Konsumrausch

Shoppen als Chance

Von Till Reiners · 18.12.2014
"So etwas Ähnliches habe ich schon" oder "Brauch' ich nicht" - solche Reaktionen angesichts neuer Produkte großer Konzerne lässt der Kabarettist Till Reiners nicht gelten. Denn wenn wir nicht immer mehr kaufen, verbauen wir uns die Chance auf den Konsumrausch. Und das ist nicht das Einzige, was der Konsument für die Konzerne tun kann.
Heute sag' ich einfach mal: Danke, liebe Produzenten! Was habt Ihr in den letzten 20 Jahren nicht alles erfunden und gebaut: das Handy! Den Flachbildfernseher! Die elektrische Pfeffermühle! Den anderen Flachbildfernseher fürs Schlafzimmer! Ein neues Aufladekabel für das neue Handymodell!
Es war eine tolle Zeit. Wir haben begeistert Sachen gekauft, die unser Leben verbessert haben. Heute würde jeder das Handy vermissen. Weil es gut ist, es vorher zu wissen, wenn ein Zug sich zwei Stunden verspätet. Und weil es so entspannt, das Handy einfach mal in den Offline-Modus zu schalten. Den Offline-Modus gab es ja früher gar nicht.
Dafür lieben wir euch.
Wir lieben euch aber noch mehr für den Online-Modus. Plötzlich tauchte das Internet auf. Dann Facebook. Dann Google. Und Google Maps, Google Earth, Gmail, Google Drive, Google News, Google Books, Googles Play, Google Chrome, Google+, die Google Hangouts und weitere zwanzig Google-Produkte wie Picasa und Panoramio – und wir lieben sie alle! Und es gab Twitter.
Teurere Version für die wahren Apple-Fans
Aber so sehr wir den Komfort des Internets schätzten, so sehr wuchs unser schlechtes Gewissen. All die neuen Errungenschaften gab es umsonst! All der Spaß kostenlos? Was bekommt ihr zurück, liebe Weltkonzerne? Außer den Werbeeinnahmen, meine ich? Bekommt Ihr genug Wärme? Ich habe mich gefreut, als ich erfuhr, dass Ihr wenigstens mit meinen Daten etwas anfangen könnt.
Trotzdem schäme ich mich. Durch wie viel Informationsmüll müsst Ihr Euch kämpfen, um Werberelevantes aufzuspüren! Und sind wir Konsumenten nicht zu satt? Ich schäme mich wegen all der Produkte, die nicht ausreichend gekauft wurden. Erinnern Sie sich noch an den Scooter? Oder das Segway? Zweiräder, die sich lediglich unter Aufgabe von Selbstachtung steuern ließ? Und kennen Sie noch die Apple-Watch? Die ist jetzt schon vergessen. Dabei ist im Frühling doch erst Verkaufsstart!
Lassen Sie sie nicht das Schicksal des Segway teilen! Kurz nochmal die Vorteile: Die Smart-Watch schafft mit Leichtigkeit den Spagat aus klobigem Design und viel zu kleinem Display. Echte Apple-Freunde fragen sich besorgt: Ist die Uhr denn auch teuer genug? Selbstverständlich! Apple verwöhnt seine Anhänger: Mindestens 350 Dollar soll sie kosten. Für die wahren Fans gibt's aber auch eine viel teurere Version. Ich spar schon drauf! Hoffentlich reicht das Geld dann noch für die Google Brille "Google Glass". Die wurde auch groß angekündigt und ist fast schon begraben, bevor sie im offiziellen Handel ist.
Neues kaufen! Sie Wachstumsbremse!
Wenn wir solche Produkte kaufen, geben wir Konsumenten unsere Liebe gleich doppelt zurück: in Form von Geld und von Daten. Mit der Smart-Watch kann man bezahlen und Apple mitteilen, was man kauft, mit Google Glass den Konzern vollständig an seinem Leben teilhaben lassen. Endlich hat man einen noch persönlicheren Draht zu seinen Lieblingsfirmen. Das erspart nebenbei auch den Geheimdiensten lästige Offline-Recherche.
Und sagen Sie jetzt nicht: "So ein ähnliches Produkt habe ich doch schon!" Sie Wachstumsbremse! Sie sollen die Produkte doch nicht nutzen, sondern kaufen, als Zeichen der Anerkennung. Einpacken, auspacken, wegschmeißen, Neues kaufen! "Brauch' ich nicht", ist da keine angemessene Antwort. Bei der elektrischen Pfeffermühle dachten wir das zuerst auch. Doch wenn wir nicht immer mehr kaufen, verbauen wir uns die Chance, immer mehr zu kaufen.
Und Chancen sollte man nutzen.
Till Reiners, Jahrgang 1985, ist Kabarettist. Für sein Programm "Da bleibt uns nur die Wut" wurde er seit 2012 mit fünf Kabarettpreisen ausgezeichnet, unter anderem dem Stuttgarter Besen und der St. Ingberter Pfanne. Hervorgehoben wurden seine "analytische Schärfe und gewandte Wortgewalt". Vor seiner Bühnenkarriere studierte Till Reiners Politikwissenschaften in Trier. Seine Soloauftritte sind im gesamten deutschsprachigen Raum zu sehen. Weitere Informationen auf der Homepage von Till Reiners: www.tillreiners.de
Der Kabarettist Till Reiners
Der Kabarettist Till Reiners© Till Reiners
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