Jugendliche sollen spüren, "was ein Freiheitsentzug bedeuten kann"

Boris Rhein im Gespräch mit Marcus Pindur · 27.04.2011
Der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) hat sich für die Einführung des "Warnschussarrests" ausgesprochen. Die Haftverschonung für die jugendlichen Berliner U-Bahn-Schläger sei unverständlich.
Marcus Pindur: Erst die Gewaltorgie, dann die Haftverschonung. Auf viel Empörung ist die Entscheidung der Berliner Justiz getroffen, zwei mutmaßliche U-Bahn-Schläger wieder auf freien Fuß zu setzen. Nach dem Überfall auf einen 29-jährigen Mann hatten sich die beiden Täter gestellt und die Tat auch gestanden. Nach ihnen war mit Aufnahmen aus einer Überwachungskamera gefahndet worden. Der Haupttäter ist erst 18 und es wird wegen versuchten Totschlags gegen ihn ermittelt. Er soll das Opfer bis zur Bewusstlosigkeit getreten haben − eine Brutalität sondergleichen.
Ich begrüße jetzt am Telefon Boris Rhein, CDU, hessischer Innenminister und Vorsitzender der Innenministerkonferenz, guten Morgen, Herr Rhein!

Boris Rhein: Ja, guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Haben Sie Verständnis für die Entscheidung des Berliner Haftrichters, den Haftbefehl gegen die dazu noch geständigen Täter auszusetzen?

Rhein: Nein, ich habe dafür überhaupt kein Verständnis, wie wahrscheinlich die Mehrheit der Bevölkerung auch nicht. Das ist aber Sache eines Richters, das zu beurteilen. Ich kann das nicht, ich kenne die Aktenlage nicht und es ist natürlich – das muss man auch hinzufügen fairerweise – im Jugendstrafrecht unheimlich schwer, U-Haft zu verhängen. Nichtsdestotrotz bleibt ein Rest des Unverständnisses bei mir übrig.

Pindur: Wie immer nach solchen Vorfällen wird jetzt von vielen ein schärferes Vorgehen gegen jugendliche Gewalttäter gefordert. Sie haben gerade das Jugendstrafrecht erwähnt, jetzt wird zum Beispiel die Einführung eines sogenannten Warnschussarrestes gefordert. Ist das in Ihren Augen eine abschreckende Maßnahme oder ist das doch eher ein Placebo für die gerade mal wieder aufgebrachte Öffentlichkeit?

Rhein: Ich halte grundsätzlich nichts von den reflexhaften und nahezu schon ritualisierten Diskussionen im Anschluss an solche Taten. Nichtsdestotrotz darf es auch in einem solchen Zusammenhang, finde ich, keine Denkverbote geben und ich bin ein absoluter Befürworter einer raschen Einführung des Warnschussarrestes. Das ist nichts anderes als die Umsetzung des Koalitionsvertrages im Übrigen und ich halte das nicht für Symbolpolitik, ganz im Gegenteil. Ich stimme meinem Parteifreund und Kollegen Bosbach durchaus zu, indem er sagt, dass es durchaus wirksam sein kann, wenn eben ein Straftäter spürt, was ein Freiheitsentzug bedeuten kann.

Der Warnschussarrest wird neben der Bewährung ausgesprochen, er darf natürlich auch nur in geeigneten und in besonderen Ausnahmefällen ausgesprochen werden. Was aber richtig ist – und da gebe ich den Gegnern durchaus recht –, dass die Strafrahmen, die existieren, besser ausgeschöpft werden müssen. Aber das ist ein anderes Thema, nichtsdestotrotz es bleibt, Strich drunter, ich bin sehr für die rasche Einführung des Warnschussarrestes.

Pindur: Ist das jetzt eine mediale Wahrnehmung, die wir haben, oder gibt es tatsächlich einen Zuwachs an Gewaltkriminalität durch Jugendliche?

Rhein: Nein die Zahlen sind eigentlich sehr deutlich, jedenfalls in Hessen, aber auch, wenn wir es uns bundesweit anschauen: In Hessen ist die Gewaltkriminalität bei den Tatverdächtigen bis 20 Jahre im Jahre 2010 um insgesamt wiederum 5,4 Prozent zurückgegangen. Das ist ein erkennbarer Trend, ein erkennbarer rückläufiger Trend, das gilt auch bundesweit, da haben wir einen leichten Rückgang bei den Zahlen. Aber was uns durchaus Sorge macht und was wir durchaus auch wahrnehmen, ist, dass die Taten immer brutaler werden, dass sie immer häufiger mit Waffen stattfinden und dass eben nicht Schluss ist, wenn einer am Boden liegt, sondern dass es dann erst richtig losgeht. Wie auch in diesem Fall, wo ja durchaus auch dann gegen den Kopf getreten worden ist. Das halte ich für einen, wie schon gesagt, besorgniserregenden Trend.

Pindur: Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum, ist die ausreichend, stellt sich da die Frage, oder muss das ausgebaut werden?

Rhein: Ja, das ist eine Diskussion, bei der es sehr viel Pro und Contra gibt. Wir haben in Hessen das jetzt seit zehn Jahren und die Erfahrungen aus den zehn Jahren Videoüberwachung zeigen, dass mithilfe der Videoüberwachung potenzielle Täter von der Begehung abgeschreckt werden, sie zeigen insbesondere, dass man sehr unmittelbar und sehr rasch polizeiliche Interventionsmaßnahmen treffen kann und, was ich für einen ganz wichtigen Punkt halte, dass man Beweissicherungs- und Identifizierungsmaßnahmen durchführen kann. Was dazu führt, dass man möglicherweise nicht den Täter von der Tat abschreckt, aber dass man die Aufklärung erleichtert. Was vielfach eben auch dazu führt, dass ein Täter einer schnellen und einer konsequenten Strafe zugeführt wird.

Pindur: Wo sehen Sie die Hintergründe für solche Taten von verstörender Brutalität? Bei dem 18-jährigen mutmaßlichen Haupttäter soll es sich um einen Jungen aus gutem Hause handeln, der zur Schule geht und bislang nicht auffällig geworden ist.

Rhein: Ja das ist ja im Übrigen das Erschreckende, man hat das ja vielfach auch mit Perspektivlosigkeit erklärt und hat es mit Arbeitslosigkeit erklärt, man hat es mit vielen anderen sozialen Missständen erklärt. In dem Fall ist es eben völlig anders und deswegen ist man schon ein bisschen ratlos, wenn man einen solchen Ausbruch an Gewalt und einen solchen Ausbruch an völliger Sinnlosigkeit sieht. Ich kann es in diesem Moment nicht erklären. Ich glaube, es wird sehr interessant werden, diesem Prozess zu folgen und eben auch den Befragungen und den Urteilsspruch sich genau anzuschauen, weil durchaus vieles klarer werden wird, an einer solchen Tat, wenn man sich das genau anschaut.

Pindur: Vielen Dank! Boris Rhein, CDU, hessischer Innenminister und Vorsitzender der Innenministerkonferenz, Herr Rhein, einen guten Tag noch!

Rhein: Ja danke, tschüss!

Pindur: Danke Ihnen, tschüss!
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