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Teach First

Schulen mit einem hohen Anteil an Schülern aus sozial schwachen Familien finden oft nicht die richtigen Lehrer, denn auch die machen um solche Problemfälle einen großen Bogen. In Großbritannien versucht man es seit einiger Zeit mit einer ungewöhnlichen Methode: Besonders begabte Uni-Absolventen werden dort ermutigt, für zwei Jahre ihre Fähigkeiten im Klassenzimmer auszuprobieren.

Von Tobias Armbrüster | 05.12.2007
    Die Kingsmead School im Nordosten von London, eine der ärmsten Gegenden der britischen Hauptstadt. Die Schule liegt zwischen Sozialwohnungsblocks und lauten Strassen. Die Schüler sind unruhig, reden im Unterricht oder machen Witze.

    Vorne an der Tafel im Biologie-Raum steht Henry Palmer, 25 Jahre alt. Henry, ein blonder Wuschelkopf ist kein ausgebildeter Lehrer, sondern hat im letzten Jahr sein Diplom als Botaniker gemacht, er war einer der besten seines Uni-Jahrgangs. Aber auf die Arbeit im Klassenzimmer war er nicht vorbereitet.

    "Ich erinnere mich an eine meiner ersten Stunden. Die Klasse war unruhig, ich wusste nicht mehr weiter - irgendwann habe ich deshalb einen Schüler angeschrieen habe, der die ganze Zeit frech war. Daraufhin ging plötzlich eine Schlägerei unter den Schülern los. Zum Glück gibt es hier in jedem Raum ein Telefon - da genügt ein kurzer Anruf, dann kommt ein Sicherheitsdienst, der schwierige Schüler rausholt. Aber für mich war es eine Katastrophe."

    Henry macht mit bei Teach First. Das ist eine Art Trainee-Programm, bei dem besonders gute Uni-Absolventen auch ohne Lehrer-Ausbildung für zwei Jahre in Problemschulen unterrichten. Finanziert wird das ganze von mehreren großen Unternehmen. Zur Vorbereitung für die angehenden Lehrer gibt es lediglich einen zweiwöchigen Crash-Kurs in Pädagogik. Im Lebenslauf zählt die Arbeit mit Teach First anschließend als Pluspunkt. Und die Schulen, die mitmachen, bekommen für zwei Jahre Lehrer, von denen sie sonst nur träumen können. Peter Plowman ist der stellvertretende Direktor der Kingsmead School, und Vorgesetzter von Henry Palmer:
    "Henry ist für uns ein äußerst interessanter Lehrer. Er war als Kind an einer sehr guten Schule und er war in seinem Uni-Fach ein exzellenter Student. Ich glaube, er spornt die Kinder hier an. Es ist wichtig, dass die Schüler bei uns jemanden wie Henry kennen lernen - jemanden, der anders ist als die Leute, die bei ihnen in der Straße wohnen."

    Die Investment-Bank Lehman Brothers im Londoner Finanz-Viertel, ein 20-stöckiges Hochhaus aus Glas und Marmor. Dan Marshall, 28, arbeitet hier als Fonds-Manager, er verwaltet ein Millionen-Vermögen. Er hat das Teach-First-Programm vor zwei Jahren abgeschlossen. Anschließend hat er seinen ersten Job bei einer internationalen Bank bekommen.

    "Wenn Du im Bank-Geschäft eine neue Aufgabe übernimmst, dann musst Du in der Lage sein, Dich innerhalb weniger Tage in ein völlig neues Gebiet einzuarbeiten. Ich selbst musste hier zum Beispiel von Anfang an Präsentationen machen. Meine Zeit als Lehrer im Klassenzimmer hat mich darauf sehr gut vorbereitet. Da habe ich gelernt, wie man solche Situationen überlebt."

    Kritiker sagen, mit Teach First würden Schulen vor allem Geld sparen - denn diese akademischen "Super-Kids" verdienen in den ersten zwölf Monaten knapp 8000 Euro weniger als andere Lehrer, die gerade anfangen.

    Außerdem kann man dem Projekt vorwerfen, dass es den Karrieredrang von talentierten Jung-Akademikern ausnutzt, um Fehler in der britischen Schulpolitik auszubügeln. Brett Wigdortz ist der Geschäftsführer von Teach First:

    " Wir beuten niemanden aus. Im Gegenteil: Dieses Programm nützt allen Beteiligten. Die Top-Uni-Absolventen wollen doch heute Jobs, die sie auch persönlich weiterbringen und Jobs, in denen sie noch etwas neues lernen. Teach First macht das möglich. Mit ihrer Arbeit im Klassenzimmer können diese jungen Leute außerdem den Werdegang von benachteiligten Jugendlichen beeinflussen. Diese Möglichkeiten gibt Ihnen kaum anderer Job nach dem Studium."

    Teach First funktioniert in Großbritannien auch deshalb so reibungslos, weil hier sowieso fast jeder Akademiker problemlos Lehrer werden kann, auch ohne ein jahrelanges Pädagogik-Studium, wie etwa in Deutschland. Ein Teach First-Team in Berlin arbeitet trotzdem zur an der Einführung einer deutschen Variante des Programm - wann es in Deutschland losgeht, steht aber noch nicht fest.