Konfliktforscher Thorsten Gromes

"Es gibt keine gültige Weltfriedensformel"

Blaue Luftballons mit dem Symbol einer Friedenstaube schweben am 23.08.2014 in Letzlingen (Sachsen-Anhalt) in der Luft. Eine Woche lang sollen Aktionen des Friedenscamps "War starts here" stattfinden. Foto: Jens Wolf/dpa
Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen sei ungebrochen, sagt Thorsten Gromes © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Moderation: Liane von Billerbeck · 01.10.2015
Für den Konfliktforscher Thorsten Gromes gibt es keine diplomatischen Patentrezepte für die Beendigung von Kriegen. Je mehr Parteien von dem Konflikt betroffen seien, desto schwieriger werde die Lösung: "Man überschätzt ganz gerne, was man von außen tun kann, um Kriege wirklich beizulegen."
Liane von Billerbeck: So kompliziert manches Problem in der großen Politik ist, oft wird man den Eindruck nicht los, dass auch dort die Sehnsucht nach einfachen Lösungen ungebrochen ist. Einfache Lösungen in Syrien, in Afghanistan, dazu sagte Karl-Heinz Kamp, der Präsident der Bundessicherheitsakademie gestern bei uns im Programm:
O-Ton Karl-Heinz Kamp: Wir haben uns da getäuscht, wir dachten, das wäre einfacher, wir dachten, es funktioniere so, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg funktioniert hat in vielen Ländern. So funktioniert es heute offenbar nicht mehr, und keiner hat da eine Patentlösung.
von Billerbeck: Karl-Heinz Kamp war das, der Präsident der Bundessicherheitsakademie. Und nun der Krieg in Syrien und auch Afghanistan bringt Tote, Verletzte, Traumatisierte und sorgt dafür, dass Millionen Menschen versuchen, sich anderswo in Sicherheit zu bringen. Dafür muss es doch eine Lösung geben? Die Frage ging an Thorsten Gromes, der Politologe arbeitet bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, mit ihm habe ich gestern gesprochen. Gibt es nicht doch so was wie ein gültiges Rezept für die Lösung von Krisen?
Thorsten Gromes: Es gibt leider eben nicht das Patentrezept, also die immer gültige Weltfriedensformel, die uns hilft, jeden Konflikt auf gleiche Art zu lösen. Das heißt jetzt nicht, dass alle Konflikte unregelbar wären oder die Kriege immer weiter fortdauern, aber man darf sich nicht der Illusion hingeben, das etwas, was in einem Fall funktioniert hat, im nächsten Fall auch unbedingt funktionieren müsste.
von Billerbeck: Aber trotzdem ist es doch so, dass wir schon es geschafft haben, bestimmte Konflikte, Kriege zu lösen. Da sind doch Erfahrungen da. Kann man aus diesen früheren Versuchen nicht irgendwelche Lehren ziehen auch für die Krisen der Gegenwart?
Gromes: Man kann diese Lehren ziehen, man muss nur sehr sorgfältig hinschauen: Liegen Bedingungen vor, die damals auch herrschten und wieweit sind die auf heute oder auf die Situation heute übertragbar? Da kann man schon schauen, was hier praktisch besser passiert oder eben nicht. Da müsste man jetzt auch in die einzelnen Fälle reinschauen, was geht.
"Ganz entscheidend ist, erst mal die Gewalt zu beenden"
Aber man sollte vielleicht nicht glauben, dass es so was wie Lösungen gibt in dem Sinne, dass Konflikte komplett verschwinden, dass jetzt die Konfliktparteien aufhören sich so zu identifizieren, wie sie es tun, dass sie aufhören, über bestimmte Fragen zu streiten. Ganz entscheidend ist ja erst einmal, dass sie mit ihrem Konflikt einigermaßen konstruktiv umgehen, das heißt erst mal die Gewalt beenden und nicht mehr aufeinander schießen. Wenn das erreicht ist, ist schon unheimlich viel gewonnen. Und wir wissen – das ist zum Beispiel eine Erfahrung –, dass auch bei den vermeintlich einfachsten Konflikten – ich rede jetzt hier von vermeintlich einfachen Kriegen – es so ist, dass die zugrunde gelegten Konfliktformationen sich nicht auflösen lassen und nicht verschwinden.
von Billerbeck: Wie macht man das aber, dass man zerstrittene, verfeindete, sich bekriegende Parteien dazu bringt, erst mal auf Gewalt zu verzichten und miteinander zu reden?
Gromes: Das ist extrem schwierig. Das Erste ist natürlich, es immer wieder zu versuchen. Man wird immer wieder gegen die Wand laufen. Aber irgendwann können sich Situationen so verändern, dass sich doch Gelegenheiten ergeben, die man dann nutzen kann. Man darf aber auch nicht glauben, dass man von außen alleine die ganze Lage komplett auf den Kopf stellen könnte. Man hat nur diese Möglichkeit im Grunde, die Bereitschaft, von den kriegerischen Mitteln zu lassen, zu beeinflussen, die die Akteure vor Ort aber haben. Und dann ist klar, dass auch da die Einflussmöglichkeiten nicht so weit reichen, dass man eben eine Seite, die jetzt den Krieg unbedingt fortsetzen wollte, in jedem Fall dazu zwingen könnte, das sein zu lassen. Man kann mit Anreizen arbeiten, man gibt Versprechungen etwa, wenn ihr jetzt Frieden schließt, dann machen wir das, wir helfen euch in dem Sinne, wir unterstützen euch dort. Oder man kann natürlich – das ist auch im Instrumentenkoffer der Diplomatie – 'Okay, der Außenminister sagt ...' – Drohungen aufsetzen und sagen, wir bestrafen euch dafür, wenn ihr da nicht mitmacht. Nur, man hat eben nicht nur in den letzten Jahren, auch in den letzten Jahrzehnten gesehen, man überschätzt ganz gerne, was man von außen tun kann, um Kriege wirklich beizulegen.
von Billerbeck: Das hört sich so an. Denn wenn ich Ihre Worte höre, Anreize, Drohungen, Versprechungen ... Ich stelle mir das gerade vor: Bei zig Gruppen, die in Syrien aktiv sind, Warlords, Terroristen, Menschen, die völlig unterschiedliche Interessen haben und da vagabundieren, wie soll man die erreichen, mit welchen Mitteln kann man die erreichen, um da diesen Krieg einzuhegen?
Gromes: Das ist ein ganz großes Problem etwa in Syrien, aber auch in Afghanistan. Wir haben es hier nicht, wie wir gerne vereinfacht sagen, mit zwei Seiten zu tun, sondern mit viel, viel mehr Seiten. Das heißt, man muss eben dann auch die Interessen und die Kalküle aller dieser Seiten irgendwie in Einklang miteinander bringen und das ist extrem schwer. Abgesehen davon, dass natürlich auch Allianzen untereinander wechseln können, sich die Kräfteverhältnisse verschieben, dann die Wahrnehmungen verschieben. Da sehen wir schon, dass eben diese komplexeren Konflikte von der Art der Beteiligten viel schwerer anzugehen sind als doch die eher einfacher gestrickten Kriege, wo wir doch sagen können, hier gibt es zwei Seiten.
von Billerbeck: Nun läuft der Krieg in Syrien, um das Beispiel zu bringen, seit vier Jahren. Immer wieder wird ja auch gesagt, man hätte militärisch eingreifen können oder müssen. Wann wäre denn dieser Punkt gewesen?
Gromes: Das ist eine offene Frage, das lässt sich aus der bisherigen Forschung nicht ganz so ableiten. Wir wissen relativ wenig, müssen wir zugeben, unter welchen Bedingungen Militäreinsätze mit dem Ziel, einen Bürgerkrieg zu beenden, Erfolg haben. Wir haben da einzelne Beispiele, wo es ganz gut funktioniert hat. Bosnien-Herzegowina fällt da immer wieder ein, Kosovo, extrem umstrittener Einsatz, hat den Krieg aber beendet bis heute. Aber es ist eben sehr schwierig zu sagen, wann in Syrien der beste Zeitpunkt gekommen wäre.
Man kann vielleicht sagen, ganz früh sind manchmal noch die Gelegenheiten besser, wenn die Parteien noch nicht so ganz fest sich, sage ich mal, eingemauert haben in ihre Positionen, wenn sie noch nicht die Opfer, die sie längst erbracht haben, rechtfertigen müssen, es darf nicht alles umsonst gewesen sein. Und es kann vielleicht ganz spät – nur, wann dieses Spät ist, ist schwer zu sagen – auch noch mal sich ein Fenster öffnen, dass man zu einer Regelung kommen kann. Aber der Zeitpunkt alleine, glaube ich, ist gar nicht das Entscheidende, viel wichtiger ist, was wirklich vor Ort passiert. Gibt es etwa diese Zersplitterung, die Sie angesprochen haben, wie sieht es eigentlich aus, wenn man eingreifen möchte, dass vielleicht eine dritte Seite, eine weitere Seite ebenfalls eingreift, vielleicht der Seite, die man selbst bekämpfen will, hilft und, und, und. Also, es ist gar nicht mal der Zeitpunkt selbst, sondern was passiert, der darüber entscheidet, welche Aussichten man hat.
"Ein Drittel der Bürgerkriege bricht erneut aus"
von Billerbeck: Das erleben wir ja gerade in Syrien, wo Russland also versucht, da aktiv zu werden, und man weiß gar nicht, bringt das was oder bringt es nichts. Und wir haben ja das andere Beispiel, um auf Ihre beiden Momente hinzuweisen – entweder man greift ganz früh ein oder es öffnet sich ganz spät noch mal ein Fenster –, das andere Beispiel ist Afghanistan, da waren die US-Truppen 13 Jahre drin, jetzt erleben wir, wie die Taliban Kundus zurückerobert haben und man das Gefühl haben muss, es war alles umsonst!
Gromes: Ja, dieses Erlebnis oder diese Erfahrung hat man in vielen Fällen und das hat man gerade bei Missionen, die auch mit einem Erzwingungscharakter mal ausgestattet waren. Wir sehen aber auch, dass es viele Bemühungen gab – und ich spreche jetzt nicht nur vom Militärischen –, dass es eben doch gelungen ist, erst mal Kriege zu beenden, Bürgerkriege zu beenden, dann auch nachher für Frieden zu sorgen im Sinne, dass es keinen weiteren Krieg gab. Das mag dann alles unbefriedigend erscheinen, wenn nicht sämtliche Probleme in einem Land gelöst sind. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass ein Großteil derjenigen Kriege, Bürgerkriege, die beendet wurden, in wenigen Jahren wieder erneut ausbrechen. Wir reden hier von ungefähr einem Drittel der Fälle mindestens, wenn man es anders zählt, bis zu 45 Prozent. Das heißt, allein den Krieg nachher dauerhaft auszusperren, zu verhindern, ist schon ein Riesenerfolg. Das ist natürlich in Afghanistan nicht gelungen und in anderen Fällen auch nicht, wir haben aber eben auch Fälle, wo das gelingen konnte.
von Billerbeck: Und der Nahostkonflikt ist nach der Aufkündigung des Friedensprozesses durch Präsident Abbas auch nicht leichter geworden. Keine leichten Lösungen nirgends also, Thorsten Gromes war das von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, mit dem ich vor unserer Sendung gesprochen habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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