Journalisten und Kriegsberichterstattung

Zu nah dran, um etwas zu sehen

Ein irakischer Soldat steht unter einer Fahne in einem Dorf südlich der irakischen Stadt Mossul, die von der Terrormiliz IS befreit werden soll.
Irakische Soldaten halten eine Position in einem Dorf südlich der irakischen Stadt Mossul, die von der Terrormiliz IS befreit werden soll. © afp / Ahmad al-Rubaye
Von Fabian Köhler · 23.11.2016
Die irakische Armee rückt im Facebook-Livestream vor. Die Timeline zählt die abgeschossenen Raketen: Viele Medien wollen so nah am Kriegsgeschehen sein, dass sie den Überblick und die Distanz verlieren, kritisiert der Politologe Fabian Köhler.
Eine Kolonne schwarzer Pickup-Trucks rollt durch den Wüstensand. Daumen nach oben. Am Horizont schwebt die Rauchwolke eines Bombeneinschlags. Es regnet Herzchen. Ein PKW fährt von Weitem in Richtung Kamera und explodiert. Das gefällt mir.
Falls Sie sich wundern, was ich da mache: Ich informiere mich über den Krieg um die irakische Stadt Mossul. Der Fernsehsender Al-Dschasira kam auf die Idee, das Vorrücken der irakischen Armee auf die vom IS besetzte Stadt live auf Facebook zu übertragen. Zwischen dem Quiz "Welcher Fisch aus 'Findet Dorie' bist du?" und dem Hinweis, dass Jutta günstig Quitten abzugeben hat, fliegen jetzt neben Mörser- und Artilleriegeschossen auch unzählige Däumchen, Herzchen und Angry Faces in Richtung der belagerten Millionen-Metropole.

Hier mutige Soldaten, dort tote Kinder

Was klingt wie der pietätlose Ausrutscher einer Branche, die ihre verlorengegangenen Zuschauer auf Facebook wieder einzusammeln versucht, ist nur die krasseste Ausprägung einer Berichterstattung, die leider nicht nur Livestreams embedded. Bei so ziemlich allen größeren Medien bin ich gefühlt mittendrin, wenn irakische Elite-Einheiten Häuser stürmen. Im Liveblog bekomme ich stets aktualisierte Informationen zu Geländegewinnen.
Daneben informiert mich ein Counter über die Zahl abgeworfener Bomben: abgeworfener, nicht eingeschlagener. Ein Krieg wie im Browser-Game, dessen Werbung mir Facebook passend dazu in der Seitenleiste anpreist. Die deutsche Version freilich, also die mit weniger Blut.
Dass der mediale Krieg um Mossul mit auffällig wenig toten Menschen auskommt, fällt vor allem auf, wenn man 600 Kilometer weiter nach Westen schaut. Oder einfacher: Auf der Timeline etwas weiterscrollt. Auch dort rückt eine Regierungsarmee auf eine Stadt vor, die zum Teil unter Kontrolle islamistischer Rebellen steht. Auch hier bombardieren verbündete ausländische Kampfflugzeuge aus der Luft. Nur den Livestream, der die syrischen Truppen beim Vormarsch auf Aleppo zeigt, suche ich vergeblich.
Stattdessen sehe ich die blutige Variante des Krieges. Hautnah bin ich auch in Aleppo dabei – nur nicht bei todesmutigen Soldaten, sondern bei toten Kindern. In Mossul werden Raketen abgeschossen, in Aleppo schlagen welche ein.

Medien produzieren Likes, aber kein vollständiges Bild

Nah dran wollen Medien sein. Und das sind sie. Hier wie dort. So nah, dass einerseits die Fotos aus Aleppos Trümmern oft noch das Logo der Rebellenorganisationen tragen, die sie geschossen hat. So nah, dass andererseits die Einordnung des Mossul-Reporters fast identisch ist mit der des irakischen Generals. So nah, dass Journalisten von ihren Quellen oft nicht nur Informationen, sondern die Narrative gleich mit übernehmen.
Dabei spricht einiges dafür, dass die gegensätzlichen Erzählungen von der "Befreiungsschlacht um Mossul" und der "Belagerung von Aleppo" einige Lücken aufweisen. Nicht nur die russischen, auch die US-geführten Luftangriffe haben Tausenden Zivilisten das Leben gekostet. Auch in Aleppo leiden Hunderttausende unter Mörserangriffen der Islamisten. Auch in Mossul werden Hunderttausende zu Flüchtlingen. Auch in Aleppo gibt es Alltagsleben, auch in Mossul liegen Kinder unter Trümmern. Nur auf den Facebook-Timelines vieler großer Medien liegen sie so selten, wie die Opfer von Rebellenmassakern in Aleppo.
Das bedeutet nicht, dass es zwischen den Kriegen dies- und jenseits des Euphrats keine Unterschiede gäbe. Das zeigt aber, dass eine Berichterstattung, die sich mit der Schießscharte eines Humvees oder dem Schutt eines Krankenhauses begnügt, mit Sicherheit viele Likes und Angry Faces generiert, aber längst noch kein komplettes Bild.

Fabian Köhler hat in Jena und Damaskus Politik- und Islamwissenschaft studiert. Als freier Journalist schreibt er für viele Magazine und Tageszeitungen über Flüchtlinge, Islam und Islamophobie. Er reist regelmäßig durch den Nahen Osten oder das, was davon noch übrig ist.


© Camay Sungu
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