Kalter Krieg

Ein Prophet der Einheit

13. September 1964 in Berlin: Martin Luther King, Otto Dibelius und Willy Brandt (v. l.)
13. September 1964 in Berlin: Martin Luther King, Otto Dibelius und Willy Brandt (v. l.) © picture-alliance/ dpa
Von Andreas Malessa · 14.09.2014
Auf Einladung von West-Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt kam Martin Luther King in die Stadt. Am Abend des 13. September 1964 wollte er zu einer Predigt in den Ostteil. Doch die US-Behörden hatten ihm seinen Pass abgenommen.
"My dear christian friends in East Berlin. We're all one, for in Christ there is no East nor West, North or South, one great fellowship of love throughout the whole wide."
Samstagabend, 13. September 1964, in der evangelischen Marienkirche am Alexanderplatz in Ostberlin. Der schwarze Bürgerrechtsaktivist Dr. Martin Luther King steht auf der Kanzel und die Stasi schneidet mit :
"Here, on either side of the Wall, are God`s children. And no manmade barrier can abliterate this fact."
Wie kam es zu diesem einzigen Besuch Martin Luther Kings in der DDR ? Verhindert hätte ihn um ein Haar – nein, nicht das SED-Regime, sondern die amerikanische Kommandantur im Westen !
"Go down Moses / Let my people go"
MLK predigt vor 20.000 Zuhörern in der Waldbühne
Willy Brandt, im September '64 noch kein Bundeskanzler, aber regierender Bürgermeister von Berlin, hatte King eingeladen, anlässlich der 14. Berliner Festwochen eine Rede zum Gedenken an John F. Kennedy zu halten. "Der Negerführer", wie King sich selbst nennt und alle anderen noch ganz unbekümmert sagen, wird im Rathaus empfangen, trägt sich ins Goldene Buch ein, bekommt einen Ehrendoktor verliehen, predigt in der Waldbühne vor rund 20.000 Zuhörern.
Dann soll Martin Luther King in den Ostteil der Stadt. Die Berliner Bischöfe Otto Dibelius und Kurt Scharf sowie Probst Heinrich Grüber bitten ihn darum, obwohl sie selbst schon lange nicht mehr in die DDR einreisen dürfen.
MLK: "This is the faith I recommend to you, dear fellow christians here in Berlin, it is a living, active, massive faith that affirms the victory of Jesus Christ over this world, may it be an eastern or a western world"
US-Behörden: Lage zu heikel
Von einem lebendigen Vertrauen in den Sieg Jesu Christi sind Ost und West an diesem 13. September 1964 besonders weit entfernt : Am Morgen war der 21-jährige DDR-Flüchtling Michael Meyer durch die Spree geschwommen, von fünf Kugeln der Grenztruppen getroffen, aber von US-Soldaten mit einem Seil in den Westen gehievt worden. Die US-Behörden in Westberlin finden, die Lage sei zu heikel, um Martin Luther King nach drüben zu lassen. Sie konfiszieren seinen Pass.
"Da mein früherer Chef wusste, dass ich den King kannte - dass wir befreundet waren, wäre zu viel gesagt, aber wir kannten uns – hat er mich gebeten, Dr. King rüber zu bringen."
Ralph Zorn, heute 87 Jahre alt, ist damals Pfarrer der Friedenskirche in der Bernauer Straße. Als gebürtiger New Yorker mit amerikanischem Pass kann er eine Gemeinde, die seit drei Jahren durch die Mauer getrennt ist, leichter grenzüberschreitend betreuen als jeder westdeutsche Seelsorger dies könnte. Ralph Zorn hat außerdem als Pfarrer in Charlotte/North Carolina, den Beginn der Bürgerrechtsbewegung aktiv miterlebt.
"Auf den Weg zum Checkpoint Charly haben wir festgestellt, dass das State Department ihm seinen Pass abgenommen hat, aus 'Security Reasons', hat er uns gesagt. Und ich sagte : 'Na ja, - naiv wie ein Pfarrer manchmal ist - woll`n wir mal sehen.' Der Dr King ist in mein Auto, mit meiner Gemeindehelferin Dr. Scott mitgefahren, wir sind bis zum Checkpoint Charly gekommen und meinten, wir würden selbstverständlich – dass jeder in die ganzen Welt kennt diesen Menschen – dass wir rüberkommen ! Aber, wie der Berliner sagt: Denkste !"
Grenzkontrolleure: "Der bis dahin unbekannte Dr. King"
Realsatirisch aus heutiger Sicht ist der Bericht der Grenzkontrolleure an die Stasi-Behörde :
"Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung. KPP Friedrich- und Zimmerstrasse. Berlin, 13.9.1964. Gegen 19.40 Uhr erscheint der Negertheologe Dr. Martin Luther King zur Einreise an unserem Kontrollpunkt. Seine zwei Begleiter, Frau Dr. Scott und Herr Zorn, beide US-Bürger, geben an, dass ihr Kollege seinen Reisepass in Westberlin vergessen hat. Sie wollen jetzt zur Marienkirche zur Predigt. Da der bis dahin unbekannte Dr. King sich nicht ausweisen konnte, sagten wir ihm, dass er ohne Pass nicht ins demokratische Berlin einreisen kann."
Wird Martin Luther King nervös, zwanzig Minuten vor Beginn seiner ersten Predigt in der DDR ?
"Er hat weiterhin die Cookies meiner Frau gegessen und überhaupt nix gesagt. 'Dr King', hab ich gesagt, 'zeig, was du hast für Legitimation'. Und er zog sein Portemonnaie raus und da waren die große Menge von Karten und als ich sagte : Schauen Sie mal, hier wird er ausgewiesen als amerikanischer Bürger und als Kunde von irgendein Bank – denn stutzte der und las : Amexco, American Express. Und da war die Sache erledigt, da ging der Schlagbaum hoch."
"Flashmob" in der Marienkirche
Der heute 87-jährige Ralph Zorn staunt, als er auf die Marienkirche zusteuert. Immerhin hat es für einen nur möglicherweise stattfindenden Gottesdienst nur Mund-zu-Mund-Werbung gegeben :
"Heute nennt man das eine Flashmob, nicht ? Das Äquivalent von ein Flashmob war da in Marienkirche. 1500 in der Kirche und gute 1000 draußen, in der Hoffnung, dass er käme. Und dann sehr schnell stiegen wir, ich als sein Dolmetscher, auf der Kanzel in Marienkirche."
Acht Wochen später wird Martin Luther King in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen.
"With this faith we will be able to stand up for freedom. Together, knowing that we will be free one day."
Was 25 Jahre später ja auch wirklich wurde. Ein kurzer Besuch mit motivierender Langzeitwirkung.
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