"Kasimir und Karoline"

Warum so viele Bühnen Horváth spielen

"Kasimir und Karoline" im Oktober 2011 am Residenztheater in München.
"Kasimir und Karoline" im Oktober 2011 am Residenztheater in München. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Von Stefan Keim · 01.11.2014
Fast jede Woche hat Ödön von Horváths Volksstück "Kasimir und Karoline" aus dem Jahr 1932 irgendwo Premiere. Warum stürzen sich die Theatermacher ausgerechnet auf diese Liebesgeschichte aus der Weltwirtschaftskrise?
"O Gott, nur weil du abgebaut worden bist, soll ich vielleicht weinen? Gönnst mir ja schon gar kein Vergnügen, du Egoist!"
Nicht immer versteht man den Text in Aufführungen von "Kasimir und Karoline". Es wird auch nicht immer gespielt, was Ödön von Horváth einst geschrieben hat. Wenn Frank Castorf Regie führt - hier am Residenztheater München - ist man das gewöhnt. Aber es gibt auch Neudichtungen. Marianna Salzmann zum Beispiel hat für das Düsseldorfer Schauspielhaus die Handlung von "Kasimir und Karoline" in die Gegenwart übertragen und neu getextet. Durchaus im Geiste Horváths.
"Ich denk mir so, das hier geht alles ganz schön den Bach runter. Ich meine, so richtig runter, tiefer und tiefer. Und wir, wir schauen immer höher und höher und tun so, als würden wir das nicht sehen. Aber ich, ich weiß genau, was passiert, Mann!"
Der Chauffeur Kasimir wird entlassen. Weil er keine Lust aufs Feiern hat, geht seine Beziehung mit Karoline in die Brüche. Die taumelt über das Münchener Oktoberfest und lässt sich von zwei reichen, älteren Herren angraben. Während Kasimir für einen kleinkriminellen Kumpel Schmiere steht.
Nicht viele Stücken passen so perfekt in alle Theatermoden
Auf einer Dramaturgencheckliste für zeitkritische Stücke kriegen "Kasimir und Karoline" alle Häkchen, die es gibt. Es geht um Arbeitslosigkeit, um die vom Theater lange vernachlässigte Unterschicht, es hat literarisches Niveau. Und es lässt sich einem größeren Publikum vermitteln, denn es gibt eine Liebesgeschichte, sogar schwarzen Humor. Außerdem ist das Stück offen für Regiefantasien, man kann mit Livemusik und Videos arbeiten, die Schauspieler dürfen aufdrehen, zum Setting auf dem Oktoberfest passt eine rauschartige Atmosphäre.
Und wenn man zartfühlend inszeniert, könnte es sogar dem gestrengen FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier gefallen. So etwas muss einfach auf dem Spielplan, es gibt nicht allzu viele Stücke, die so perfekt in alle Theatermoden passen.
"Ich lass mir von dir nicht ständig einreden, dass ich ganz unten bin!"
Krise lässt sich weder weglachen noch fortbrüllen
Das Problem ist nur: Wenn jemand das Stück richtig ernst nimmt, in seiner Traurigkeit, in den Momenten der Stille, der Bitterkeit, ist es nicht mehr so eingängig. Die Schauspielerin und Regisseurin Karin Neuhäuser hat das gewagt, vor einigen Jahren in Düsseldorf, vor Marianna Salzmanns Neudichtung. Es kamen kaum Zuschauer, die Aufführung war ihnen zu düster. Aber das war der echte Horváth.
"Und die Liebe höret nimmer auf" lautet das Motto des Stückes. Das ist nicht kitschig, sondern existentiell, die letzte verzweifelte Hoffnung, wenn sonst nichts mehr geht. Natürlich dürfen Theaterleute einen Klassiker bearbeiten und neu deuten. Aber im Kern ist "Kasimir und Karoline" kein Blockbusterstück. Sondern ein wehmütiges Endspiel. Die Krise höret nämlich ebenfalls nimmer auf. Und lässt sich weder weglachen noch fortbrüllen.