Katja Kipping

Linke-Parteichefin distanziert sich von Wagenknecht

Katja Kipping, die Co-Vorsitzende der Partei Die Linke.
Katja Kipping, die Co-Vorsitzende der Partei Die Linke. © Imago / Metodi Popow
Katja Kipping im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 28.07.2016
Die Linken-Parteichefin Katja Kipping hat sich über die Äußerungen ihrer Fraktionschefin Sahra Wagenknecht zur Ausländerpolitik geärgert. Sie erinnerte daran, dass unter den Opfern der jüngsten Gewalttaten auch Menschen mit Migrationshintergrund waren.
Die Vorsitzende der Partei "Die Linke", Katja Kipping, hat sich von den umstrittenen Äußerungen der Fraktionschefin Sahra Wagenknecht zur Ausländerpolitik distanziert. Sie habe sich über deren schriftliche Pressemitteilung sehr geärgert, sagte Kipping im Deutschlandradio Kultur. Sie halte diese für falsch und innerhalb der Partei seien strömungsübergreifend viele Mitglieder über die Äußerungen von Wagenknecht geschockt und empört gewesen. Wagenknecht hatte gesagt, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen mit erheblichen Problemen verbunden sei und viel schwieriger als Bundeskanzlerin Angela Merkel es mit ihrem Satz "Wir schaffen das" habe einreden wollen.

Engagement für Flüchtlinge

"Ich finde es gut, dass sie sich korrigiert hat", sagt Kipping. "Ich hätte mir gewünscht, die Korrektur wäre gar nicht erst notwendig gewesen." Viele Parteimitglieder an der Basis seien Teil der Solidaritätsbewegung und engagierten sich für Flüchtlinge in ihrer Freizeit. "Wir sagen ganz klar, das Recht auf Asyl verteidigen wir, und das tut not", so Kipping. Dafür sei eine gesellschaftliche Kraftanstrengung für bezahlbaren Wohnraum und Bildungsangebote nötig, von der die ganze Gesellschaft profitiere.

Auch Opfer mit Migrationshintergrund

Zu den jüngsten Gewalttaten in Würzburg, München und Ansbach sagt Kipping: "Verantwortlich für eine Tat ist der Täter und niemand anderes." Wer jetzt die Religion oder die mögliche Migrationsgeschichte von Tätern zur Ursache von Gewalt erkläre, der vergreife sich auch an den Opfern. "Wir müssen auch einfach mal berücksichtigen, dass sich auch unter den Opfern Menschen mit Migrationshintergrund befinden", erklärt sie. Das erste Opfer der Gewalttat von Nizza sei eine Muslima gewesen und in Würzburg sei dem Anschlag eine chinesische Familie zum Opfer gefallen. "Die Eltern der in München ermordeten Jugendlichen, die kamen aus dem Kosovo, Türkei, Griechenland", ergänzt Kipping.

Norwegen als Beispiel

Die Linken-Politikerin warnt davor, in Reaktion auf die Gewalttaten, die Demokratie, Grund- und Freiheitsrechte einzuschränken. "Ich glaube, wenn man dem Terror und Amokläufen entgegenwirken will, kann man sich mal anschauen, was in anderen Ländern passiert ist." Frankreich habe mit dem Ausnahmezustand reagiert, in den USA sei eine Brutalisierung der Gesellschaft die Folge. "All das hat die Gesellschaften dort nicht sicherer gemacht." Kipping spricht sich dafür aus, sich eher an Norwegen und der Reaktion auf das Breivik-Attentat 2011 zu orientieren. "Wir lassen uns unsere Freiheit und unsere Grundwerte nicht durch einzelne Gewalttäter kaputt machen", habe man dort gesagt.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Heute Mittag tritt die Kanzlerin vor die Presse, unterbricht dafür ihren Sommerurlaub, und man kann davon ausgehen, dass es thematisch um zweierlei geht, die mitunter locker vermischt werden: die Flüchtlinge einerseits und die jüngsten Gewalttaten andererseits. Was die Flüchtlinge angeht, da kennt sich meine Gesprächspartnerin aus, sie hat darüber sogar ein Buch geschrieben, es heißt "Wer flüchtet schon freiwillig", und außerdem ist sie Politikerin: Schönen guten Morgen, Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke!
Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Nach der großen Willkommenskultur im vorigen Sommer gab es die Silvestervorfälle in Köln, die die Diskussionen verändert haben. Befinden wir uns nun seit einer Woche, seit den Attentaten von Würzburg, München, Ansbach, in einer weiteren Phase, in der Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt werden?
Kipping: Ja, das wäre verheerend, die Trauer und Betroffenheit auf Amokläufe oder schreckliche Gewalttaten jetzt zu vermischen mit einer Frage, was die Flüchtlinge und Geflüchteten umtreibt, denn ich meine, wenn man mal genau hinschaut, kann man da nicht einfach ein Gleichheitszeichen dazwischensetzen. Nehmen wir nur mal den Täter in München, der ist ja ganz offensichtlich sehr stolz darauf gewesen, ein Arier zu sein, und war eher voller rassistischer Einstellungen gegenüber Menschen, die aus der Türkei kommen, also es ist eher einer mit einem rassistischen Hintergrund gewesen.
Und jetzt in den Mittelpunkt zu stellen, dass er halt ein Deutsch-Iraner war, finde ich es überhaupt nicht angemessen – zumal man bei den Geflüchteten sagen muss, viele von denen, die fliehen, fliehen ja auch aus Angst vor fundamentalistisch-islamistischem Terror. Also insofern finde ich die Frage, wie Integration gelingen kann, ist die eine, und die Frage, was ist eine angemessene Reaktion auf so schreckliche und tragische Gewalttaten, muss eine andere sein.

Verantwortung für die Tat trägt der Täter

von Billerbeck: Aber wenn Sie mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen, kriegen Sie es da hin zu differenzieren zwischen Ausländern, Migranten, Einwanderern, Flüchtlingen und Geduldeten oder müssen Sie in diesen Gesprächen immer verhindern, dass alles in Fremde und Fremdenhass umschlägt und Sie dem entgegentreten müssen?
Kipping: Ja, natürlich gibt es in dieser Gesellschaft eine starke Neigung, alle, die als vermeintlich Fremde eingestuft werden, die jetzt als …
von Billerbeck: Auch unter Sympathisanten der Linken.
Kipping: Ich will aber mal sagen, ich finde, was auch Aufgabe von verantwortungsvoller Politik in der jetzigen Zeit, ist, immer wieder deutlich zu machen, verantwortlich für eine Tat ist der Täter und niemand anderes. Und wer jetzt die Religion oder die Migrationsgeschichte, die mögliche Migrationsgeschichte von Tätern zur Ursache erklärt, der vergreift sich auch an den Opfern. Wir müssen auch einfach mal berücksichtigen, dass sich auch unter den Opfern Menschen mit Migrationshintergrund befinden.
Das erste Opfer von Nizza war eine Muslima, dem Anschlag in Würzburg ist eine chinesische Familie zum Opfer gefallen, die Eltern der in München ermordeten Jugendlichen, die kamen aus dem Kosovo, Türkei, Griechenland, also kurzum, auch unter den Opfern sind Menschen mit einem Migrationshintergrund oder einer speziellen religiösen Überzeugung. Insofern finde ich, man darf jetzt nicht auf den Hintergrund der Personen abstellen, sondern muss eher fragen, was sind das für menschenverachtende Einstellungen, die dahinterstehen.
von Billerbeck: Klar, klar, das sind die Fakten, die kennen wir ja auch, aber wir wissen ja, dass es mit den Fakten so eine Sache ist. Wie erleben Sie das in den Gesprächen, spielt das da eine Rolle?

Blick über die Grenzen

Kipping: Na ja, es gibt eine zunehmende Verunsicherung, und die hat ganz viele Quellen. Ich glaube, wie gesagt, Aufgabe von verantwortungsvoller Politik jetzt ist es, alles zu tun, damit man nicht auf menschenverachtende Gewalttaten dahingehend reagiert, dass Demokratie und Grund- und Freiheitsrechte abgebaut werden. Und ich glaube, wenn man dem Terror und Amokläufen entgegenwirken will, kann man sich ja mal anschauen, was in anderen Ländern passiert ist.
Also Frankreich hat mit einem Ausnahmezustand darauf reagiert, in den USA gibt es seit Längerem Amokläufe, da wird mit einer Brutalisierung der Gesellschaft darauf reagiert, und all das hat die Gesellschaften dort nicht sicherer gemacht. Ich finde, wir sollten uns eher ein Beispiel daran nehmen, wie damals in Norwegen auf das schreckliche Breivik-Attentat vor mehreren Jahren reagiert wurde, wo man gesagt hat, wir lassen uns unsere Freiheit und unsere Grundwerte nicht durch einzelne Gewalttäter kaputtmachen.
von Billerbeck: Wir wissen nicht, ob die Kanzlerin heute den berühmten Satz "Wir schaffen das" noch mal wiederholt, würden Sie ihn sagen?
Kipping: Ich fand es immer falsch, das zu sagen, ohne danach zu sagen wie. Deswegen habe ich auch und haben wir als Linke immer wieder klargemacht, damit wir es schaffen, braucht es jetzt eine soziale Offensive für alle. Kurzum: Natürlich braucht es auch mehr Kräfte bei der Polizei, aber zuallererst müssen wir sicherstellen, dass es für alle Menschen, egal wo sie herkommen, bezahlbaren Wohnraum gibt, dass es für alle Zugang zum Arbeitsmarkt gibt, und dafür wird man Geld in die Hand nehmen müssen.

Die Position der Partei ist da klar

von Billerbeck: Auch in der Linken gibt es aber bekanntlich sehr unterschiedliche Stimmen. Sahra Wagenknecht hat im Sommerinterview gesagt: Ich denke schon, dass die Aufnahme und Integration einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern zumindest mit erheblichen Problemen verbunden und sehr viel schwieriger ist, als Frau Merkel uns das mit ihrem "Wir schaffen das" einreden wollte. Sie hat dann hinterher wieder relativiert, trotzdem die Frage: Wird da nicht am rechten Rand, nur in milderem Ton und vor allem im Subtext, signalisiert, das mit den vielen Flüchtlingen wollten wir auch nicht?
Kipping: Also die Position der Partei ist da klar. Viele unserer Mitglieder, gerade an der Basis, sind ja auch Teil der Solidaritätsbewegung und engagieren sich da unglaublich in ihrer Freizeit. Wir sagen uns, klar, das Recht auf Asyl verteidigen wir und das tut not, und zum Zweiten sagen wir gemeinsam, was es jetzt braucht, ist halt wirklich eine gesellschaftliche Kraftanstrengung für bezahlbaren Wohnraum und auch damit mehr Geld in die Bildung investiert wird, wovon sowohl Kinder aus ärmeren Familien profitieren wie die geflüchteten Kinder profitieren.
von Billerbeck: Die Position der Partei ist klar, wenn ich Sie mal unterbrechen darf, aber das heißt ja, Sie müssten eigentlich Sahra Wagenknecht parteischädigendes Verhalten vorwerfen.
Kipping: Nein, ich hab mich über ihre schriftliche Pressemitteilung sehr geärgert, ich finde die auch für falsch. Sie hat auch bei uns innerhalb der Partei strömungsübergreifend … waren sehr viele geschockt und empört über diese Worte, und ich finde es gut, dass sie sich korrigiert hat. Ich hätte mir gewünscht, die Korrektur wäre gar nicht erst notwendig gewesen.

Gesellschaft der sozialen Garantieren

von Billerbeck: Nächstes Jahr ist Bundestagswahl, was meinen Sie, wird das Thema Flüchtlinge die Wahl entscheiden?
Kipping: Nein, das nicht – ich finde auch das falsch, das unter dieser Maßgabe zu betrachten. Wir stehen als Gesellschaft vor einer großen Aufgabe, nämlich, wie können wir für alle Menschen hierzulande mehr soziale Gerechtigkeit schaffen, wie kann man also … Dieses Gefühl der Angst hat ja ganz verschiedene Ursachen, das sind ja nicht nur Gewalttaten, sondern dieses Gefühl der Angst kommt ja auch aus einer allgemeinen sozialen Verunsicherung heraus.
Und insofern hoffe ich, dass der Wahlkampf auch genutzt wird einfach für eine grundlegende Debatte, in was für einer Gesellschaft wollen wir leben – einer, in der Menschen von Existenzängsten bedroht sind, oder einer Gesellschaft, in der es soziale Garantien für alle gibt, und was müsste getan werden, welche Kräfteverhältnisse müsste es geben, damit es uns gelingt, eine Gesellschaft der sozialen Garantien zu schaffen.
von Billerbeck: Katja Kipping war das, Kochefin der Partei Die Linke. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema