beispielsweise in den Augen der eigenen Kinder.

Ruth Hoffmann: "Aufwachsen im Überwachungsstaat", Ullstein Verlag Berlin.
Cover Peter Felixberger: "Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?"
Peter Felixberger: "Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?"© Murmann Verlag
Cover Otto Rosenberg: "Das Brennglas"
Otto Rosenberg: "Das Brennglas"© Wagenbach Verlag
Cover Ruth Hoffmann: "Stasi-Kinder"
Ruth Hoffmann: "Stasi-Kinder"© Ullstein Verlag