Kriminalroman

Korrupte Polizisten in Glasgow

Blick auf das Polizeihauptquartier in Glasgow.
Blick auf das Polizeihauptquartier in Glasgow. © picture-alliance / dpa / Lars-Marten Nagel
Von Thomas Wörtche · 18.12.2014
Die schottische Schriftstellerin Denise Mina hat ihre Serienfigur Inspector Alex Morrow in ein hartes Umfeld gepflanzt: Glasgow ist der der ideale Schauplatz für ihren komplexen, vielschichtigen Roman "Das Vergessen" um mehr oder weniger korrupte Polizisten und kriminelle Anwälte.
Am 31. August 1997 verunglückte Lady Di tödlich in Paris. In Denise Minas Roman "Das Vergessen” bringt in eben dieser Nacht im schottischen Glasgow ein Mensch zwei andere um. Alle, die mit der Straftat zu tun haben – der Täter, Polizisten, Anwälte, Zeugen, Helfer – werden sich später, also in der Jetztzeit, in der der Roman hauptsächlich spielt, nicht damit herausreden können, sich nicht mehr an die Ereignisse von damals zu erinnern. Zu tief hat sich dieser Tag ins kollektive Gedächtnis des United Kingdom eingegraben.
Damals, 1997, beschloss ein Polizist, der aus karrieristischen Gründen korrupt werden wollte, um im Leben voranzukommen, die Mordermittlungen nicht an der Suche nach Wahrheit auszurichten, sondern an den Interessen seines Klienten, Männern des organisierten Verbrechens.
Detective Inspector Alex Morrow, eine Serienfigur der schottischen Schriftstellerin Denise Mina, muss, als es in der Gegenwart um seltsame Todesfälle rund um eine renommierte, aber auch entschieden kriminelle Anwaltskanzlei geht, auf gefährlich vermintem Gelände zu graben anfangen, bis sie auf jene Nacht von 1997 stößt.
Glasgow, "zu zynisch, um wirklich zu trauern", ist Denise Minas Stadt – ein traditionell hartes Pflaster, nicht folkloregeeignet. Und genau deswegen der ideale Schauplatz für einen komplexen, vielschichtigen Roman, der seine Figuren genau anschaut, sie detailliert beschreibt, sie adäquat agieren lässt und bei aller Verwicklung der Handlungsstränge nicht auf überkonstruierte Plots zurückgreift.
"Gesprenkelte Charaktere"
Die Figuren sind in der Mehrzahl "gesprenkelte Charaktere" – Morrow hat einen prekären Kredit aufgenommen, der Chef der kriminellen Kanzlei ist ein echter Philanthrop, ein adliger Anwalt, ein Wüstling und dennoch ein netter Kerl, und aus einer Mörderin wird ein anständiger Mensch.
Die meisten Polizisten sehen zu, wie sie durchkommen, manche sind mehr, manche weniger korrupt. Die meisten haben sich den Sitten und Gebräuchen der Behörde angepasst, und die Behörde selbst folgt politischen und wirtschaftlichen Interessen.
All das berücksichtigt der Roman – er erzählt es einfach, ohne ein größeres "Skandal-Skandal!"-Geschrei anzustimmen. Ein wichtiges Thema des Romans, das in jüngster Zeit immer mehr Autoren relevanter Kriminalliteratur umtreibt: Wie weit die Ordnungsmacht und die anderen "Organe" noch im Sinne der Allgemeinheit agieren oder nur noch Einzel- und Profitinteressen schützen und bedienen.
Mangelnder Kuschelfaktor
Und Denise Mina zeigt, ebenfalls völlig unaufgeregt, was solche Verhältnisse mit den Polizisten machen – und mit den "Opfern" schlimmer Polizeiarbeit. Joseph Wambaugh, der Begründer der neuen Cop Novel, hat einmal gesagt, ihn interessiere weniger "das Verbrechen", sondern wie der Job an den Polizisten arbeitet. Mina führt beide Varianten zusammen: Sie interessiert, wie die Dialektik zwischen Job und den ganzen komplexen Verhältnissen, in denen sich der Job abspielt, aussieht.
Nur: Letztendlich polizeifromm, wie viele ihrer Kollegen, ist Mina kein bisschen. Ihre Alex Morrow taugt nicht als Glasgow-Souvenir wie Ian Rankins Hauptfigur Inspector Rebus für Edinburgh. Vermutlich ist es dieser mangelnde Kuschelfaktor, die sie bei uns zur noch eher unbekannten Autorin macht. Alle ihre Romane, so wie "Das Vergessen" auch, jedoch sind sehr seriöse, sehr gute Kriminalromane auf der Höhe der Zeit.

Denise Mina: Das Vergessen
Roman. Deutsch von Heike Schlatterer
Heyne, München 2014
350 Seiten, 9,90 Euro

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