Kellner im Palast der Republik

Draußen wurde demonstriert, drinnen geschlemmt

Von Clauda van Laak · 01.07.2015
Während draußen die Menschen "Wir sind das Volk" riefen, bediente Heiko Schultz die Gäste im "Palast der Republik". Als dann vor 25 Jahren die D-Mark in der DDR eingeführt wurde, hieß dort das "Würzfleisch" auf einmal "Ragout fin". Und Heiko Schultz hatte auf einmal viel mehr Trinkgeld.
"Der Kaffee hatte 95 Pfennig gekostet, Preisstufe 3 in der DDR war 95 Pfennig, es gab ja die Preisstufen 1, 2,3 und S, bei uns war Preisstufe 3. Und 2 Mark 40 war es dann am 1.Juli."
Der 1.Juli 1990 war für die DDR-Bürgerinnen und Bürger ein besonderer Tag, für Heiko Schultz vielleicht noch ein bisschen mehr als für andere. Im Palast der Republik – hier arbeitete er vor 25 Jahren als Kellner – tauchte über Nacht eine neue Karte auf: hochwertiges Papier, hochwertige Preise in D-Mark. Aus dem "Würzfleisch" wurde flugs ein "Ragout fin", aus dem Toast "Palast der Republik" der "Hawai-Toast". Die Kasse klingelte, das Kellnerportemonnaie wurde dicker und dicker.
"Dadurch, dass die Preise höher waren, hat man mehr Umsatz gemacht und mehr Trinkgeld bekommen."
Ab dem 1. Juli 1990 wurde in der DDR die D-Mark als Zahlungsmittel eingeführt und an DDR-Bürger wie hier in Leipzig ausgezahlt.
Ab dem 1. Juli 1990 wurde in der DDR die D-Mark als Zahlungsmittel eingeführt und an DDR-Bürger wie hier in Leipzig ausgezahlt.© picture alliance / dpa / Volkmar Heinz
Die Preise stiegen, die Speisen und Getränke klangen nach Westen. Doch wer in der "Espressobar" nach Espresso fragte, erhielt von Heiko Schultz eine freundliche, aber bestimmte Absage.
"Wir hatten Mokka. Also Espresso hatten wir nicht. Mir war gar nicht bewusst, dass es Espresso gibt. Wir hatten Mokka, der wurde auch besonders hergestellt. Ansonsten gab´s Kaffee, Filterkaffee."
Dunkelbrauner Anzug, ebensolche Fliege und weißes Hemd – so lächelt Heiko Schultz aus dem angegilbten Foto heraus. 16 Jahre ist er da alt, hatte gerade seine Kellner-Lehre im Palast – Sitz der Volkskammer und Schaufenster des Sozialismus begonnen. Das war 1987. Seinen verschmitzten Gesichtsausdruck hat er sich auch mit 44 bewahrt. Seinen ersten Espresso trank der Berliner erst, als die Espressobar und mit ihr der Palast der Republik und die Hauptstadt der DDR längst Geschichte waren.
"Ich glaube, das war Mitte der 90er im Café Einstein, da habe ich gearbeitet. Da habe ich ihn dann selber gemacht, mit einer Siebdruckmaschine. Ich glaube, das war Mitte der 90er."
Palast der Republik wurde auch Erichs Lampenladen genannt
Kellner im Palast der Republik – wegen der 10.000 Kugelleuchten im Foyer auch Erichs Lampenladen genannt - das war für Heiko Schultz ein Traumberuf. Die Plätze in den Restaurants, in der Espressobar und auf der Sommerterrasse waren begehrt, der Verdienst enorm. Mit fast 1000 Mark im Monat bin ich nachhause gegangen, erzählt er. Und dann waren da noch die Gäste aus Westberlin und der Bundesrepublik, die manchmal in Devisen bezahlten.
"Der inoffizielle Kurs war glaube ich 1:8, 1:9, 1:10. Und dann 20 – man hat damals harte Westmark gesagt, glaube ich. Harte Westmark. Diese großen Scheine noch. Das hat einen schon elektrisiert, wenn man 20 D-Mark hatte und wusste, das sind eigentlich 200 Ost-Mark."
Verlockend war das, sagt Heiko Schultz, und streicht sich mit der Hand über die grau-braunen kurzen Haare, die er mit Gel nach oben frisiert hat. Die Kellner im Palast haben versucht, die Chefs zu betrügen und die Devisen für sich zu behalten.
"Hin und wieder, das will ich nicht verhehlen, hat man das auch unter den Tisch fallen lassen."
Doch wehe, man wurde erwischt.
"Also ich habe Kollegen gehabt, die waren dann in der Spülküche für ein Jahr. Weil die einfach Geld nicht abgerechnet haben oder die Rechnung nicht richtig gelegt haben, sprich, die Gäste über´s Ohr gehauen. Kam halt vor."
Berlin erlebt am 4. November 1989 die größte Demonstration für eine andere DDR. Eine halbe bis eine Million Demonstranten ziehen durch die Innenstadt, vorbei am Palast der Republik mit dem Sitz der Volkskammer und am Staatsratsgebäude zu einer Abschlusskundgebung auf dem Alexanderplatz. "Wende", "Wer ewig schluckt stirbt von Innen" oder "Krenzmann" steht auf Transparenten der Demonstranten.
Berlin erlebt am 4. November 1989 die größte Demonstration für eine andere DDR.© picture alliance / ZB / Thomas Lehmann
1989 war für Heiko Schultz das aufregendste Jahr. Draußen vor dem Palast die Demonstranten "Wir sind das Volk" und "Gorbi hilf!" rufend, drinnen die greisen SED-Funktionäre beim Staatsbankett. Zum Beispiel am 7.Oktober 1989, dem 40. Geburtstag der DDR.
"Ich war 18, das war spannend. Gorbatschow zu sehen, Honecker zu sehen. Die hatten natürlich ihre eigenen Kellner, die ließen sich nicht von Kellnern aus dem Palast der Republik bedienen. Das war der 7.Oktober, wegen des Staatsempfangs hat man das natürlich in prägender Erinnerung."
Filterkaffee für 95 Ostpfennige in der sogenannten Espressobar
Wachtelbrüstchen auf Maispüree, Forellenröllchen und Filetensemble Trianon, das war das Menü zum Republikgeburtstag. Es blieben Unmengen an Essen übrig, für uns Kellner war das ein großes Fest, erinnert sich Heiko Schultz begeistert. Doch dann hält der 44-Jährige inne, wird selbstkritisch, merkt fast entschuldigend an:
"Als junger Mensch hat man das nicht so reflektiert. Dass die da drin geschlemmt haben, und die da draußen demonstriert haben. Das hat man nicht so reflektiert."
1990 ging dann alles ganz schnell. Nach der Währungsunion am 1.Juli blieben Heiko Schultz gerade noch zwei Monate als Kellner in der Espressobar. Am 9.September war Schluss – wegen Asbestbelastung.
"Mit einem Mal gab´s die Mitteilung, ja, wir machen zu, am nächsten Tag ist vorbei. Das war schon komisch, aber das war auch typisch für diese Zeit. Da gab´s keinen Vorlauf. Da gab´s ja keine Gewerkschaft, die dagegen vorgegangen ist. Man hatte keine Erfahrung. Man dachte, das wird immer so weiter gehen und dachte, irgendeiner hat schon einen Job für Dich. Aber so war´s ja nicht."
Für Heiko Schultz folgten vier Jahre Bundeswehr, dann Jobs als Kellner in Westberlin, Arbeitslosigkeit. Als er drohte abzurutschen pumpte er sich Geld von Freunden, nahm einen Kredit auf und kaufte zur richtigen Zeit im richtigen Berliner Kiez zwei billige Mietshäuser.
Mittlerweile gehören Heiko Schultz 100 Wohnungen in der Hauptstadt, er selber lebt in einem schicken Penthouse mit Dachterrasse im 11. Stock eines modernen Hochhauses auf der Halbinsel Stralau. Rundumblick auf halb Berlin. Kneift er seine hellblauen Augen zusammen, kann er links neben dem Roten Rathaus die Kuppel des wiederaufgebauten Stadtschlosses erahnen. Genau dort, wo früher der Palast der Republik stand und der Kellner der Espressobar Filterkaffee für 95 Ostpfennige verkaufte.
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