Kritikerquartett zu Pierre Boulez

Struktur macht Charakter

Der französische Dirigent und Komponist Neuer Musik, Pierre Boulez, dirigiert am 17.10.2008 bei einer Generalprobe des Eröffnungskonzertes der Donaueschinger Musiktage das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.
Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez © picture-alliance / dpa / Rolf Haid
08.04.2015
Er ist ein Klassiker zu Lebzeiten geworden: Die Klaviermusik von Pierre Boulez liegt inzwischen in so vielen verschiedenen Aufnahmen vor, dass sich in kritisch vergleichender Absicht trefflich über sie streiten lässt. Die Kritiker dieser Kölner Formation machten das nicht zuletzt deshalb, um den Jubilar zu würdigen.
Das Quartett der Kritiker ist eine Initiative des Preises der Deutschen Schallplattenkritik. In regelmäßigen Abständen (und wechselnden Besetzungen) kommen vier der rund 145 Juroren aus dem deutschen Sprachraum zusammen, um vor einem Konzert über das jeweils gespielte Repertoire öffentlich zu diskutieren. Aufnahmen werden vorgestellt, verglichen und manchmal auch verrissen. Dabei geht es vor allem um das klassische Repertoire, das in entsprechend vielen Einspielungen vorliegt.
Zur zeitgenössischen Musik finden Kritikerquartette naturgemäß selten statt, da repräsentative Vergleichsaufnahmen nicht immer in ausreichender Zahl aufzutreiben sind und sich bei neuerer Musik das allgemeine Interesse zunächst mehr auf das Werk als auf dessen Interpretation konzentriert. Anlässlich eines Konzertes zum 90. Geburtstag von Pierre Boulez gab es eine Ausnahme: In der Kölner Philharmonie fand ein Kritikerquartett zur Boulezschen Klaviermusik statt – eine Werkgruppe, die längst zum Klassiker avancierte.
Obwohl Boulez eine pianistische Kompositionsweise stets vermieden hat, ist das Klavier „sein" Instrument, und er beherrschte es in jüngeren Jahren immerhin so gut, dass er als Pianist seiner eigenen virtuosen Musik auftreten konnte. Der Kern seines Schaffens für Klavier liegt in den Jahren zwischen 1945 und 1960; in dieser Zeit entstanden u. a. die drei Sonaten und die für zwei Klaviere gesetzten „Structures". Die ersten Einspielungen stammen bereits aus den 1950er Jahren und klingen aufnahmetechnisch viel historischer als die aufgenommene Musik. Im Laufe der Zeit wurde Boulez' Klaviermusik immer professioneller und souveräner dargeboten; berühmte Pianisten bis hin zu Maurizio Pollini traten als Boulez-Interpreten hervor. Hat diese bisweilen wilde Musik mit ihren abrupten Charakterwechseln darüber ihren „Stachel" verloren, oder stellt sie auch heute noch eine Herausforderung dar?
Das anschließende Konzert mit Nicolas Hodges und Michael Wendeberg überträgt Deutschlandradio Kultur am 9. April.
Kölner Philharmonie
Aufzeichnung vom 12. März 2015
Quartett der Kritiker – zu Gast im Deutschlandradio Kultur
Die Klaviermusik von Pierre Boulez
Eleonore Büning, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Max Nyffeler, freier Publizist
Michael Stegemann, freier Publizist
Michael Struck-Schloen, freier Publizist
Moderation: Olaf Wilhelmer
In Zusammenarbeit mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik