Jax Miller - "Freedom's Child"

Die Neurosen einer Fanatikerin

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Millers Buch spielt in dem Milieu, das man "white trash" nennt und beschäftigt sich mit einer waffenstrotzenden Frau. © Imago / Westend61
Von Thomas Wörtche · 04.09.2015
Die amerikanische Autorin Jax Miller geht mit ihrem Thriller "Freedom's Child" zurück an die schmutzigen Anfänge der Kriminalliteratur. Der Roman ist rüde, gewalttätig, kein bisschen wohltemperiert oder cool, sehr bewusst einer gewissen Trash-Ästhetik verpflichtet.
Freedom Oliver ist im Zeugenschutzprogramm, weil sie nach einem ziemlich schrägen Deal ihren ekligen Schwager ins Gefängnis gebracht hat - für den Mord an ihrem ebenfalls nutzlosen Gatten, den der nicht begangen hat. Der Preis war hoch – ihre beiden Kinder wurden ihr weggenommen und mussten bei einem fanatischen Fundamental-Christen aufwachsen. Freedom kompensiert 20 Jahre lang ihre Verzweiflung mit Suff, Sex und rüdem Verhalten. Richtig prekär wird die Lage, als der Schwager aus dem Gefängnis entlassen wird und sich mit seiner nicht minder ekligen Sippe auf die Jagd nach Freedom und ihren Kindern macht. Sie muss ihre Lethargie, ihren Drang zur Selbstzerstörung und ihre Indolenz ablegen und reagieren.
Das ist die Ausgangslage von Jax Millers Erstling "Freedom´s Child". Bemerkenswert ist dabei das hohe Risiko, das die Autorin eingeht. Der Roman ist rüde, gewalttätig, kein bisschen wohltemperiert oder cool, sehr bewusst einer gewissen Trash-Ästhetik verpflichtet. Sozusagen back to the roots, zu einer Tradition des Kriminalromans, der noch nicht mittelstandskompatibel gereinigt und flauschig für Wohlbehagen und nette Unterhaltung sorgen wollte, sondern seine Sujets roh anging. "Pulp Fiction", in gewisser Weise, allerdings ohne die Selbstreferentialität und ohne den zynisch-ironischen Zitatcharakter, die man seit Tarantinos Film mit diesem Terminus verbindet.
Elende Kleinstädte
Millers Buch spielt in dem Milieu, das man "white trash" nennt und beschäftigt sich mit den Neurosen einer gewalttätigen, waffenstrotzenden, von religiösen Fanatikern durchsetzen und von autokratischen Gesetzeshütern bevölkerten USA auf dem flachen Land, in elenden Kleinstädten und verarmten Dörfern, an denen der amerikanische Traum vorbeigegangen ist.
Freedoms wüste, obszöne Sprache, ihre Ruppigkeit, ihre sexuelle Selbstbestimmung und ihre plötzlich wieder frei gesetzte Energie zeigen sie als verstörte, zerrissene, wenig konsistente Figur. Ihr Vigilantismus ist sture Selbsthilfe, weil sie keiner Institution mehr vertrauen kann. Die Welt ist auf den Hund gekommen, ihre Mutterliebe ist das Einzige, was sie noch hat. Da aber liegt die Sollbruchstelle des Buches: Die hemmungslose Emphase der "family values", die stärker sind als alle anderen Bindungen lässt Freedom letztlich doch wieder zu einer Konsens-Figur werden, zumindest in den USA von heute. Ohne Kinder wäre die Frau verloren.
Mit dieser dick aufgetragenen Botschaft verzichtet Jax Miller auf die Anschliessbarkeit ihrer Hauptfigur an weitaus subversivere "starke" Frauengestalten der Kriminalliteratur von Sara Paretsky über Katy Munger und Liza Cody bis zu Helen Zahavi, die diese Absicherung im Bürgerlichen nicht brauchen. Dennoch, bis auf diese problematische Implikation und ein bisschen zu viele Seiten- und Nebenstränge (typische Erstlingsuntugenden) hat der Roman grandiose Szenen – aus dem alkoholgeschwängerten Barleben von Freedom -, schöne Einfälle – das Ende der bösen Sippschaft etwa – und einen dynamischen, erzählerischen Drive, der ihn weit aus der Menge der Format-Produkte heraushebt.