Konkurrenz unter Gewerkschaften

"Verfassungswidrig und unpraktikabel"

Mitglieder der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) demonstrieren mit Transparenten und Trillerpfeifen in Berlin vor der Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz
Die kleinen Gewerkschaften wehren sich: Mitglieder der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) demonstrieren in Berlin © picture alliance / dpa/ Sören Stache
11.12.2014
Mit dem Tarifeinheitsgesetz will die Bundesregierung den Einfluss kleiner Gewerkschaften beschneiden. Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler hält das Vorhaben für verfassungswidrig und glaubt auch nicht, dass es in der Praxis funktionieren wird.
Nach Ansicht des Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler wird das neue Gesetz zur Tarifeinheit bei einer Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe scheitern. Selbst wenn es dies wider Erwarten nicht tue, werde es spätestens vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben werden, sagte Däubler im Deutschlandradio Kultur. Das deutsche Grundgesetz bestimme, dass die Bildung von Gewerkschaften frei sei, betonte der Arbeitsrechtler. Das bedeute, dass es mehrere Gewerkschaften nebeneinander geben könne. "Und Sie können einer Gewerkschaft, auch wenn sie nur eine Minderheit organisiert, nicht ihr Recht auf Tarifverhandlungen und ihr Streikrecht nehmen", sagte Däubler.
Mit dem Tarifeinheitsgesetz will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) den Einfluss kleiner Gewerkschaften mit einer Schlüsselstellung in einem Betrieb einschränken: Überschneiden sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge, soll nur der Vertrag jener Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Hintergrund ist die Tarifauseinandersetzung bei der Bahn und der Streit zwischen den Gewerkschaften GdL und EVG, wer welche Beschäftigten vertreten darf. Däubler sagte, er glaube nicht, dass das Gesetz wie geplant funktionieren werde. Es werde außerordentlich schwierig sein zu ermitteln, welche Gewerkschaft jeweils die meisten Mitglieder in einem Betrieb vertrete. Man könne nämlich niemanden zwingen, seine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Sie sind klein, aber schlagkräftig, nicht nur im Luftverkehr, auch bei der Bahn und bei den Medizinern gibt es einflussreiche Spartengewerkschaften, GdL, Cockpit, wir kennen diese Namen aus den streikreichen letzten Wochen. Sie repräsentieren nur einen kleinen Teil der Beschäftigten eines Konzerns, aber im Fall der Lokführer kann man es derzeit sehen: Sie nehmen für sich in Anspruch, für alle einen Tarifvertrag aushandeln zu wollen, in Konkurrenz zur eigentlich großen Eisenbahnergewerkschaft EVG.
Auf wessen Rücken dieser Konflikt ausgetragen wird, das wissen wir, auf dem der Fahrgäste. Die Bundesregierung will an dieser Stelle jetzt eingreifen. Grob gesagt, soll es künftig so sein, dass die mitgliederstärkste Gewerkschaft Tarife für alle verhandeln darf.
Beschert uns die zuständige Ministerin Andrea Nahles ein streikfreies Weihnachten, vielleicht noch nicht dieses Jahr, aber im nächsten Jahr? Wolfgang Däubler ist am Telefon, er ist Professor für Arbeitsrecht und viel gefragter Experte in Sachen Tarif- und Arbeitsrecht. Guten Morgen!
Wolfgang Däubler: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Das klingt nach einer bestechend einfachen Lösung, die stärkste Gewerkschaft verhandelt. Wird das funktionieren?
Däubler: Ich glaube nicht, dass es wirklich funktionieren wird. Denn es geht ja nicht darum, wer insgesamt am meisten Mitglieder hat, sondern es geht darum, wer im Betrieb, im jeweiligen Betrieb die meisten Mitglieder hat.
Frenzel: Aber das kann doch nicht so schwer sein, das festzustellen?
Man kann niemanden zwingen, die Gewerkschaftsmitgliedschaft offenzulegen
Däubler: Das kann ganz schön schwierig sein. Sie können niemanden zwingen, seine Gewerkschaftsmitgliedschaft offenzulegen. Das heißt, man hat vor, da die Notare einzuschalten, und da muss also jede Organisation eine Mitgliederliste zum Notar geben und der Notar fragt dann der Reihe nach, möglicherweise nur mit Stichproben, die einzelnen Leute, ob sie denn nun Gewerkschaftsmitglied sind oder nicht. Und wer sich weigert, eine Auskunft zu geben, oder wer sich weigert zu sagen, ob er die letzten Monate Beiträge bezahlt hat und eigentlich noch Mitglied ist, ja, das ist eine offene Frage, was dann passiert.
Also, Mehrheit klingt ganz einfach, wenn man an Wahlvorgänge denkt. Aber wenn man hier Mehrheit der Mitgliederzahl nimmt, das ist außerordentlich schwierig zu ermitteln und wird unheimlich viele Auseinandersetzungen zur Folge haben. Und die einzige Gruppe, die sich darüber freuen wird, werden die Rechtsanwälte sein.
Frenzel: Aber wenn wir mal dieses große Beispiel, das Bahn-Beispiel nehmen, da ist es ja relativ einfach zu erkennen, da würde wahrscheinlich auch die GdL nicht sagen, wir sind die größeren. Vom Prinzip her: Ist es nicht richtig, dass man sagt, eine Gewerkschaft, die letztendlich eine Breite des Konzerns repräsentiert, muss auch, wenn man sich nicht einigen kann, dann letztendlich die Tarifverhandlung führen?
Däubler: Ja, also, das kann man natürlich irgendwie politisch vertreten, aber das Grundgesetz sagt nun mal, dass die Bildung von Gewerkschaften frei ist. Und bedeutet also, dass nach dem Grundgesetz Gewerkschaftspluralismus bestehen kann, also mehrere Gewerkschaften nebeneinander. Und Sie können einer Gewerkschaft, auch wenn sie nur eine Minderheit organisiert, nicht ihr Recht zu Tarifverhandlungen und ihr Streikrecht nehmen, das geht nicht. Sie können es vielleicht einschränken, aber Sie können es dieser Organisation nicht nehmen.
Frenzel: Für wen macht denn eigentlich die Bundesregierung dieses Gesetz? Wenn Sie das da gerade so darstellen, da könnte man ja fast den Eindruck haben, das ist, ja, ein Gesetz gegen kleine Gewerkschaften, möglicherweise für die Wirtschaft?
Mit dem Tarifeinheitsgesetz ist das Leben für die Arbeitgeber leichter
Däubler: Also, es gibt sicherlich die Wirtschaft, das heißt die Arbeitgeberseite, die sehr für ein solches Tarifeinheitsgesetz ist, weil einfach für sie das Leben ein bisschen leichter ist. Sie hat nur einen Verhandlungspartner und im Regelfall – nicht immer – sind die DGB-Gewerkschaften der pflegeleichtere Verhandlungspartner. Deshalb ist also die Industrie, sind die großen Verbände für das Tarifeinheitsgesetz.
Die Gewerkschaften waren ursprünglich auch dafür, dort gibt es einen wachsenden Widerstand gegen dieses Gesetz. Kleinere Gewerkschaften wie die NGG und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft haben sich davon distanziert, ver.di hat sich davon distanziert, IG Metall und BCE sind dafür, für dieses Gesetz, mit bestimmten Modifikationen. Aber dieses heißt natürlich, die rechnen sich im Zweifel aus, dass sie Mehrheiten sind in einzelnen Betrieben, da gibt es dann auch interne Auseinandersetzungen zwischen Metall und ver.di, und da rechnet sich Metall für diese Auseinandersetzung aus, dass sie häufiger die Mehrheit stellen als ver.di.
Frenzel: Also, es geht ein Riss durch die Gewerkschaften. Herr Däubler, wenn ich Sie in Ihrer Argumentation richtig verstehe, dann bedeutet das ja aber, dass Sie sagen, kleine Gewerkschaften gibt es, die haben ihr gutes Recht, wir müssen mit einer solchen Situation leben. Ist das der Preis, den wir zahlen, dass wir so ein bisschen französischer und italienischer werden in unserem Land mit dem Streikverhalten?
Däubler: Das ist der Preis, den das Grundgesetz von uns verlangt. Und also, wir sollten uns nicht so schrecklich darüber beklagen, dass auch mal zwei Tage lang keine Eisenbahn fährt.
Frenzel: Aber es ist ja mehr geworden, es sind ja längere Auseinandersetzungen geworden, härtere. Früher hat das offenbar besser geklappt, dass sich auch Gewerkschaften untereinander verständigt haben. Was hat sich denn da verändert?
Die Lohnentwicklung war zwischen 2000 und 2010 negativ
Däubler: Es hat sich verändert, dass die großen Gewerkschaften sehr defensiv waren. Und man hat ja eine Lohnentwicklung zwischen 2000 und 2010, die letztlich negativ war. Das heißt, ein Arbeitnehmer konnte sich 2010, wenn man Inflation und alles einrechnet, für das, was er verdient hat in gleicher Position, weniger kaufen als 2000.
Und so was schafft natürlich Unzufriedenheit, insbesondere bei den Gruppen, die über eigenes Druckpotenzial verfügen wie zum Beispiel die Ärzte oder die Fluglotsen oder die Piloten. Und das ist ganz selbstverständlich, dass die sich dann irgendwann verselbstständigen und selber versuchen, ihre Situation deutlich zu verbessern.
Wir sind immer noch nach der Schweiz und Österreich das streikärmste Land in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit, wenn man mal die Diktaturen auf die Seite nimmt. Also, von daher gibt es keinen wirklichen Grund zu sagen, hier sind französische oder englische oder sonstige schlecht beleumundete Verhältnisse, sondern das kommt halt mal vor, das ist die ganz normale Situation. Genauso wie es vorkommen kann, dass Sie mit dem Auto nicht weiterfahren können, weil irgendwie eine Straße gesperrt ist, weil da eine Demonstration stattfindet. Das freut einen nicht ...
Frenzel: Herr Däubler, haben Sie denn in letzter Zeit mal im Bahnhof oder im Flughafen festgesessen wegen Streik?
Däubler: Ja, ich habe festgesessen, gleich beim letzten Mal.
Frenzel: Und wie war es mit dem inneren Groll?
Däubler: Der innere Groll war gar nicht da. Ich bin Verspätungen beim Zug gewöhnt. Ich fahre sehr viel Zug und da bin ich plötzlich in Mannheim gestanden und es hieß, also, wir stehen jetzt zwei Stunden hier. Ja, ich musste noch bis Düsseldorf und ich habe mir dann überlegt, also, liest du halt zwei Stunden länger irgendwie das, was du dir eh vorgenommen hast. Also, darauf kann man sich einstellen.
Dann, bei einem weiteren Streik habe ich es gerade noch geschafft, der begann um zwei Uhr nachmittags und da habe ich es gerade noch geschafft, von Warnemünde an der Ostsee bis nach Spandau zu kommen, wo ich dann hin musste für die nächste Veranstaltung. Und das habe ich eingeplant und insofern, also, habe ich das mit Gleichmut wahrgenommen.
Frenzel: Wahrscheinlich entwickelt man diesen Gleichmut, wenn man sich mit Tarifrecht beschäftigt, Herr Däubler!
Däubler: Nee, den entwickelt man, wenn man viel Bahn fährt!
Frenzel: Eine Frage habe ich noch: Dieses Gesetz wird vorm Bundesverfassungsgericht landen, der Beamtenbund hat das schon angekündigt, wenn es dort scheitert ... Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, dass es dort durchaus scheitern könnte ... Was ist denn dann?
Däubler: Also, ich glaube eigentlich nicht, dass es dort scheitert. Denn man kann nicht ...
Frenzel: Aber Sie sagten doch, dass eigentlich im Grundgesetz verankert ist, dass die kleinen Gewerkschaften das Streikrecht haben müssen?
Däubler: Ja eben, und deshalb scheitert das Gesetz in Karlsruhe.
Frenzel: Ach so, es scheitert, ich habe Sie falsch verstanden.
Das Tarifeinheitsgesetz wird in Karlsruhe scheitern
Däubler: Ja, ja. Also, es scheitert das Gesetz voraussichtlich in Karlsruhe. Wenn es dort nicht scheitert, wider Erwarten, wird es spätestens scheitern beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, denn da gibt es auch eine Entscheidung, die ganz deutlich sagt: Jede Gewerkschaft hat speziell im Transportsektor ein Streikrecht.
Frenzel: Und dann bleibt alles, wie es ist?
Däubler: Dann bleibt alles, wie es ist, nur hat man viele Auseinandersetzungen, viele, ja, unsympathische Auseinandersetzungen, überflüssige. Und Sie müssen auch noch Folgendes bedenken: Der aktuelle Konflikt bei der Bahn wird durch diesen Gesetzentwurf unheimlich verschärft. Denn die GdL ist strukturell die Minderheit, mit Lokführern, auch wenn sie die Zugbegleiter repräsentiert, ist sie im Prinzip Minderheit. Das heißt, sie hat überhaupt nur eine Chance, wenn es ihr jetzt in dieser Tarifrunde gelingt, ihre Zuständigkeit tariflich festzuschreiben.
Denn so eine Festschreibung der Zuständigkeit, die geht natürlich auch diesem neuen Gesetz vor, das ist völlig unstrittig. Und das heißt also, die GdL wird durch dieses Gesetz, durch den Gesetzentwurf praktisch mit dem Rücken zur Wand gestellt, der bleibt jetzt gar nichts anderes übrig als zu sagen, die Vertretung der Zugbegleiter ist für uns nicht kompromissfähig, kein Kompromiss-Punkt, weil wir die vertreten müssen. Das ist unsere einzige Chance, wenn wir es jetzt in dieser Tarifauseinandersetzung durchsetzen.
Frenzel: Das sagt Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Däubler: Bitte schön, Herr Frenzel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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