Kommentar

Ein Abgesang auf die klassische Familie

Eine Familie im Park
Der Staat sollte einen bestimmten Lebensstil - die klassische Familie - nicht länger privilegieren. © dpa / picture alliance
Von Eike Gebhardt · 26.10.2014
Die Zahl der Single-Haushalte wächst - und trotzdem gilt die klassische Familie bis heute als Ideal. Eike Gebhardt findet das falsch und fordert den Staat auf, Bürgerpflicht und Lebensform zu trennen.
"Wer heiratet, kann nun Probleme teilen, die er bzw. sie zuvor nicht hatte." Das ist eine Volksweisheit, die sich in der stetig wachsenden Zahl von Single-Haushalten spiegelt. Tatsächlich werden Familien, zumal die klassischen, rechtlich und fiskalisch privilegiert. Ja, sie gelten immer noch als Kern der Gesellschaft, obwohl die Gesellschaft sich immer weiter von diesem Kern entfernt. Und kaum wird dies festgestellt, wir es auch schon beklagt.
Doch warum eigentlich? Warum erschien etwa nur die Familie den Vätern unseres Grundgesetzes so besonders schützenswert, dass ihr Status hervorgehoben wird? Vermutlich, weil in der Vorstellung von der Keimzelle der Gesellschaft die Vorstellung mitschwingt, dass gesellschaftliche Bindekräfte, ja Moral im Ganzen, sich aus der natürlichen Nähe entwickeln, so als gebäre emotionale Nähe auch langfristig Moral. Das ist ein Trugschluss.
Emotionen sind notorisch unzuverlässig
Denn dann stünde es womöglich schlecht um die Moral, denn Emotionen sind notorisch unverlässlich – das ewig Neue zieht uns an, auch wenn es mit den Regeln der Moral nichts zu tun hat. Dass emotionale Bindungen auch zum moralischen Handeln motivieren sollen, verkennt ihre Interessenstruktur, von Rosenkriegen ganz zu schweigen.
Alle Familienformen – es gibt ja viele, das heißt auch, keine ist "natürlich" - sind Kulturprodukte, und jedes von Menschen geschaffene Produkt kann von Menschen auch wieder geändert werden. Und eben solche Änderung scheint sich in diesen Daten abzuzeichnen – womöglich ein pragmatischer Trend, denn Nähe hängt ja nicht an Blut und Biologie, ja nicht einmal an Nachbarschaft, wie es Kommunitarier fordern, für die die Hierarchie der Nähe moralische Prioritäten regeln soll. Wenn man Moral an Nähe koppelt, macht man sie gänzlich subjektiv. Kant wusste, warum er den kategorischen Imperativ von den Versuchungen der Nahverhältnissen abkoppelte.
Natürlich war der Clan schon immer eine Schutz- und Trutzgemeinschaft. "Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit", merkte nicht nur Karl Kraus. Für die Horde war alles da draußen Beute oder Bedrohung. Will oder muss daher auch heute jemand, der sich nach einem Nest sehnt, die Welt da draußen als bedrohlich sehen? Wenn das so wäre, dann spukt bei denen, die dereinst die Familie als gesellschaftliche Werteagentur im Grundgesetz privilegiert haben, noch ein ganz anderes, nämlich das Hobbessche Menschenbild mit, das der egomanen Bestie, zu zähmen nur durch Bedrohung.
Ist es Zufall, dass Diktatoren allesamt die Kleinfamilie in Ehren hielten?
Und wird nicht dann Solidarität, Fürsorglichkeit, Verlässlichkeit fast nur vertraglich als Bindung, sprich als Pflicht, vorgestellt? Konservative, nicht zufällig ja allesamt Apologeten der Familie, zeigt die Kritische Theorie, beschwören immer wieder gern den Feind da draußen, um drinnen law and order, die Hackordnung, zu sichern. Ist es ein Zufall, dass alle Diktatoren die Kleinfamilie hoch in Ehren hielten?
Fazit: Gerade was uns natürlich scheint, sollte grundsätzlich unter Ideologieverdacht stehen: "Natur" ist meist ja nur ein anderes Wort für "gut", ein Gottersatz, ein inhaltloses Werteprädikat – und "unnatürlich" schlicht ein Schimpfwort. Belegt der Zensus, dass das Modell des richtigen Lebens nicht zeitlos und für alle gilt, sondern, wie sich's in Demokratien gehört, als wählbar und verhandelbar gesehen wird?
Der Staat täte gut daran, endlich Bürgerpflicht und Lebensform zu trennen statt einen Lebensstil – trotz der Reförmchen – im Wortsinn zu prämieren.
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