Kalte Welt, heiße Leidenschaften

26.12.2009
In "Dumala", 1908 erstmalig erschienen, skizziert Eduard von Keyserling eine Welt, in der äußerlich Gleichmut herrscht, die Menschen aber von ihren Leidenschaften verzehrt werden. Nüchtern, mitunter ironisch zeigt er die Beschränktheit seiner Figuren, die nicht ausbrechen können aus ihrem Leben.
Der Schnee fällt leise und gleichmäßig, Feuer brennt in den Kaminen, man fährt im Schlitten, hat Kutscher und Diener, auch das Wort des Pastors in der Kirche gilt noch etwas. Wie fern erscheint uns so eine Welt, die nichts weiß von Revolution, Globalisierung und Klimaerwärmung, die scheinbar auf ewig in sich ruht.

Es ist die Welt von Dumala, einem kleinen Dorf irgendwo im Baltikum, in die uns der gleichnamige, 1908 erstmals erschienene Roman des Grafen Eduard von Keyserling entführt.

Die Handlung ist überschaubar, ihr Schauplatz begrenzt, die Hauptfiguren sind an einer Hand abzuzählen: Der Pastor von Dumala, wortgewaltig, männlich, attraktiv, singt daheim zum Klavierspiel seiner ergebenen Ehefrau. Der bettlägerige Baron von Dumala lässt sich im Kaminzimmer seines Schlosses von der Baronin pflegen, während die den regelmäßigen Besuchen des Pastors als einer seltenen Abwechslung in frostiger Winterzeit entgegensieht.

Gleichmut scheint zu herrschen und Ordnung. Man kann sich verlassen auf das Leben im kleinen Kreis. Der Wilderer wildert, der Knecht trinkt, die Magd jammert. Als ob die Zeit stillstünde und der Winter auch die Aktivitäten der Menschen einfröre.

Keyserling konstruiert eine kalte, gleichwohl nicht unfreundliche Welt. Die Innenräume versprechen Gemütlichkeit und wer draußen durch Wälder oder über verschneite Wege stapft, tut dies zumeist unter klarem Himmel in hellem Licht.

Dunkel und heiß allerdings sieht es in den Herzen der Menschen aus. Des Pastors Ehefrau ist eifersüchtig auf die Baronin, denn sie ahnt, dass die regelmäßigen Besuche ihres Mannes vor allem der Frau und weniger deren leidendem Gatten gelten.

Der wiederum beobachtet die unausgesprochene Leidenschaft des Pastors amüsiert. Die lebenshungrige Baronin selbst wartet auf eine Initiative, die sie aus ihrem insgeheim als bedrückend empfundenen Dasein reißen soll. Sie kommt schließlich von dritter Seite - von einem benachbarten Adeligen, einem Lebemann, der gewohnt ist, zu nehmen und zu bekommen, was er will.

Die Baronin von Dumala und der Baron von Rast beginnen also eine Affäre. Der Pastor, außer sich vor Eifersucht, versucht von Rast zu ermorden, besinnt sich aber in letzter Sekunde und wird sein Lebensretter. Die Baronin brennt durch, ihr Gatte stirbt wenig später. Verlassen vom Geliebten, kehrt sie, gesellschaftlich geächtet, auf ihre Güter zurück, um sich der Einsamkeit zu ergeben.

Alle Figuren des Romans sind einsam. Keine Ehe, kein Glaube, kein Wissen, weder Liebe noch Leidenschaft können sie erlösen. Sie sind Gefangene ihrer selbst, zu einem Dasein verdammt, dem sie nicht entrinnen können. Keyserling zeigt das in wenigen psychologischen Andeutungen mit erbarmungsloser Klarheit. Seine herrlichen Landschaftsbeschreibungen erhöhen den Kontrast zwischen einer manchmal unwirtlichen, aber in sich ruhenden Natur und dem unüberschaubaren Chaos menschlicher Gefühle.

Der nüchterne, mitunter ironische Blick auf die Beschränktheit unserer Existenz und wie sie in Resignation akzeptiert wird, macht den Autor so modern. Höchst sensibel beschreibt er das Unerlöste seiner Figuren, die Aussichtslosigkeit ihrer Lebenswirklichkeit. Aber eben auch die Schönheit ihrer Welt, die, von Lügen und Not unterhöhlt, der unseren offensichtlich doch nicht so fern ist.

Besprochen von Carsten Hueck.

Eduard von Keyserling: Dumala
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009
127 Seiten, 7,90 EUR