Jüdischer Jugendkongress in Frankfurt Main

Viele Syrer sehen Israelis als Helfer

Israelischer Soldat auf den Golanhöhen
Israelischer Soldat auf den Golanhöhen © AHMAD GHARABLI / AFP
Von Thomas Klatt · 01.04.2016
Der jährliche Jugendkongress der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland gilt als das größte Forum für junge jüdische Erwachsene. Kürzlich fand er in Frankfurt am Main statt, wo auch über ein friedliches Zusammenleben mit syrischen Flüchtlingen gesprochen wurde.
"Wir haben aber schon vor nicht ganz einem Jahr, als wir das Thema festgelegt haben, damit gerechnet, dass der Terrorismus in Europa auf dem ansteigenden Ast ist,"
sagt Abraham Lehrer, Präsident der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland. Es gehe nicht darum, junge Erwachsene zu verunsichern. Aber man dürfe die Augen vor der Terrorgefahr nicht verschließen.
"Ich glaube, Juden haben ein besseres Feingefühl, eine größere Empfindlichkeit für diese Dinge, weil Juden im Laufe ihrer Geschichte immer wieder verfolgt worden sind, angegriffen worden sind. Von daher haben wir vieles aus unserer Geschichte, unserer Vergangenheit gelernt und wissen, wenn wir uns nicht damit beschäftigen, dann wird es uns vielleicht wieder überrennen."
Daher wurden auch hochrangige Terrorexperten aus dem In- und Ausland zum jüdischen Jugendkongress nach Frankfurt eingeladen. Holger Münch etwa, Präsident des Bundeskriminalamtes. Ziel der IS-Terroristen sei es, in Europa Verunsicherung zu verbreiten, sagt er. Das Bundeskriminalamt kennt aktuell 471 Gefährder, von denen eine unmittelbare Bedrohung ausgehe. Davon lebte aber etwa die Hälfte nicht in Deutschland, 60-70 seien in Haft, der Rest aber bewege sich auf freiem Fuß. Das Unterstützer-Potential, meist aus der salafistischen Szene, schätzt das BKA derzeit auf rund 43.000 Personen. Der Djihadismus sei das eine. Das andere seien die Millionen Flüchtlinge, die auch bis nach Deutschland gelangten. Holger Münch sieht nicht, dass von ihnen eine erhöhte Kriminalität oder gar Terrorgefahr ausgeht. Aber es gebe ein gewisses Potential in den Asylbewerberheimen.
"Wir sehen auch, dass salafistische Gruppierungen versuchen, bei den Flüchtlingen zu werben. Die Verfassungsschutzbehörden haben mittlerweile über 230 solche Ansprachen. Wir sehen, dass aktuell die Anfälligkeit nicht sehr groß ist, aber wir halten das mittelfristig für ein sehr, sehr großes Risiko. Wir haben viele Personen, die Brüche in ihrem Leben erlebt haben, die nach Anschluss, nach Halt suchen, diese Hoffnung kann auch enttäuscht werden. Das alles ist auch ein Nährboden für Radikalisierung."
Eine massenweise Einschleusung von Djihadisten sei derzeit nicht erkennbar, meint auch Peter Neumann, Terrorismusexperte am Londoner King’s College. Die Syrien-Flüchtlinge, von denen viele säkular und eben nicht religiös seien, hält er nicht für IS-Sympathisanten, aber...
"Wenn das nicht klappt in den nächsten fünf bis zehn Jahren, dass es dann eine Frustration gibt, die sich in Richtung des Salafismus oder des djihadistischen Salafismus lenken lassen kann, die aufbauen kann auf bereits vorhandenen Vorurteilen gegenüber Juden und gegenüber dem Westen."
So ähnlich schätzen das auch israelische Terrorexperten ein, etwa Anat Hochberg-Marom von der Herzliya-Universität in Tel Aviv. Zwar befänden sich Israel und Syrien offiziell immer noch im Kriegszustand. Praktisch aber schwiegen schon lange die Waffen.
"Der Zionismus und die Juden und Israel sind die Feinde für Syrien, aber für uns ist es umgekehrt auch so. Syrer sind für uns auch die Feinde seit den Kriegen und Auseinandersetzungen 1948, 1967 und 1973. Aber seitdem hatten wir keinen direkten Krieg mehr mit Syrien. Wir haben eine befriedete Grenze miteinander. Es gibt Konflikte, aber keinen Krieg mehr."

Syrer sind nicht autmotisch anti-jüdisch eingestellt

Man könne nicht davon ausgehen, dass nun alle Syrer automatisch gegen Juden und Israel eingestellt seien. Im aktuellen Bürgerkrieg würden viele Syrer die Israelis vielmehr als Helfer erleben.
"Wir müssen daran erinnern, dass Israelis eben auch im Norden von Israel auf den Golanhöhen verletzten Syrern helfen, in den Militär-Krankenhäusern nahe der Grenze. Sie sind nicht Feinde, sondern es geht um eine humanitäre Krise und wir versuchen zu helfen. Ich bin optimistisch. Die meisten der Flüchtlinge sind säkular und nicht verbohrte Muslime, die einfach nur Juden hassen."
Der israelische Sicherheitsexperte Chaim Tomer weist darauf hin, dass Syrien ein heterogener Vielvölker-Staat ist. 80% sind Muslime, 20% gehören anderen religiösen Sekten und Minderheiten an. Zwar hätten die Kriege gegen Israel einst das Land geeint. Doch die Propaganda gegen Juden greife heute nicht mehr. Die Baath-Partei, die Familie Assad und die Alawiten dominierten selbst die sunnitische Mehrheit. Der Feind ist für viele zuallererst das eigene Regime.
"Die Baath-Partei ist nationalistisch. Und auch die syrische Armee ist nationalistisch und dort wurde immer gepredigt, das Wichtigste sei Israel zu bekämpfen. Wir sind alle eins und wir kämpfen gegen Israel. Und das vereint uns, ein Land, eine Familie. Das ist auch viele Jahre aufgegangen. Aber von 1980-1982 sind die Sunniten im Norden Syriens in eine Art Meuterei gegenüber dem alawitischen Assad-Regime getreten, das in dem Massaker von Aleppo endete, bei dem rund 30.000 Menschen getötet wurden durch die syrisch-alawitische Armee."

Bereitschaft sich für syrische Flüchtlinge einzusetzen

In der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gebe es nun eine große Bereitschaft, sich auch für syrischen Flüchtlinge einzusetzen. Gerade Juden hätten da mit ihren Sprachkenntnissen einen besonderen Zugang, sagt Benjamin Fischer. Er ist Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, in der rund 160.000 Mitglieder organisiert sind.
"Nach den 90er-Jahren kamen mit den so genannten Kontingent-Flüchtlingen eine Vielzahl von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion hier nach Deutschland. Plötzlich musste eine recht kleine jüdische Gemeinschaft eine Vielzahl Geflüchteter integrieren. Das geschah vor allem mit der russischen Sprache. Nun ist es so, dass viele der Geflüchteten aus Syrien Russisch sprechen. Und der Erfahrungsschatz, der also damals gewonnen werden konnte, der lässt sich nun ganz direkt anwenden bei der Integrierung der Geflüchteten zum Beispiel aus Syrien. Ich selber spreche auch Arabisch. Es gibt viele Juden, die arabisch sprechen auf Grund der Herkunft aus arabischen Ländern."
Die Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland hat zudem im letzten Jahr ein Pilotprojekt gestartet: Israelische Jugendliche leisten hier einen Freiwilligendienst. Wichtig sei zum Beispiel die Vermittlung arabischer Israelis in deutsche Asylbewerberheime. So könne die alte Konfrontation Juden und Israelis gegen Muslime und Araber durchbrochen werden, sagt Laura Ester Cazés von der Zentralwohlfahrtstelle.
"Indem beispielsweise arabische Israelis in Deutschland einen Freiwilligendienst leisten und da Flüchtlinge bei der Integration unterstützen, indem sie eben auch ein vielfältiges Bild von deutsch-israelischen Beziehungen vermitteln, einfach mal sagen, es gibt auch Moslems in Israel, die führen auch ein Leben in der Demokratie."