Komponist, Performer und Arrangeur

Von Gerhard Richter · 23.02.2011
Die Entdeckung elektronischer Klänge hat einigen Staub von der Orgel gewirbelt und für die junge Generation der Organisten neue Möglichkeiten erschaffen. Cameron Carpenter ist einer dieser jungen Wilden.
"Das Wichtigste an meiner Arbeit ist die Aufführung, und das wichtigste Hilfsmittel dafür ist die Orgel."

Cameron Carpenter performt die Orgel in New York, in Tokyo, in Hamburg. Ein Paradiesvogel auf der Orgelbank. Glitzernder Strass auf dem Trikot, die weiße Hose eng anliegend, die Schuhe hat er selbst entworfen: Schmale Ballerinas mit Keilabsatz. Damit trippelt er über die Orgel-Pedale und erzeugt rasante mächtige Bassläufe.

"Dreimal die Woche bin ich im Fitnessstudio, ich habe eine lange Geschichte als Tänzer und betreibe ernsthaft Yoga. Am liebsten mache ich Gewichtheben. Eine kräftige Muskulatur ist sehr wichtig für mich als Orgelspieler. Weil ich meinen ganzen Körper benutze. Der Rücken muss vom ganzen Körper gestützt werden. Die Beine müssen kräftig und flexibel sein. Du könntest dich sonst verletzen!"

Berlin Mitte. Hinterhaus. Unterm Dach hat sich Cameron Carpenter mit seinem Lebensgefährten sein Himmelreich eingerichtet. Seit letzten Sommer. Das Musikzimmer hat er komplett in türkiser Farbe gemalert, samtrote Vorhänge aufgehängt. Auf dem Holzparkett stehen: ein Flügel und eine elektronische Orgel mit sechs Dutzend Schaltern.

"Das ist wirklich wunderbar, so was zu haben. Wenn man mal nachdenkt, dass da hundertmal mehr Orgel drinsteckt, als Johann Sebastian Bach jemals hatte, um zu Hause zu arbeiten."

Cameron Carpenter sitzt entspannt auf dem Sofa, die Beine angewinkelt. Die Augen dunkel, Kinn mit Grübchen, raspelkurzer Pony. Über seinem schlanken durchtrainierten Körper trägt er einen flauschigen Wollpullover. Die häusliche Arbeitskluft. Er übt, er arrangiert Schubert, Liszt, Debussy für die Orgel. Und er komponiert. Für seine Debut-CD "Revolutionary" wurde er für einen Grammy vorgeschlagen - als erster Organist überhaupt.

"Für Leute aus meiner Generation und jüngere Generationen erscheint die Orgel in der Tat als etwas ganz Neues, und das ist etwas sehr Wichtiges und Aufregendes im 21. Jahrhundert."

Geboren wird Cameron Carpenter 1981 in Pennsylvania. Seine Eltern sind Hippies und schicken ihn nicht zur Schule, er wird zu Hause unterrichtet. Er wünscht sich eine Orgel und bekommt eine Hammond B3, beliebt bei Jazz, Rock- und Soulmusikern.

"Wir haben sie in die Werkstatt meines Vaters gestellt. Mein Vater ist Erfinder und Ingenieur für die Industrie und er hat Öfen gebaut. Also meine Orgel stand da und ich habe Buxtehude gespielt, für Leute die Country-Musik hören und gewaltige Maschinen betreiben. Seither verbinde ich die Orgel mit Kreativität und Produktion."

Das Hippiekind hat Talent. Der elfjährige Cameron spielt Bachs wohltemperiertes Klavier. Mit zwölf singt er Sopran in einer Chorschule für Jungen. Angeregt vom "Dschungelbuch" komponiert er sein erstes Werk für Gesang und Orchester.

Später, an der Highschool, studiert er Orgel und Komposition. In nur vier Jahren bearbeitet er hundert große Werke für Orgel, zum Beispiel Mahlers 5. Symphonie. Mit 19 Jahren geht er nach New York an die Juilliard Kunstschule. 2006 erwirbt er den Master und nimmt seine erste CD auf. Neben dem Orgelspiel beschäftigt er sich auch mit Tanzen. Für ihn eine ideale Ergänzung.

"Tanzen lehrt uns viel über die Orgel. Im Ballett gibt es eine Menge, was mit dem Pedalspiel zu tun hat. Vielleicht nicht gerade das, was die Füße da ganz offensichtlich machen, sondern mehr mit Körperkontrolle und Energie und Kraftreserven und Muskulatur - alles, was dem Ausdruck dient."

Die markanten Melodielinien legt sich Cameron Carpenter auf die Bass-Pedale, wo die Orgel am meisten Kraft und Tiefe entfaltet.

Neben dem Komponisten, dem Performer und dem Arrangeur gibt es noch den Konstrukteur, den Erfinder. Derzeit entwickelt Carpenter eine Tournee-Orgel. Maßgeschneiderte Elektronik mit 50 Lautsprechern verteilt im Raum.

"Ich möchte, dass dieses Instrument die Herausforderungen besteht, an der die Pfeifenorgel zugrunde ging: weil man sie nicht an andere Instrumente anschließen kann, weil der Organisten keinen direkten Einfluss hat, was den Klang betrifft und wie man steuert. Das Instrument muss geschmeidig sein und variabel und anpassungsfähig und es muss reisetauglich sein. Das ist meine Vision für die Orgel."