Kritik am neuen Bundesarchivgesetz

Gelöschtes Gedächtnis?

Bundesarchiv in Koblenz
Im Bundesarchiv in Koblenz (Rheinland-Pfalz) werden etliche Schriftstücke gelagert, darunter auch Akten über verstorbene Personen. © picture alliance/dpa/Foto: Thomas Frey
Von Christiane Habermalz · 11.01.2017
Das neue Bundesarchivgesetz, das am 20. Januar vom Bundestag verabschiedet werden soll, soll wissenschaftsfreundlicher sein als das alte. Bei Historikern und Archivaren stößt es aber auf Kritik. Sie fürchten, dass Behörden die neuen Vorgaben nutzen, um Amtsgeheimnisse zu bewahren.
Der deutsche Historikerverband VHD befürchtet "gravierende Überlieferungslücken im historischen Gedächtnis der Nation". Der Grund: Künftig soll staatlichen Behörden ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt werden, welche Akten sie wann an das Archiv abgeben, und welche sie löschen, so VDH-Vorsitzende Eva Schlotheuber:
"Das ist eine wesentliche Verschlechterung, aber vor allen Dingen halte ich es für eine ganz schwierige Angelegenheit, wenn wie im Falle der sensiblen Daten die Bundesbehörden selber entscheiden können, was archiviert wird und was nicht. Es ist das falsche Prinzip, dass die Akteure selber über das Gedächtnis ihres eigenen Handelns verfügen."
Gemeint ist ein Passus, der bestimmte Unterlagen von der Anbietungspflicht an die Archive ausnimmt: und zwar, wenn sie nach gesetzlichen Regelungen dem Datenschutz unterliegen und deswegen nach einer gewissen Zeit gelöscht werden müssen - etwa das Bundeszentralregister oder Daten der Ausländerbehörde. So könnten auf Bundesebene Daten wie das Ausländerzentralregister gelöscht werden, die im Rückblick in anonymisierter Form wichtig seien zum Beispiel für die Bewertung des Erfolges von Integrationsmaßnahmen. Für bedenklich halten die Historiker auch die Ausnahmeregelungen für die Geheimdienste, die Akten nach einer Schutzfrist von 30 Jahren nur dann übergeben müssen, wenn zwingende Gründe des Methoden- oder Quellenschutzes nicht entgegenstehen.
"Gerade nach den bekanntgewordenen Aktenvernichtungen im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen verwundert die Rücksichtnahme gegenüber den Diensten schon",
sagt Clemens Rehm. Er ist Leiter des Landesarchivs Baden-Württemberg, spricht hier aber als Vertreter der ständigen Konferenz der Archivleiter von Bund und Ländern, KLA.
"Die Kontrolle, zumindest im Nachhinein, ist zentrale Funktion für jedes öffentliche Archiv. Und dafür ist es aber notwendig, dass die Unterlagen und Daten den Archiven überhaupt angeboten werden, und dass sie unabhängig über die Archivwürdigkeit entscheiden und diese Daten und Informationen dann auch jedermann zugänglich gemacht werden können."
In den meisten Landesarchivgesetzen sei daher eine klare Abgabepflicht aller Unterlagen an die Landesarchive festgelegt. Auch auf Bundesebene gibt es eine grundsätzliche Anbietungspflicht der Behörden an die Archive. Dann heißt es aber, die Unterlagen "sollen" spätestens 30 Jahre nach ihrer Entstehung dem Bundesarchiv angeboten werden. Eine Gummiformulierung, so Clemens Rehm:
"Das heißt, wenn eine Behörde bestimmte Unterlagen überhaupt nicht anbieten will, kann sie die letztlich auf Dauer der Öffentlichkeit vorenthalten."

Sollten Politiker amtliche Unterlagen in öffentlichen Archiven lagern?

Der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann, kann die Aufregung seiner Kollegen an diesem Punkt nicht nachvollziehen. Es gehe hier vor allem um eine praktikable Handhabe. Anders als in den Ländern seien die Bestände an Unterlagen auf Bundesebene so groß, dass das Bundesarchiv sie unmöglich alle sichten könne. Eine gewisse Vorauswahl durch die Behörden hätte in der Vergangenheit zu keinerlei Problemen geführt. In den Augen Hollmanns überwiegen die positiven Punkte der Neuregelung - etwa die dringend benötigte Rechtssicherheit bei der Archivierung digitaler Unterlagen. Das geltende Bundesarchivgesetzes stammt noch aus vordigitaler Zeit aus dem Jahr 1988 - ein Großteil der Akten wird aber mittlerweile digital gespeichert.
Ein wichtiger Fortschritt für die Wissenschaft ist die Verkürzung der Schutzfrist, nach der personenbezogene Daten an die Archive gegeben werden, von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person, für Amtsträger und Personen der Zeitgeschichte entfällt diese Schutzfrist ganz. Hollmann findet einen ganz anderen Punkt problematisch: Die Tatsache, dass nicht geregelt wird, dass Politiker ihre amtliche Unterlagen nach ihrem Ausscheiden einfach mitnehmen und diese dann als Nachlass an die Parteistiftungen wandern:
"Zum Beispiel die Unterlagen von Egon Bahr über seine Gespräche in Moskau im Vorfeld der Ostverträge, die sich eben nicht in den Unterlagen des Kanzleramtes oder des politischen Archivs des Auswärtigen Amts liegen, sondern im Nachlass Bahr im Archiv der sozialen Demokratie. Ich bin durchaus der Meinung, dass es sich nicht um private Unterlagen von Egon Bahr handelt, sondern um amtliche Unterlagen, die auch im amtlichen Kontext überliefert werden sollten."
Offenbar haben am neuen Bundesarchivgesetz nicht nur die einzelnen Ministerien eifrig mitgeschrieben, sondern auch die Parteien. Im Hause der Kulturstaatsministerin Monika Grütters weist man die Kritik der Historiker und Archivare zurück. Das Gesetz sei ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen von Archiven, Wissenschaftlern und Bundesbehörden. In den Ländern könne man mit sensiblen Daten anders umgehen, weil man dort eben auch keine Geheimdienste, kein Auswärtiges Amt und keine Bundeszentralregister habe, sagte ein Sprecher von Monika Grütters. Am kommenden Donnerstag wird der Bundestag über den Gesetzentwurf abstimmen.
Mehr Informationen zum Bundesarchiv finden Sie auf dessen Homepage.
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