Kriegsberichte

Die Opfer wollen gehört werden

Moderation: Susanne Führer · 20.02.2014
Opfer, Historiker, Journalisten oder Täter - sie alle können vom Krieg berichten. Wie verschieden deren Blickwinkel und Erzählweisen sind, untersucht eine Tagung in Berlin. Organisiert hat diese die Reporterin Carolin Emcke, die selbst in Krisengebieten recherchiert.
Susanne Führer: "Krieg erzählen“ heißt schlicht eine Tagung, die heute im Berliner Haus der Kulturen der Welt beginnt, geplant, organisiert von der Journalistin Carolin Emcke und dem Historiker Valentin Groebner. Vom Krieg erzählen, das machen viele: die Zeitzeugen, Opfer, Betroffene, Journalisten, Historiker, Schriftsteller, dann gibt es noch die Theoriebildenden, Philosophen, Soziologen, die Künstler. Ich habe mit Carolin Emcke, die selbst als Kriegsberichterstatterin gearbeitet hat, ich habe mit ihr kurz vor dieser Sendung gesprochen und sie gefragt, um welche beziehungsweise um wessen Kriegserzählungen es denn auf dieser Tagung geht.
Carolin Emcke: Wir versuchen, genau alle diese verschiedenen Blickrichtungen zu kombinieren. Das, was uns bei dieser Tagung "Krieg erzählen“ besonders interessiert, ist genau mal nicht nur den Blick auf einzelne Konflikte oder einzelne Krisenherde zu richten, sondern tatsächlich über das Erzählen nachzudenken, also über die Frage, wie erzählen wir, wie berichten wir, wie beschreiben wir diese Erfahrungen, die ganz unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Sprecher(innen)-Positionen gemacht haben.
Das heißt, es gibt, glaube ich, kein einziges Gespräch, bei dem nur ein Genre des Sprechens zugelassen ist, sondern wir haben tatsächlich Wissenschaftler kombiniert mit Soldaten, wir haben Schriftstellerinnen kombiniert mit Menschenrechtsaktivisten, wir haben Blogger kombiniert mit Erzähltheoretikern. Genau das ist der Witz, dass wir verschiedene Formen des Erzählens über den Krieg kombinieren.
Unterschiedliche Zuhörer, unterschiedliche Erzählweisen
Führer: Bleiben wir mal zunächst noch beim buchstäblichen Erzählen, also beim Sprechen, beim Reden und bei den ersten, die vom Krieg erzählen können, nämlich die Betroffenen, die Opfer von Gewalt. Zu den Tätern kommen wir nachher vielleicht noch. Die brauchen ja, um zu erzählen, auch jemanden, der zuhört oder die zuhört. Inwieweit bestimmt das Publikum, also die Person, die zuhört, auch mit, was erzählt wird?
Emcke: Das ist eine ganz, ganz wichtige Frage, die oft unterschätzt wird. Ganz oft denken wir an Menschen, die Opfer von Krieg und Vertreibung, von Folter oder Vergewaltigung geworden sind, nur im Zusammenhang zu ihrer eigenen Erfahrung und nicht auch im Zusammenhang zu dem Adressaten. Es muss in der Tat, genau wie Sie sagen, eben auch ein Forum geschaffen werden. Das, was zerbrochen ist bei der Gewalterfahrung, ist zunächst einmal, wie Jean Améry sagen würde, das Vertrauen in die Welt. Das heißt, beim Krieg erzählen geht es genau auch darum, dass es einen Zuhörer(innen)-Kreis, eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft geben muss, die bereit ist, sich diese Erzählungen anzuhören.
Und, um es mal praktisch zu sagen: Es macht natürlich einen riesigen Unterschied, ob ich von einer Vergewaltigung im Krieg einer Frau oder einem Mann erzähle. Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich jemandem erzähle, die selber Zeugin oder Betroffene dieser Ereignisse war, oder ob ich mit Wildfremden davon spreche.
In der Tat, die Frage ist ganz, ganz elementar: Wem werden diese Geschichten erzählt, um möglichst wahrhaftig und genau diese Kriegserfahrung dokumentieren zu können?
Führer: Und wer will sie hören? Das ist ja auch eine Frage. Wenn ich jetzt mal von dem häufigsten Fall ausgehe, nämlich Journalisten sind in Kriegsgebieten oder auch in ehemaligen Kriegsgebieten und versuchen, daraus eine Geschichte zu machen, und dann gibt es das Publikum und das sagt irgendwann, warum soll ich mir das jetzt auch noch anhören: Heute Syrien, gestern Ruanda, dazu Somalia, Irak, Tschetschenien. Es gibt ja auch so eine Art von Überforderung und so einen Fluchtreflex, der sagt, es reicht doch, wenn ich weiß, Krieg ist grausam, ich will die Details nicht mehr hören.
Die Kraft der Öffentlichkeit
Emcke: Ja. Nun fragen Sie mich als jemand, die hauptberuflich sozusagen genau diese Aufgabe hat, einerseits Zuhörerin zu sein Menschen gegenüber, die solche Gewalterfahrungen gemacht haben – ich reise in Kriegsgebiete, ich versuche, zunächst einmal eine gute Zuhörerin zu sein, und dann bin ich sozusagen in einer Doppelrolle und bin auch Erzählerin dieser Geschichten für andere, die diese Gegenden nicht bereist haben, diese Erfahrungen nicht gemacht haben.
Und in der Tat: Natürlich gibt es das, dass Menschen dann sagen, das interessiert mich nicht mehr, ich will das nicht wissen. Da habe ich jetzt als professionelle Zeugin eine relativ einfache Haltung: Ich will, dass es mindestens keine Unschuld des Nichtwissens mehr gibt.
Führer: Sie können ja nichts tun im Allgemeinen. Ist das nicht auch ein normaler Reflex zu sagen, ich sitze hier in Hamburg oder in Duisburg und es ist Krieg in der Zentralafrikanischen Republik, es ist grausam. Aber muss ich jetzt hören, wie die Menschen sich dort gegenseitig die Hände abgehackt haben?
Emcke: Ja, ich finde schon. Natürlich ist das eine moralische Überforderung, angesichts all der vielen verschiedenen Kriegsgebiete und Krisenherde auf der Welt, von allen diesen Gegenden informiert zu werden. Und trotzdem nehme ich Ihnen sozusagen Ihr Argument auch nicht richtig ab, weil ich sagen würde, dieses Gefühl von nichts tun können, da würde ich zwei Dinge drauf antworten. Einerseits: Ja, dann musst Du das eben aushalten. Das, finde ich, ist der mindeste Preis für das rein zufällige Privileg, das wir in Gegenden leben dürfen und geboren sind, in denen kein Krieg herrscht.
Das andere, da würde ich sagen: Ich glaube, es gibt doch schon sehr viel mehr, das man tun könnte, und ich glaube, die komplette Lähmung darf auch nicht statthaben. Zum einen: Es kommen sehr, sehr viele Menschen aus diesen Gegenden zu uns nach Europa und die wohnen sehr nah bei uns. Die wohnen in Flüchtlingsheimen, in Asylbewerberheimen. Jeder einzelne Flüchtling, der hier herkommt, ist dankbarst über jede Form von Hilfe oder Ansprache, die er erhält.
Und natürlich gibt es ganz klassisch – da bin ich jetzt auch altmodisch und naiv: Ich glaube natürlich noch an die Kraft einer Öffentlichkeit, die Anteil nimmt und auch diese Erzählungen vom Krieg ernst nimmt.
Führer: "Krieg erzählen“ heißt eine Tagung, die heute im Berliner Haus der Kulturen der Welt beginnt, kuratiert von der Journalistin und Autorin Carolin Emcke, die jetzt zu Besuch bei uns ist. Frau Emcke, wir haben jetzt ganz viel über das arme Publikum gesprochen. Das bringt vielleicht auch ein bisschen eine Schieflage dort rein. Wir wissen ja auch, dass es den Opfern von Gewalt, der Zivilbevölkerung, die Opfer eines Krieges geworden ist, oft unglaublich schwer fällt, von diesem Erlittenen zu erzählen. Zum einen schämen sich viele dafür, das kennen wir ja auch aus der Vergewaltigungsforschung, und andere sagen, ich will da auch nicht mehr dran rühren, ich will da nicht mehr irgendwie reinsteigen. Und dann kommen die Journalisten aus diesem reichen, wohlhabenden, geordneten Deutschland zum Beispiel und setzen sich dahin und haben häufig auch fast so eine Art Ehrgeiz, ich will die Geschichte jetzt aber hören.
"Deine Geschichte zählt"
Emcke: Das ist aus meiner Erfahrung überhaupt nicht der Fall. Ich bin 14 Jahre lang in Kriegsgebieten auf Reisen gewesen und wenn ich irgendetwas wieder und wieder ganz egal in welcher Gegend erlebt habe, ist es, dass Opfer von struktureller Gewalt und Vertreibung einen flehentlich bitten, man möge diese Geschichte aufschreiben.
Es ist keineswegs so, dass man da rumläuft und hinter Leuten hertrappelt, damit sie ihre Geschichte erzählen, sondern im Gegenteil: Das was die als Grunderfahrung haben, ist Ausgrenzung, ist ausgeschlossen sein, ist eingeschlossen sein, ist als Individuum negiert zu werden. Und das heißt: Irgendjemanden da zu haben, der sagt, "Deine Geschichte zählt, das was Dir widerfahren ist, ist Unrecht", ist erst mal überhaupt, sie wieder aufzunehmen in eine menschliche Gemeinschaft.
Schwellen des Sagbaren
Das andere, was Sie sagen: Natürlich gibt es eine ganze Reihe von, ich würde mal sagen, Schwellen des Sagbaren in Krisengebieten. Es gibt natürlich Angst, es gibt Scham, es gibt übrigens auch Stigmatisierungen, die möglicherweise verhindern, dass Menschen so ganz einfach ihre Geschichten erzählen. Dazu muss man auch sagen, jenseits von der Frage, wie gut sich eine solche Erfahrung erzählen lässt: Davor ist noch, wie gut eine solche Erfahrung sich überhaupt verstehen lässt. Krieg ist eine Anomalie. Wir wollen nicht, dass das stimmt, was dort geschieht. Wir wollen es uns nicht vorstellen, dass Menschen einander das antun. Das heißt, es gibt auch wirkliche Schwellen des Verstehens. Man kann manchmal gar nicht glauben, dass das geschehen ist, und das sind alles Faktoren, die diese Erzählung vom Krieg erschweren.
Führer: Und da kommen die Täter ins Spiel. Sonst gäbe es keinen Krieg. Was ist mit deren Erzählungen?
Emcke: Ob die Täter sprechen und das, was sie selber angerichtet haben, erzählen, ist kaum auf eine einfache These runterzubrechen, und aus vielen Kriegen zu verschiedenen historischen Phasen kennen wir Täter, die überhaupt keine Scham kennen, die derart ideologisch aufgeladen, überzeugt sind, dass ihre Opfer genau diese Misshandlung verdienen. Erinnern wir uns an Abu Ghraib, erinnern wir uns an die Soldaten der amerikanischen Armee, die sich selbst dabei fotografiert haben, wie sie andere Menschen misshandelt haben. Da gibt es keinerlei Schuldbewusstsein dafür. Das heißt, da misshandeln Menschen andere und dokumentieren das auch noch gleichzeitig, und das heißt, es gibt durchaus zeitgleich, während diese Verbrechen geschehen, oftmals Tätererzählungen oder Dokumentationen bar jeder Scham. Anders ist natürlich das, wenn es dann anschließend eine Strafverfolgung durch den Internationalen Gerichtshof gibt oder Den Haag. Da klingen die Geschichten dann schon ganz anders.
Führer: Natürlich. Aber ich wollte sagen, sie gehören unbedingt zur Kriegserzählung dazu!
Emcke: Absolut! Es gehören ganz, ganz unterschiedliche Blickrichtungen dazu. Es gehören ganz unterschiedliche Sprecherpositionen dazu. Und diese ganzen verschiedenen Bruchstücke, die immer jeweils unvollkommen vielleicht sein mögen und vielleicht auch gestottert und geholpert, alle zusammen erst komplettieren das Bild vom Krieg.
Führer: Heute beginnt in Berlin die Tagung "Krieg erzählen". Kuratiert wird sie vom Historiker Valentin Groebner und der Journalistin Carolin Emcke, die wir gerade im Gespräch gehört haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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