Kein Staatsliebling

01.06.2012
Der Sänger und Regisseur Werner P. Seiferth beschreibt, wie die Wagner-Oper unter schwierigsten Nachkriegsbedingungen in der DDR wieder auf die Bühne gelangte. Der Autor dokumentiert mehr als 6000 Aufführungen und 300 Inszenierungen des von der Obrigkeit wenig geliebten und nur zögerlich geehrten Musikers.
Die Geschichte der Wagneraufführungen in der DDR war kein einfaches Kapitel der Rezeptionsgeschichte des Komponisten. Wie schwierig, dokumentiert jetzt, mehr als 20 Jahre nach dem Ende der DDR, ein Buch von Werner P. Seiferth. Es ist mehr als nur der "Versuch einer Bilanz", wie der Autor sein Buch im Untertitel nennt. Er spannt dabei immerhin einen Bogen von der ersten Wagneraufführung nach dem Zweiten Weltkrieg, dem "Tannhäuser" in Chemnitz am 24. Februar 1946, bis zum "Siegfried" am 6. Januar 1990 in Magdeburg.

Werner P. Seiferth - Sänger, Regisseur und Theaterleiter, zuletzt bis 1997 Intendant des Berliner Metropoltheaters - beschreibt den Neuanfang in Sachen Wagner unter schwierigsten Nachkriegsbedingungen. Er berichtet von Sternstunden, etwa den ersten Dessauer Wagner-Festwochen 1953 als Gegenpol zu "Neubayreuth" und von vielen spannenden Inszenierungen, aber auch von künstlerischen Tiefpunkten und den ständigen ideologischen Einmischungen der Staatsmacht. Was man ebenfalls von Seiferth erfährt: Dass es in der DDR bis zur Lizenzausgabe von Martin-Gregor-Dellins Wagnerbiografie in den späten Siebzigerjahren so gut wie keine Wagner literatur gab - abgesehen von einem Aufsatz Hans Mayers, "Richard Wagners geistige Ent wicklung", der allerdings nach Mayers Landflucht 1963 nicht mehr zitiert werden durfte. Erst der Leipziger Journalist, später Universitätsprofessor Werner Wolf habe dann damit begonnen, so etwas wie Wagnerforschung in der DDR anzuregen und zu etablieren.

Wagner, so begreift man in Werner P. Seiferths Buch, hat in der DDR nie zu den favorisierten Komponisten gezählt. Im Gegenteil: in einer vom Zaune gebrochenen, folgenreichen ideologischen Wagnerdebatte 1958 in der Zeitschrift "Theater der Zeit" sollte er sogar end gültig desavouiert werden - was misslang. Seit der Regisseur und Operndirektor Joa chim Herz das neue Leipziger Opernhaus 1960 mit seiner wegweisenden, komödiantisch-realistischen und zugleich historisch-kritischen Inszenierung von Wagners "Meistersingern" eröffnete und sich mit seinen folgenden Wagneraufführungen bis hin zum legendären "Ring" 1976 für den Komponisten stark machte, galt "Wagner im Sozialismus in den Farben in der DDR" als gesell schaftsfähig. Neue Regisseure wie Ruth Berghaus, Peter Konwitschny, Harry Kupfer und viele andere beschäftigten sich mit ihm. In den letzten Jahren der DDR war Wagner ein viel gespielter Komponist. Doch da hatte man bereits zunehmend mit Beset zungs problemen zu kämpfen, weil die besten DDR-Sänger gegen Devisen im westlichen Ausland sangen.

Das Thema "Wagner in der DDR" ist heute Vergangenheit. Aber es liegt nun eine zuver lässige Bilanz des Gewesenen mit präzisen Daten vor. Mehr als 6000 Aufführungen und 300 Inszenierungen des von der Obrigkeit wenig geliebten und nur zögerlich geehrten Musikers dokumentiert Seiferth, nahezu alle Inszenierungen zu DDR-Zeiten, aber auch die konzertanten Aufführungen und Eterna-Platten einspielungen. Sein Buch ist in zwei Teile untergliedert: Einem historischen Abriss folgt eine Chronologie der Inszenierungen nach Stücken, nach Städten beziehungsweise Theatern und nach Künstlern. Die Mitwirkung von DDR-Künstlern in Bayreuth wird aufgelistet. Ein biografisches Künstlerverzeichnis (interessant gerade wegen der vielen vergessenen Wagnersänger der DDR, die nie im Westen gesungen haben) rundet diese Dokumentation ab. Für die Wagnerforschung, für die Theaterwissenschaft, aber auch für alle, die sich einfach erinnern wollen, wie war das damals in der DDR mit Wagner, ein wichtiges, ein unverzichtbares Buch, das eine Lücke in der Wagnerliteratur schließt.

Besprochen von Dieter David Scholz

Seiferth, Werner P.: Richard Wagner in der DDR - Versuch einer Bilanz
Sax Verlag, Markleeberg 2012
416 Seiten, 21,90 Euro