Krankenhäuser in China

Chaos, Korruption und Gewalt

Krankenhausmitarbeiter in Huizhou in China kümmern sich um einen Mers-Patienten. Er hatte sich in Südkorea angesteckt.
Im Fokus von viel Kritik: Krankenhäuser in China © picture alliance / dpa
Von Steffen Wurzel · 10.03.2016
In Chinas Krankenhäusern herrscht das pure Chaos. Die Ärzte wissen nicht, wo sie überhaupt anfangen sollen, Kranke warten stundenlang. Immer wieder greifen Patienten Ärzte tätlich an. Viele Ärzte verlassen mittlerweile das Land - was die Situation verschärft.
Das Huashan-Krankenhaus in Shanghai ist eines der angesehensten der Stadt. Großes Gedränge im Eingangsbereich: Hunderte Patienten, Angehörige, Pfleger, Ärzte - und die meisten sind genervt.
"Meine Meinung: Man sollte sich einfach fernhalten von Krankenhäusern!", sagt ein Ende 70-jähriger Patient. Er ist gesundheitlich sichtlich angeschlagen, aber seine Frau lacht über den Witz. "Dieses Krankenhaus ist reines Chaos. Niemand hat uns hier geholfen, ich bin völlig verwirrt, wo kann ich hier jemanden um Hilfe bitten?"
Tatsächlich ist das Chaos unübersehbar: Es geht in der Lobby des Krankenhauses zu wie in einer überfüllten Shoppingmall an einem Adventssamstag in Deutschland. Für ein chinesisches Krankenhaus ist das der Normalzustand.
"Ich wollte einen Termin mit einem Neurologen für meine Schwiegermutter ausmachen," sagt diese Frau, Anfang 40. "Aber ich kenne mich nicht aus, weiß überhaupt nicht, wie das hier funktioniert, nach anderthalb Stunden wurde mir gesagt, dass ich mich online anmelden muss."
Die Frau ist völlig aufgelöst. Sie beginnt zu weinen und erzählt:
"Ich bin extra von weit draußen hier hergekommen aber es war sinnlos. Es ist so schwer für Normalsterbliche, mit einem Arzt zu sprechen."

Mancher Patient zückt eine Waffe

Nicht nur die Patienten beschweren sich. Auch unter den Medizinern in China herrscht Frust. Zwei von drei Ärzten sagen, dass sie schon mindestens einmal von Patienten oder Angehörigen bedroht wurden - oder sogar angegriffen.
Wir verprügeln Dich, wir bringen Dich um! Solche Drohungen hat diese Ärztin, Anfang 30, schon oft gehört. Ihren Namen will sich nicht nennen, aber es ihr wichtig, zu sagen:
"Wir beeilen uns wahnsinnig, um so vielen Patienten wie möglich zu helfen. Offen gesagt: Während meines Tagdienstes komme ich nicht einmal dazu, auch nur ein Glas Wasser zu trinken oder aufs Klo zu gehen. Wir wollen schnell sein und wir wissen, dass draußen viele Patienten warten."
Was in Europa undenkbar wäre, gehört in China zum Alltag: Frustrierte Patienten oder Angehörige rasten aus, schlagen mitunter zu oder zücken sogar eine Waffe.
"Als die Polizei einmal in unser Krankenhaus kommen musste, war ich sehr enttäuscht von deren Verhalten. Ein Patient jagte einen Arzt quer durchs Gebäude, rauf und runter und der Kollege stürzte auf einer Rolltreppe und verletzte sich. Das war alles auf den Überwachungskameras. Aber die Polizisten, die später kam, haben nichts unternommen."
Viele Polizisten sähen sich selbst als mögliche spätere Patienten, vermutet die junge Klinikärztin, deswegen täten sie häufig nichts.
Ein weiteres Problem die Korruption. Häufig sind Krankenhäuser in China so überbelegt, dass man ohne Schmiergeld keine Chance auf schnelle Behandlung hat.
"Ärzte zu bestechen, das ist üblich. Wenn ein Krankenhausbett zu schwierig zu bekommen ist, bleibt mir nichts anderes übrig als jemanden zu bestechen. Ich würde Freunde bitten mich einem entsprechenden Doktor vorzustellen, der in Frage kommt. Direkt nach Schmiergeld fragen - das tun Ärzte nicht."

Zu viele Überstunden, zu viel Druck, zu wenig Verdienst

Feng Tian Xing hat mehr als fünf Jahre lang als Arzt am größten Kinderkrankenhaus von Shanghai gearbeitet. Vor kurzem hat er gekündigt. Zu viele Überstunden, zu viel Druck, zu wenig Verdienst. Im Moment sucht er in den USA nach einer neuen Stelle. Am Telefon berichtet er:
"In China dauert die Ausbildung für Ärzte sehr lange. Wenn sie ihren Abschluss haben, machen sie dann aber erstmal einfach ihren Job - anstatt Karriere zu machen. Sie wollen aber die Kosten ihres mehr als zehnjährigen Studiums wieder reinbekommen. Aber der Verdienst ist im Vergleich zur langen Ausbildung nicht hoch genug."
Rund 450 Euro monatlich verdiene ein Berufseinsteiger als Arzt an einer Klinik in Shanghai im Monat, sagt Feng. Nach einigen Jahren seien es rund anderthalbtausend. Nicht viel Geld, wenn man bedenkt, dass Shanghai eine der teuersten Städte der Welt ist. Eine Lösung, um die Probleme und den Frust in Chinas Krankenhäusern in den Griff zu bekommen, ist nicht in Sicht.
Ein Nebeneffekt: Medizinische Berufe werden immer unbeliebter. In einer Umfrage haben fast zwei Drittel der befragten Ärzte in China angegeben, sie würden ihren Kindern davon abraten, selbst Medizin zu studieren.
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