Jüdisches Museum ist mehr als ein "Holocaust-Museum"

Michael Blumenthal im Gespräch mit Nana Brink · 19.07.2011
Das Jüdische Museum in Berlin sei nicht nur dem Holocaust gewidmet, sondern "ein deutsches Geschichtsmuseum", sagt dessen Direktor Michael Blumenthal. Er möchte künftig Migration und demografische Entwicklung in Deutschland erforschen lassen.
Nana Brink: Der geschäftsführende Direktor Börries von Notz nennt es einen nachhaltigen Renner, das Jüdische Museum in Berlin. Der spektakuläre Bau des Architekten Daniel Liebeskind in der Form eines geborstenen Davidsterns feiert in diesem Herbst sein zehnjähriges Bestehen. Und seit seiner Eröffnung sind mehr als sieben Millionen Besucher ins Museum gekommen, um nicht nur die Dauerausstellung über 2000 Jahre deutsch-jüdische Geschichte zu sehen, sondern auch immer wieder Sonderausstellungen wie jetzt zum Jubiläum über nationale Identität. Ein großer Erfolg also, das Jüdische Museum zählt zu den bestbesuchten Museen in Deutschland überhaupt. Und am Telefon ist jetzt Professor Michael Blumenthal, der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Einen schönen guten Tag, Herr Blumenthal!

Michael Blumenthal: Guten Tag!

Brink: Haben Sie mit diesem Erfolg zu Beginn gerechnet?

Blumenthal: Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Als ich hier Ende der 90er-Jahre gebeten wurde, mich mit diesem Projekt zu befassen – damals übrigens für 18 Monate, und jetzt bin ich immer noch hier –, da sprach man von einem Museum, zu dem vielleicht 150.000 bis 200.000 Besucher im Jahr kommen würden. Nun haben wir weit über 700.000 im Jahr. Das ist natürlich eine Entwicklung, die gar nicht vorauszusehen war.

Brink: Warum glauben Sie, ist das Museum so erfolgreich, was zieht die Menschen an?

Blumenthal: Ich glaube, zu Anfang war es klar, dass die ungewöhnliche Architektur, entworfen von Daniel Liebeskind, für viele Leute sehr interessant war, weil es etwas sehr Ungewöhnliches und Besonderes ist, aber letzten Endes ist der Inhalt ja das Wichtigste, und heute, laut Umfragen, die wir bei unseren Besuchern ständig machen, ergibt es sich, dass der größere Teil der Besucher des Inhalts wegen kommt – immer noch natürlich ist die Architektur interessant, aber doch des Inhalts wegen. Und der Inhalt befasst sich ja mit der 2000-jährigen Geschichte der Anwesenheit von Juden auf dem Boden in Europa, der heute Deutschland ist. Und da gibt es so viel Interessantes zu erzählen – die Rolle, die die Juden im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende auf allen Gebieten gespielt haben, das ist spannend. Und wir haben versucht, von Anfang an das für Jugendliche interessant zu machen, also mit vielen modernen Medien, Computern und interaktiven Spielen, wo die Jugendlichen selbst anfassen und mitspielen können. Und das hat, glaube ich, sehr gut eingeschlagen.

Brink: Also es ist nicht nur die Reduktion auf den Holocaust, also diesen Teil der deutsch-jüdischen Geschichte?

Blumenthal: Nein, nein, nein. Von Anfang an hatte ich mich entschieden, dass wir kein Holocaust-Museum hier machen. Natürlich, wenn man die deutsch-jüdische Geschichte erzählen will, kann man ja den Holocaust nicht vergessen, der ist ja ein schrecklich-trauriger, tragischer Teil dieser Geschichte, aber doch nur ein kleiner Teil. Wir fangen an mit der Römerzeit, und da gibt es viele Höhen und Tiefen. Und einer der Lektionen, die man aus dieser Geschichte lernt – und ich glaube, das ist auch besonders für Jugendliche interessant –, dass wenn man Minderheiten gegenüber Toleranz zeigt, es für beide Teile sehr nützlich sein kann, und dass das Gegenteil auch der Fall ist. Bei Intoleranz leiden beide, ebenso wie im Holocaust die nicht Deutschen ebenso gelitten haben wie die Juden. Und das ist ja auch auf die heutige Situation mit anderen Minderheiten in diesem Land, das immer gemischter ist, was Bevölkerung anbelangt, absolut anwendbar, diese Lektion.

Brink: Ist es dann auch ein Prinzip, über die deutsch-jüdische Geschichte hinauszugehen? Sie machen das ja in der großen Jubiläumswoche Ende Oktober mit einer Sonderausstellung "Heimatkunde", die der Frage nachgeht, was ist nationale Identität?

Blumenthal: Absolut. Wir sind ein deutsches Geschichtsmuseum, so sehen wir uns, und wir wollen uns nicht nur mit deutsch-jüdischen Themen befassen, sondern wir wollen uns mit den gesellschaftlichen Problemen der Gegenwart und der Zukunft befassen. Und eines der großen Probleme ist eben das demografische Problem, dass Deutschland Einwanderer weiter braucht und auch weiter bekommen wird in dieser globalen Welt, in der die Grenzen nicht mehr viel bedeuten, und dass alle Mitbürger lernen müssen, miteinander auszukommen. Und wir bauen jetzt einen Neubau noch dazu, da wird die sogenannte Akademie des Museums installiert werden, und da wollen wir uns besonders auch auf wissenschaftlicher Basis und pädagogischer Basis mit der Frage befassen, wie im 21. Jahrhundert in einer modernen globalen Welt geht ein fortschrittliches Land mit der Tatsache um, dass viele Menschen dort leben, die erst mal aus einer anderen Kultur stammen oder eine andere Religion haben. Und natürlich haben wir aufgrund der jüdischen Geschichte viele gute Beispiele, die wir anwenden können. Wir sehen unsere Aufgabe viel breiter als nur die enge deutsch-jüdische Geschichte.

Brink: Sie haben es erwähnt, das Jüdische Museum erweitert sich, Sie haben eine ehemalige Blumenhalle direkt gegenüber gekauft – was soll dort stattfinden? Diese Akademie?

Blumenthal: Ja – Daniel Liebeskind, den haben wir wieder als Architekten engagiert, der hat uns einen wunderbaren Neubau entworfen, der in den vorderen Teil, also gegenüber unseres bestehenden Museums, diese Akademie reinbaut, aber mit einem besonderen Eingang – sieht auch wieder wie ein Liebeskind-Bau aus, kann man sofort erkennen. Und da werden wir unsere wissenschaftliche und pädagogische Abteilung behausen, das heißt also die Archive, das sind die größten deutsch-jüdischen Archive in Europa, die Bibliothek, die von vielen Wissenschaftlern benutzt wird, und es wird ein ganz besonderer neuer Aspekt unseres bereits bestehenden großen pädagogischen Programms werden.

Brink: Das alles kostet viel Geld, das Jüdische Museum ist ja eine Stiftung des öffentlichen Rechts, aber ohne Sponsoren wäre ja viel nicht möglich. Ihre Sponsorenliste liest sich ja wie ein Who's who der deutschen Wirtschaft, aber es tauchen auch viele Privatpersonen auf, sehr ähnlich wie in den USA. Welche Rolle spielt denn das Engagement des privaten Sektors bei Ihnen?

Blumenthal: Erst mal muss man betonen, dass es bewundernswert ist, und da wollen wir uns ja auch bei der Bundeskanzlerin, die bei unserer großen zehnjährigen Jubiläumsfeier am 24. Oktober den Museumspreis für Toleranz bekommt, bedanken, bei der Bundesregierung bedanken, dass der Hauptsponsor die Bundesregierung ist. Ohne die Befürwortung, das Begleiten der Bundesregierung wäre nichts möglich. Aber ich habe von Anfang an erkannt, dass so eine Institution auch aus öffentlichen Quellen Unterstützung braucht, nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch moralische Unterstützung – in Presse, Mitarbeit. Und zu Anfang wurde mir gesagt, na ja, das geht in Amerika, du bist ein Amerikaner, aber in Deutschland geht so was nicht. Und ich hab mir gesagt, warum denn nicht, wollen wir mal versuchen. Und das hat wirklich sehr gut geklappt, und ich freue mich, dass nicht nur alle großen deutschen, also die meisten großen deutschen Unternehmen von Anfang an Mitbegleiter unserer Arbeit gewesen sind, freudige, enthusiastische Mitarbeiter unserer Arbeit gewesen sind und uns auch finanziell unterstützt haben, sondern auch viele Privatpersonen und erfreulicherweise nicht nur in Deutschland, sondern auch in Amerika. Das wollen wir natürlich feiern und zeigen und ein bisschen in die Zukunft blicken, besonders im Blick auf die neue Akademie, die dann auch bald eingeweiht wird, da drüben, in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle.

Brink: Professor Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Blumenthal!

Blumenthal: Ich danke Ihnen!

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Link:
Jüdisches Museum Berlin
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