Katholische Kirche

"Reformkräfte haben noch nicht die Oberhand"

Papst Franziskus grüßt Menschen auf dem Petersplatz im Rom von seinem Papamobil aus.
Eine außerordentliche Entscheidung nennt Marco Politi die Einberufung eines Heiligen Jahres ab 8. Dezember 2015. © afp / Filippo Monteforte
Marco Politi im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.04.2015
Für 2016 hat Papst Franziskus ein Heiliges Jahr ausgerufen. Es soll für seine Kirche ein Jahr der Reformen werden. Der Journalist und Vatikan-Experte Marco Politi analysiert, ob in der Kurie tatsächlich der Wind der Veränderung weht.
Dieter Kassel: Kurz vor Weihnachten hat ja Papst Franziskus seine Brandrede an die Kurie gehalten. Die Rede selber wird vielleicht nichts verändern, aber das, was er damit angestoßen hat, vielleicht doch. Es gibt einen sogenannten Kardinalsrat, der sich mit Reformen der Kurie beschäftigt, der besteht aus sieben Kardinälen von allen Kontinenten und die neunte Sitzungsperiode dieses Kardinalsrates ist gerade gestern zu Ende gegangen. Anfang der Woche saßen die Kardinäle drei Tage zusammen und wir wollen jetzt wissen, ob da wirklich der Wind der Veränderung weht oder nicht. Wir wollen darüber mit Marco Politi sprechen, der seit Jahrzehnten aus und über den Vatikan berichtet, er hat das zum Beispiel lange als Korrespondent von "La Repubblica" getan, und dessen Buch "Franziskus. Papst unter Wölfen" im August auch auf Deutsch erscheinen wird. Schönen guten Morgen, Herr Politi!
Marco Politi: Guten Morgen!
Dieter Kassel: Ich gebe die Frage jetzt sofort weiter bei diesen drei Sitzungstagen, die wir jetzt gerade erlebt haben: Hatten Sie das Gefühl, da wehte wirklich der Wind der Veränderung?
Marco Politi: Ja, ganz bestimmt. Dieser Kardinalsrat, das ist ja sozusagen ein Kronrat von Kardinälen aus der ganzen Welt. Jetzt sind es neun, acht von der Welt und der neunte ist der Staatssekretär, arbeitet langsam aber gründlich an der Rationalisierung der Römischen Kurie. Es ist schon herausgekommen, dass man sozusagen zwei neue große Branchen haben wird, eine, die sich um Laien, Familie und Leben kümmern wird, und die andere Branche wird mit Justitia und Pax, mit dem Gesundheitswesen, mit der sozialen Hilfe der Kirche und den Auswanderungsproblemen sich befassen. Im Großen und Ganzen ist auch herausgekommen, dass ja die Bischöfe der Welt mehr Dezentralisierung wollen. Also, sozusagen: Die Römische Kurie soll nicht eine Art Oberkommando des Heeres sein, sondern mehr ein Instrument für die ganze Kirche, ein Werkzeug für die ganze Kirche, und auch – das ist für den Papst besonders wichtig –, dass die Römische Kurie als ein Werkzeug der Mission der Kirche gesehen wird. Aber dieser Prozess ist noch langsam. Erst nächstes Jahr wird wahrscheinlich das Dokument für die Reform fertig sein.
Die Barmherzigkeit unterstreichen
Dieter Kassel: Nun kann man aber ja in ein solches Reformpapier nicht hineinschreiben: "Heilt euren Alzheimer!" Glauben Sie denn, dass die Reformen, wenn sie überhaupt kommen, wirklich auch die Mentalität der Kurie im Vatikan verändern können?
Marco Politi: Sagen wir, dass die Reform einerseits, wenn die Reform fertig ist, auch dann Personalwechsel in die Kurie bringen wird. Denn in diesem Moment ist der Papst immer noch in der Minderheit in der Kurie, aber auch in der Weltkirche, also in den Bischofskonferenzen, fühlt man noch, dass viel mehr Bischöfe noch auf der alten Linie von Papst Ratzinger oder von Papst Johannes Paul II. sind. Zum Beispiel, das hat man ganz klar in der Synode für die Familie gesehen im letzten Oktober, wo eben die Reformprojekte für zum Beispiel die Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen nach einer Bußperiode torpediert worden ist. Oder auch die Anerkennung von der positiven Relevanz eines gemeinschaftlichen Lebens einer homosexuellen Partnerschaft. Also, in diesem Sinne ist heute der Papst entschieden, weiterzuarbeiten, aber er hat einen starken Gegenwind. Und deswegen hat er auch das Jubiläumsjahr einberufen, das jetzt am 8. Dezember anfangen wird, um wieder den Begriff der Barmherzigkeit zu unterstreichen, also um zu sagen, die Kirche hat die Türen weit offen für die Sünder, und, wie er es gesagt hat: Niemand ist in der Kirche für immer verdammt! Das ist ja das große Problem, denn es gibt ja noch Bischöfe und Kardinäle, und die sind ziemlich stark, die noch mehr so eine Art juristisch-dogmatisches Denken haben, wo sie sagen: Du bist drin und du bist raus.
Dieter Kassel: Das heißt, dieses "Heilige Jahr der Barmherzigkeit", von dem Sie gesprochen haben, es beginnt am 8. Dezember, das ist auch ein bisschen ein Seitenhieb auf die Kardinäle?
Marco Politi: Ja. Es ist sozusagen ein Appell an das Volk, weil ein Teil der Hierarchie und – wie gesagt, nicht nur in Rom, denn auch in Rom gibt es in der Kurie Reformer, die Probleme gibt es auch in der Weltkirche – wenige Bischofskonferenzen sind so vorangegangen, wie zum Beispiel die Deutsche Bischofskonferenz, die gesagt hat: Wir sind nicht eine Filiale von Rom, also, wir müssen selbst entscheiden, was am besten ist für die Seelsorge, zum Beispiel für die wiederverheirateten Geschiedenen. Also, im Konzil waren damals die Deutschen, die Franzosen und auch zum Teil die Amerikaner die Führungskräfte, die für die Erneuerung der Kirche heute sind. Zum Beispiel die Deutschen, die doch immer noch sozusagen immer reformfreudig sind, haben nicht so viele Alliierte, Verbündete, wenn es zum Beispiel die Diskussion in der Synode ist. Also, die Reformkräfte haben noch nicht die Oberhand. Deswegen will ja auch der Papst direkt seine Begriffe in dem "Heiligen Jahr" besser unterstreichen und besser unter das glaubende Volk bringen.
Franziskus will nicht bis zum Ende durchregieren
Dieter Kassel: Erstaunlich an diesem "Heiligen Jahr" ist ja auch, dass es überhaupt jetzt schon stattfindet. Das letzte war im Jahr 2000 und eigentlich gibt es ja in größeren Abständen Heilige Jahre und wenn der Papst das jetzt so schnell macht, ist es auch ein Zeichen für seine Not? Dass er glaubt, es bleibt ihm nicht viel Zeit?
Marco Politi: Es ist ein außerordentliches Jahr, eine außerordentliche Entscheidung und man muss nicht vergessen, dieser Papst glaubt auch, dass sein Pontifikat nicht lange sein wird. Denn am zweiten Jahrestag seiner Wahl hat er in einem Interview mit einer mexikanischen Fernsehkompanie gesagt: Ich glaube, ich habe so das Gefühl – er hat genau dieses Wort gebraucht – ich habe das Gefühl, dass ich so vier, fünf Jahre dieses Pontifikat ausüben werde. Und dann hat er eine kleine Pause gemacht und hat dann gesagt: Oder vielleicht auch zwei, drei. Deswegen muss man denken, dass der Papst auch unter Zeitdruck ist, aber aus eigener Entscheidung. Denn er ist ja auch gewillt, denselben Weg zu gehen, wie Papst Ratzinger, und zwar, wenn der Papst fühlt, dass er nicht mehr physisch die ganze Maschinerie betreuen kann, von einer Organisation von mehr als einer Milliarde und 200 Millionen Gläubigen, dann will er zurücktreten. Und nicht so machen, wie es damals mit Papst Johannes Paul II. war, dass ein kranker Papst da war, aber hinter den Kulissen waren es schon andere Leute, die die Kirche lenkten.
Dieter Kassel: Aber er könnte doch, wenn er Pech hat, dann auch zurücktreten und in Erinnerung bleiben als der Papst, der starke Worte wählte und am Ende nichts erreicht hat.
Marco Politi: Ja. Das Endergebnis ist völlig offen. Für die Kirche kann es sein, dass es eine große Reformzeit gibt wie Roosevelt in den Vereinigten Staaten oder ein Erdbeben wie mit der Perestroika mit Gorbatschow.
Dieter Kassel: Warten wir’s ab. Ich danke Ihnen sehr! Das war der Journalist, Vatikanexperte und Autor des im August auch in Deutschland erscheinenden Buches "Franziskus. Papst unter Wölfen", Marco Politi. Herr Politi, einen schönen Tag noch!
Marco Politi: Auch an alle! Auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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