Kreuzzug gegen visuelle Verschmutzung

Von Klaus Hart · 09.01.2007
Die brasilianische Millionenstadt Sao Paulo hat seit Jahresbeginn einen Kreuzzug gegen visuelle Umweltverschmutzung gestartet. Großflächige Außenwerbung wird radikal beseitigt. Lateinamerikas Kulturmetropole will damit weltweit ein Beispiel geben. Die Werbebranche protestiert heftig gegen das neue Munizipalgesetz.
Die drittgrößte Stadt der Welt verändert derzeit täglich ihr Gesicht und die Einwohner kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auf einmal ist der Blick auf schöne alte Häuserfassaden und sogar auf Parks nicht mehr durch hässliche, teils gigantische Werbeflächen verstellt. Arbeiter der Präfektur reißen sie systematisch teils mit schwerem Gerät nieder. Nicht selten steht Bürgermeister Gilberto Kassab gleich daneben und feuert seine Leute an.

"Unsere Philosophie ist, dass Umweltverschmutzung auch in den großen Städten bekämpft und durchaus besiegt werden kann. In Sao Paulo zählt sie zu den größten Problemen – auch die visuelle Umweltverschmutzung, welche die Stadt regelrecht verschluckt. Doch jetzt räumen wir auf, sagen wir allen: Schluss damit! Die Präfektur tut das ohne jegliche Hemmungen, hat die Sympathie der Öffentlichkeit, der Medien. Ich hoffe, wir werden bei diesem Kreuzzug siegreich sein und der ganzen Welt ein Beispiel geben. Wir wollen nicht mehr diese aggressive, unlautere, gewaltsame, aufgezwungene Propaganda, die doch alle attackiert!"

Firmenwerbung, Geschäftsreklame wird im Portugiesischen als Propaganda bezeichnet.

In Lateinamerikas erstem Wolkenkratzer, einem wunderschönen, gerade einmal 30 Stockwerke zählenden Prachtbau von 1925, leitet Regina Monteiro die Behörde für Umweltschutz und Stadtlandschaft. Die Architektin und Urbanistin hat das Gesetz namens "Cidade Limpa", saubere Stadt, formuliert, das sich gegen die übertriebene Außenwerbung richtet:

"Immer wieder wird kritisiert, dass Sao Paulo hässlich sei. Ich dachte mir, das darf nicht so bleiben, das müssen wir radikal ändern. Sao Paulo ist doch voller pulsierendem Leben, ist Lateinamerikas Kulturhauptstadt. Doch die Propaganda macht Sao Paulo hässlich, schüttet es regelrecht zu, tötet den städtischen Raum. Als ich den Präfekten darauf ansprach, sagte der, Regina, du kannst jetzt deinen Traum verwirklichen, wir ziehen das durch. Ich hoffe, es wird kein Albtraum, denn viele gehen jetzt gegen uns vor Gericht. Leider werden auch einstweilige Verfügungen erlassen."

Die Werbebranche wehrt sich in der Tat nach Kräften, argumentiert vor allem damit, dass rund 20.000 Arbeitsplätze gefährdet, gar vernichtet würden. In den Medien heißt es dazu, auf diese Weise könne man auch den Rauschgifthandel, Banküberfälle, die Urwaldvernichtung und selbst die im Lande grassierende Korruption rechtfertigen – denn auch da würden ja reichlich Arbeitsplätze geschaffen.

Manche aus der Kulturschickeria kritteln, Werbung mache die Stadt bunter, fröhlicher - und führen gar die Lichtreklamen von New York als angebliche Symbole weltstädtischen Flairs ins Feld. Regina Monteiro von der Präfektur lässt dies nicht gelten – es gehe hier um die Ästhetik der Stadtlandschaft, um mehr Lebensqualität:

"Wir müssen Paradigmen brechen – unsere Idee ist tatsächlich revolutionär, ein Beispiel für die ganze Welt. Selbst die Taxis dürfen nicht mehr mit Propaganda fahren. Damit hat der Präfekt sogar 35.000 Taxifahrer gegen sich."

Ganz ausgetilgt wird die Außenwerbung in Sao Paulo indessen nicht, lediglich stark reduziert. Auch die Schilder an den Frontseiten von Geschäften, Fabriken, Banken werden im Vergleich zu heute geradezu winzig sein.

"An Bushaltestellen, an den großen Digitaluhren mit den Temperaturanzeigen, doch auch an Zeitungskiosken werden wir Propaganda weiterhin erlauben. Doch alles wird genau von der Präfektur kontrolliert."

Bislang ist in Brasilien noch keine andere Millionenstadt dem Beispiel von Sao Paulo gefolgt. Ausgerechnet in der Touristenmetropole Rio de Janeiro verfiel die Präfektur jetzt sogar ins Gegenteil, erntete entsprechende Proteste.

"In Rio erlaubt ein neues Stadtgesetz, dass erstmals auch entlang des Copacabana-Strandes Werbeflächen aufgestellt werden dürfen. Das ist doch pure Roheit, wirklich absurd!"

Regina Monteiro ist seit 1988 in einer Bürgerinitiative gegen Stadtzerstörung aktiv und legte sich daher immer wieder heftig mit den verschiedensten Bürgermeistern an. Auch jetzt, als Behördenchefin, spart sie nicht mit Kritik und ist dafür, viele gute Ideen aus Europa aufzugreifen:

"Vieles in Sao Paulo müsste man abreißen, mehr öffentliche Plätze schaffen – wir ersticken ja regelrecht in Beton. Unsere Fußwege sind viel zu klein, viel zu eng, damit eben die fünfeinhalb Millionen Autos mehr Platz haben. Völlig falsch! Über Sao Paulo kreist eine Flotte von 1100 Privathubschraubern – das ist ebenfalls blanker Irrsinn, trägt zur gravierenden Lärmbelastung bei. Die würde ich ebenfalls heftig attackieren. Will man Sao Paulos Probleme lösen, müssen auch endlich Radwege her. Eine Fahrradkultur fehlt hier noch völlig. Radwege wären mein nächster Traum. Doch die Autoritäten sind in dieser Frage einfach viel zu träge. Wenn es nach mir ginge, müsste man da genauso radikal vorgehen wie gegen die Propaganda!"