Kehrt die Kunst ins Fernsehen zurück?

Von Manfred Eichel · 08.09.2007
"Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst!" – Nein, dieser Titel weist nicht auf eine der prächtigen und wohlfeilen Hochglanz-Ausgaben aus dem Hause Taschen hin. Hier geht es um eine Programm-Ankündigung fürs Fernsehen. Fürs Fernsehen? Man mag es nicht glauben und macht sich es plausibel: Hier muss in den Archiven gewühlt worden sein.
Hier werden Schätze gehoben aus einer Zeit, in der Kunst und auch die zeitgenössische noch ganz selbstverständlich zu den Programm-Inhalten der öffentlich-rechtlichen Sender gehörten. Oder sollte sich hier erstmals eine Trendwende zeigen?

Ein wenig schon, aber nicht so ganz. Denn die Filme zu den neuen Meisterwerken der Gegenwartskunst, die soll’s tatsächlich geben, werden nur halb so lang sein wie früher mal. Aber immerhin. Denn lange gab’s auf diesem Sektor gar nichts mehr. In den großen Kulturmagazinen der ARD und des ZDF kommt aktuelle Kunst allenfalls mal verschämt am Rande vor. Und wenn die Dritten Kunst präsentieren, beschränken sie sich in der Regel auf Künstler aus ihrer Region. Und oft genug bleiben die auch nur in der Region bekannt.

Ab Ende dieses Monats werden nun die neuen "Meisterwerke" ausgestrahlt. Die Liste, die mit Genzken, Tuymans und Slominski aufmacht, stammt immerhin von ausgewiesenen Experten aus der "Monopol"-Redaktion in Berlin. Die Filmemacher sitzen in Mainz auf dem Lerchenberg, verstehen also ihr Handwerk. Man darf erwartungsvoll gespannt sein – aber besser wohl nicht zu sehr. Denn weiterhin werden Völkermord in Afrika oder Internet-Zensur in China die üblichen Themen in den Kulturmagazinen der Fernseh-Anstalten sein. Wer was wirklich Wichtiges über Theater oder Malerei erfahren will, muss schon zu "Theater heute" oder zur "Kunstzeitung" greifen. Die allgemeine Unterhaltsamkeit bleibt weiterhin oberstes Programmziel. Weshalb ARD und RTL, ZDF und Sat1 einander immer ähnlicher werden – bis auf die paar wirklich exzellent gemachten Informationsprogramme. Die ernsthaftere Kultur aber ist in die arte- und 3sat-Kanäle weggedrängt worden - und darbt auch da.

So wie die Kultur, nicht nur beim Fernsehen, immer häufiger politisch und gesellschaftsbezogen wird, ist die Politik immer feuilletonistischer geworden. Lutz Hachmeister, der Direktor des Berliner Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, stellte kürzlich im "Tagesspiegel" lapidar fest: "Politischer Journalismus im herkömmlichen Verständnis ist unwichtiger geworden. Heute können Doping im Leistungssport, die Spielarten des Religiösen oder Service-Themen zu Aufmachern in den Zeitungen und Magazinen werden." Sorgfältige politische Recherche gäbe es kaum noch, stattdessen sei "ein Siegeszug des Feuilletons, der Wirtschaftsreportage, der Beschreibung von Lebensstilen" zu verzeichnen – kurz: der Journalismus würde immer beliebiger.

Ganz sicher wird er aber auch, zumindest im Tagesgeschäft, immer oberflächlicher. Die wirklich substantiellen Nachrichten findet man zuweilen, fast versteckt, in den Online-Programmen, die die Redaktionen zu ihren Veröffentlichungen ins Internet stellen. Da wird dann manches sehr differenziert dargestellt, was in den Beiträgen oft nur angerissen werden konnte.

In einer solchen Zeit, in der die Kultur immer weniger Platz in den Medien findet und in der sich die Grenzen zwischen den journalistischen Sparten auflösen, erscheint es anachronistisch, wenn eine angesehene Hochschule einen Aufbaustudiengang für angehende Kulturjournalisten aus dem Boden gestampft hat. Die Universität der Künste in Berlin, die größte Kunsthochschule Europas, hat ein solches Studium vor vier Jahren eingerichtet. Unsinnig? Nein: Es gibt es gleich drei gute Gründe für diesen Entwicklungsdienst – einen Heimvorteil, eine Hoffnung und eine konkrete Perspektive:

Zum einen haben die Studierenden an einer Kunsthochschule, an der Maler und Musiker, Schauspieler, Architekten und viele andere Kreative ausgebildet werden, unmittelbaren Kontakt in diese Kulturbereiche – intensiver als irgendwo sonst. Zum anderen besteht die wahrlich berechtigte Hoffnung, dass selbstbewusste, weil tüchtige junge Spezial-Journalisten, die aus der Masse der Allround-Journalisten herausragen, auch auf einem angespannten Arbeitsmarkt gut unterkommen können.

Und schließlich: Die Kulturberichterstattung in den Medien ist so sehr zurückgefahren worden, dass das Pendel eigentlich bald mal wieder zurückschwingen muss. Schlechter kann es kaum werden. Die Nachricht von den "Meisterwerken zeitgenössischer Kunst" - ab Ende dieses Monats auf 3sat - ist möglicherweise doch schon der Anfang einer Wende. Aber ganz sicherlich wird demnächst das digitale Fernsehprogramm, das zu jeder Zeit abgerufen werden kann, schon sehr bald Special-interest-Programme einrichten müssen. Dann wird es eine Fülle neuer Arbeitsplätze für gut ausgebildete Kulturjournalisten geben. Und dann werden die Berichte über zeitgenössische Meisterwerke auch wieder länger und gründlicher und dennoch lustvoll sein – so ähnlich wie in den Goldenen Zeiten des Kulturfernsehens.

Manfred Eichel, Kunst- und Literaturwissenschaftler, journalistische Stationen "SPIEGEL", NDR-Fernsehen und ZDF, dort lange Jahre Chef "Aspekte", 2000 - 2003 Chefkorrespondent Kultur im Berliner ZDF-Hauptstadtstudio, seit 1988 Professor an der UdK Berlin im Studiengang Kulturjournalismus
Manfred Eichel
Manfred Eichel© privat