Krim-Krise

EU behält Pfeile im Köcher

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Dänemarks Regierungschefin Helle Thorning Schmidt (Mitte) und Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeld beim EU-Gipfel in Brüssel
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Dänemarks Regierungschefin Helle Thorning Schmidt (Mitte) und Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeld © dpa / picture alliance / Olivier Hoslet
Von Annette Riedel, Büro Brüssel · 21.03.2014
Sanktionen gegen Russland werden in Brüssel vorbereitet, aber aktuell nicht beschlossen. Das hat handfeste ökonomische Interessen – Europa muss seine Abhängigkeit von Gas und Öl aus Russland verringern.
Es gibt nur eines, was kurzfristig noch weniger Wirkung entfaltet als Sanktionen: Sanktionen, die man ankündigt und dann nicht umsetzt. Insofern hatte die EU gar keine andere Wahl, als an den Daumenschrauben gegenüber Russland zu drehen. Jedenfalls ein bisschen. Über das richtige Maß lässt sich trefflich streiten.
Will man mit Putin in Sachen Krim und Ukraine im Gespräch bleiben, ihm zugleich Appetit auf weitere Landnahme unterstellt, dann gilt es, ein paar Pfeile im Köcher zu behalten. Um gegebenenfalls bei den Sanktionen nachlegen zu können. Um Sanktionen und Gegensanktionen sich nicht jetzt unaufhaltsam zu einem veritablen Handelskrieg hochschaukeln zu lassen. Niemand hätte etwas davon. Die Ukraine nicht. Russland nicht. Die EU nicht. Die Welt nicht.
Es ist nicht nur Klugheit und Weitsicht, die die EU an den Tag legt, wenn sie – der Mehrheit ihrer Mitgliedsländer folgend – Wirtschaftssanktionen gegen Russland vorbereitet, aber aktuell nicht beschließt. Es sind handfeste ökonomische Interessen. Die EU-Länder hätten einen Preis dafür zu zahlen, wenn sie auf die wirksamste Variante von Wirtschaftssanktionen setzten: Wladimir Putins Russland auf seinem Gas und Öl sitzen zu lassen. Gas und Öl, von dem sie selbst unterschiedlich stark abhängig sind. Die Bereitschaft, diesen Preis zu zahlen, ist nicht zuletzt abhängig von der Geografie. Östliche EU-Länder, Ex-Sowjetländer fürchten momentan Putins Russland mehr als sie Konsequenzen für ihre eigenen Volkswirtschaften fürchten.
Putins "neue Nuklearwaffe"
Man muss nicht einmal so weit gehen wie der ukrainische Übergangs-Regierungschef Jazenjuk, der heute davon sprach, dass die europäische Abhängigkeit von Energie aus Russland Moskau eine Waffe in die Hand gibt, die einer "neuen Nuklearwaffe" gleich kommt, um eines zu begreifen: Echte Energiesicherheit gibt es für die EU nur, wenn sie ihre Energie-Importe auf mehre Beine stellt, wenn sie ihre Energieeffizienz steigert. Wenn sie deutlich stärker noch als bisher auf heimische Energiequellen setzt.
An diesem Punkt spätestens wird klar, wie sehr die Gipfelthemen zusammenhängen – Ukraine, Energie und auch die Klimapolitik, die heute ebenfalls diskutiert wurde.
Falls vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise die gewünschte größere Konzentration auf "heimische Energiequellen" bedeutet, dass man bedingungslos auf alles setzt, auch die emissionsintensive Kohle, sofern es sich nur verbrennen lässt, koste es das Klima, was es wolle, dann ist unwahrscheinlicher denn je, dass Europa seine wichtige Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik wird halten können.
Argumente für Kohle-Abhängige
Die Bremser unter den EU-Ländern – die Polen etwa mit ihrer extremen Abhängigkeit von Kohle – könnten über den Konflikt mit Moskau Argumentationshilfe bekommen haben. Genau wie manch weiteres EU-Land teilen sie ohnehin nicht die deutsche Auffassung, dass ambitionierte, verbindliche Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Steigerung von Energieeffizienz gut sind für dreierlei: für Wachstum, größere Energiesicherheit und für besseren Klimaschutz.
Ähnlich wie beim richtigen Maß von Sanktionen gegen Russland wird sich innerhalb der EU über die Weichenstellungen bei der Klimapolitik und der Energiepolitik noch geraume Zeit trefflich streiten lassen. Aber einigen müssen sie sich im bestverstandenen Eigeninteresse am Ende doch.
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