Krim-Konflikt

Hoffnung auf wirksame Sanktionen

Ralf Fücks im Gespräch mit Ute Welty  · 08.03.2014
In der Ukraine sei die Hoffnung auf wirksame Sanktionen gegen Russland groß, sagt Ralf Fücks. Europa solle Putin signalisieren "bis hierher und nicht weiter", so der Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung. Außerdem kritisiert er die deutsche Berichterstattung, die den Umsturz als reaktionäre oder gar faschistische Bewegung darstelle. Solche Kräfte seien eine kleine Minderheit.
Ute Welty: Es ist so etwas wie die traurige, wahre und brandgefährliche Variante des Märchens vom Hasen und vom Igel. Immer wenn in der Krim-Krise das kleinste Anzeichen von Entspannung erkennbar wird, wird vom Gegenüber die nächste Eskalationsstufe gezündet. Russland hat der Krim inzwischen die Aufnahme angeboten und provoziert damit weitere europäische Solidaradressen für die Ukraine. So auch die von Ralf Fücks, dem Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, der sich zurzeit in Kiew aufhält. Guten Morgen, Herr Fücks!
Ralf Fücks: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Inwieweit ist Ihre Reise ein Zeichen der europäischen Solidarität mit der Ukraine? Böse Zungen könnten ja behaupten, es handelt sich auch bei dem Besuch von Sigmar Gabriel, dem SPD-Vorsitzenden, um eine Art Katastrophentourismus?
Fücks: Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet seit vielen Jahren in der Ukraine. Wir haben viele Partner aus der Zivilgesellschaft, von Frauengruppen bis zu Umweltinitiativen. Insofern ist das sicher kein Polittourismus, sondern es ist Teil der sehr langfristig angelegten Solidarität mit der Demokratiebewegung in der Ukraine und einer europäischen Perspektive für dieses Land.
"Eine europäische Freiheitsbewegung"
Welty: Was können Menschen wie Sie, wie Gabriel, konkret ausrichten?
Fücks: Ich habe natürlich nur einen sehr, sehr kleinen Hebel. Ich sitze nicht in der Regierung und entscheide auch nicht über Wirtschaftshilfen in Milliardenhöhe. Für mich geht es jetzt eher darum, noch ein genaueres Bild von der Situation zu bekommen, mit Abgeordneten zu sprechen, mit NGO-Leuten sehr intensiv, mit den Mitarbeiterinnen unseres Büros, die fast alle aktiv am Maidan beteiligt waren.
Und was ich tun kann, was wir tun können, ist, das Bild gerade zu rücken, was so häufig in Deutschland von diesem Umsturz gezeichnet wird, als wäre das eine ultranationalistische, reaktionäre oder sogar faschistische Bewegung. Das ist wirklich ein schlimmes Zerrbild. Es gibt sehr unappetitliche Kräfte auch auf dem Maidan in dieser Bewegung, aber sie sind nur eine kleine Minderheit. Im Kern geht das um eine europäische Freiheitsbewegung, auch eine soziale Revolution. Ich habe gestern mit Militanten auf dem Maidan gesprochen: Da geht es sehr stark auch um soziale Motive, Gesundheitsversorgung ohne, dass man immer Schmiergeld bezahlen muss. Dass man nicht monatelang auf seine Löhne warten muss – das ist eine richtige Volksbewegung.
Welty: Wenn Sie von Bild und Zerrbild sprechen, wie ordnen Sie dann die Meldung ein, dass es den Verdacht gibt, die Opposition habe die Scharfschützen auf dem Maidan bezahlt?
Fücks: Ich halte das für ein wildes Gerücht, für dass es überhaupt keinerlei Belege gibt. Die Ärztin, auf die sich der estnische Außenminister sozusagen beruft, hat selbst inzwischen dementiert gegenüber dem "Guardian", dass sie gar keinen Vergleich anstellen kann zwischen den Schusswunden der Demonstranten und den Schusswunden von Sonderpolizisten also auf der anderen Seite, weil sie selbst nur Demonstranten behandelt hat. Es muss tatsächlich aufgeklärt werden, von wem dieses Massaker ausging, dem über 90 Aktive auf dem Maidan zum Opfer gefallen sind. Ob das die Berkut-Truppen - die Sondermilizen des Innenministeriums - waren oder ob das dritte Kräfte waren, die in der Lage waren, hochspezialisierte Scharfschützen mitten in der Stadt zu platzieren. Dass das von der Opposition ausging, halte ich wirklich für eine irre sozusagen Verschwörungstheorie. Das ist im Grunde nur die Delegitimation des Aufstands.
"Neues ukrainisches Selbstbewusstsein"
Welty: Wer kann, wer soll aufklären?
Fücks: Das muss jetzt natürlich die neue Regierung tun. Oder das Parlament etwa eine Untersuchungskommission einrichten, die noch einmal genau die Vorfälle rekonstruiert, die zu dieser Eskalation geführt haben.
Welty: Begegnen Sie Gesprächspartnern eigentlich auf Augenhöhe? Es ist ja alles sehr im Schwange, im Umschwung mit den Wahlen Ende Mai?
Fücks: Ja. Es gibt schon ein neues Selbstbewusstsein in der Ukraine, dass sozusagen eine Gesellschaft, die mit vielen Hunderttausend Beteiligten – das war ja nicht nur in Kiew, das war landesweit, sogar im Osten hat es große Demonstrationen und Kundgebungen gegen Janukowitsch gegeben – über viele Monate einen solchen zivilen Widerstand organisiert hat. Die ein solches Durchhaltevermögen bewiesen hat mitten im Winter, und dann auch einen solchen Mut, sich gegen den staatlichen Gewaltapparat durchzusetzen. Das erzeugt schon ein neues politisches Selbstbewusstsein. Viele meiner Gesprächspartner sagen, es gibt die Zeit vor und es gibt die Zeit nach dem Maidan, und jetzt entsteht eine neue Ukraine.
Welty: Haben Sie den Eindruck dass sich der Blick auf die Krim-Krise im Moment ein bisschen, na, wie soll ich sagen, dass der den Erfolg der Opposition ein bisschen schmälert?
Fücks: Ja natürlich, da haben wir große Sorge, dass nicht nur die Krim für die Ukraine verloren geht durch einen wirklich Orwell-haften völkerrechtswidrigen Akt, dass so getan wird, als sei das eine Frage der Selbstbestimmung der Bevölkerung auf der Krim unter Ausnahmezustand und ohne jede rechtliche Grundlage, ein solches Referendum durchzuführen. Das ukrainische Fernsehen kann in großen Teilen nicht mehr empfangen werden auf der Krim. Das heißt, die Leute sind auch von anderen Informationsquellen als den russischen völlig abgeschnitten. Das ist einfach eine Farce.
Aber darüber hinaus gibt es sozusagen die Sorge, dass das nur der Auftakt war, und dass versucht werden wird, auch die Ostukraine wirtschaftlich, politisch und letztlich militärisch zu destabilisieren. Und es gibt große Hoffnungen, dass Europa jetzt den Rücken gerade macht und gegenüber Putin signalisiert, bis hierher und nicht weiter. Also bereit ist, doch zu wirtschaftlichen Sanktionen, die Wirkung erzielen auf der russischen Seite. Vielleicht auch noch mal ein neues Nachdenken, dass der Preis zu hoch ist.
"Es bildet sich eine politische Nation"
Welty: Inwieweit lenkt die Krim-Krise ab vom eigentlichen und vielleicht auch viel größeren, dass in der Ukraine so etwas wie Nation Building erforderlich ist?
Fücks: Das hat wohl über die Maidan-Bewegung stattgefunden, an der ja alle ethnischen Gruppen in der Ukraine beteiligt waren, auch viele Russen. Ich habe zum Beispiel gestern auf dem Maidan mit Leuten gesprochen, und zwar mit denen, die in den Zelten da leben, also dem harten Kern, mit unserem Büroleiter, der spricht fließend Ukrainisch und Russisch. Wir haben die auf Ukrainisch angesprochen, sie haben auf Russisch geantwortet. Also, das war eine Bewegung über die verschiedenen ethnischen Gruppen hinweg, und jetzt, die russische Invasion, führt vermutlich gerade dazu, dass es nicht eine stärkere Spaltung gibt zwischen ethnischen Ukrainern und russischstämmigen Menschen, sondern eher umgekehrt eine politische Nation sich herausbildet, die sich nicht mehr ethnisch definiert. Und auch das müssen wir jetzt verteidigen, wenn wir die Einheit der Ukraine politisch verteidigen. Da geht es auch um das Prinzip multikultureller Nationen.
Welty: Direkt aus Kiew der Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Mein Dank fürs Gespräch geht an Ralf Fücks, dem ich noch gute Gespräche wünsche in Kiew und einen sicheren Rückflug!
Fücks: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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