Je teurer, desto Kunst

Von Johannes Halder · 08.07.2011
Der neue Baden-Badener Kunsthallenleiter Johan Holten spürt in seiner ersten Ausstellung der Auflösung verbindlicher Geschmacksmuster in der Kunst nach. Egal, ob gut oder schlecht – am Ende zählt, was teuer ist.
Zhou Tiehai heißt der chinesische Künstler, von dem in der Schau gleich 160 Bilder hängen, alle an einer Wand. Es sind kleine Formate, von Assistenten im Akkord heruntergepinselt und wild durcheinander gehängt, manche knapp über dem Fußboden, andere direkt unter der Decke. Ein Potpourri, das den westlichen Kunstgeschmack parodiert, als Muster, als Klischee: ein nackter Frauenhintern neben einer Süßspeise, abgemalte Fotos neben Kopien berühmter Gemälde. Die Masse macht’s, und das ist nicht ganz ohne Reiz. Und wenn uns in dem Sammelsurium zwischen Kitsch und Kleinod das eine oder andere Bild gefällt, dann ist das reine Geschmackssache.

Gleich nebendran befindet sich ein Kabinett, das anhand von idealisierten Landschaftsgemälden aus dem 18. und 19. Jahrhundert zeigt, wie sich der so genannte "gute Geschmack" herausgebildet hat als ästhetischer Maßstab und moralische Instanz. Kunsthallenleiter Johan Holten:

"Geschmack ist eigentlich eine historische Größe. Sie wurde herausgebildet so im 18. Jahrhundert als ein mehr oder weniger verbindlicher gesellschaftlicher Wert. Das ging einher mit der Gründung der Museen. Heute sind diese verbindlichen Größen des guten Geschmacks ja nicht mehr vorhanden."

Einzelne Künstler freilich haben noch lange versucht, die Galerien als Geschmackserzieher abzulösen. Der 1996 verstorbene Däne Poul Gernes hat, wie man hier sieht, im Glauben an die heilende Kraft des Visuellen sein halbes Leben darauf verwandt, Krankenhäuser und Schulen, Gefängnisse und Hotels mit seinen idealistischen Dekors zu versehen. Und der Niederländer Constant widmete sich um 1960 ebenso unerschütterlich gigantischen Architekturprojekten, deren Formen sich als betonierte Metastrukturen über gewachsene Städte wölben und so eine bessere Gesellschaft hervorbringen sollten.

Der Künstler als Geschmacks-Ideologe und verbohrter Weltverbesserer, das war schon immer problematisch, nicht erst seit im Dritten Reich die Geschmacksdiktatur des so genannten "gesunden Volksempfindens" herrschte.

Folgt man der Schau, dann war es schließlich die Pop Art, die den ästhetischen Konsens aufgekündigt und durch eine neue Geschmackskategorie ersetzt hat: "Camp", eine Art Lebensstil, der das Abgeschmackte zum Kult erhob – ein Phänomen, das Susan Sontag damals theoretisch abgehandelt hatte. Andy Warhols gleichnamiger Film von 1965 ist zu sehen, der die Hochkultur lächerlich machte. "Camp" ist weder gut noch schlecht, es ist eine raffinierte Umpolung bestehender Geschmacksnormen, eine ironisch distanzierte Aufwertung des Trivialen.

Seit der Pop Art jedenfalls ist ästhetischer Geschmack nicht mehr das, was er mal war, sagt Johan Holten:
"Künstler haben seit mindestens 40 Jahren daran gearbeitet, den guten und schlechten zu durchwirbeln. Vielleicht, so die These der Ausstellung, ist das, was heute noch übrig ist, eigentlich eher nur der teure Geschmack, die kommerzielle Verwertbarkeit von visuellen Zeichen."

In der Tat hat die totale Kommerzialisierung der Kunst heute eine neue Art von Geschmacksterror hervorgerufen: je teurer, desto Kunst. Es ist eine Kunst, die fast nur noch ironisch funktioniert, als Code für Eingeweihte, den man akzeptieren muss, um dazuzugehören.

Die klobigen Brocken in schriller Buntheit, die Katharina Grosse in den Raum klotzt, sind weder schön noch hässlich, sie sind eine ästhetische Apokalypse ohne jeden Maßstab. Und ob in dem klischeehaften Pferdebild von Anselm Reyle der Kitsch alleine durch die teure Machart zur Kunst wird oder nur zum Edelkitsch, ist sehr die Frage.

Die in New York lebende Josephine Meckseper entlarvt solche Mechanismen ganz konsequent.

Johan Holten: "Sie nutzt so Objekte, die man normalerweise, also so Billigobjekte. Eine Klobürste stellt sie neben eine Packung mit Männerunterhosen, inszeniert das aber alles in Hochglanzvitrinen und Spiegelflächen und spielt deswegen mit dem Inszenierungsmodus, in dem ein Objekt plötzlich verwandelt wird zu einem begehrenswerten Kaufobjekt. Das heißt also, die Inszenierung drumherum, die für unser Konsumverhalten auch entscheidend ist. Und da kann dann plötzlich die Klobürste zu diesem modeaccessoireartigen Objekt auch transformiert werden."

Ähnlich verfährt auch John Bock, der in zwei Räumen der Kunsthalle eine sehr spezielle Modenschau inszeniert, eine einzige Orgie des schlechten Stils. Nicht auf einem eleganten Laufsteg, sondern dicht gedrängt wie auf dem Flohmarkt tummeln sich 53 Modepuppen mit extrem absurden Kreationen. Ziemlich "trashig" das Ganze, buchstäblich untragbar.

Geschmack, so lehrt uns Johan Holten in dieser handlichen Lektion, die nur ein gutes Dutzend Künstler umfasst – Geschmack ist eine verhandelbare und wandelbare Kategorie. Es ist nicht wichtig, wie ein Kunstwerk aussieht und ob es gefällt. Entscheidend, sagt er, sei die Debatte, der Diskurs, den es auslöst. Wie der im künftigen Programm der Baden-Badener Kunsthalle geführt wird, darauf darf man gespannt sein.

Die Ausstellung "Geschmack – der gute, der schlechte und der wirklich teure" ist in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden bis zum 9. Oktober zu sehen.

Informationen der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden
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