Varoufakis' neue linke Bewegung

Eine Waffe gegen wachsenden "Eurofaschismus"

Der Ökonom Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister Griechenlands
Der Ökonom Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister Griechenlands © ©francois Lafite/Wostok Press
Jakob Augstein im Gespräch mit Nana Brink  · 10.02.2016
Der frühere griechische Finanzminister Yannis Varoufakis hat mit Mitstreitern aus ganz Europa eine linke Demokratiebewegung gestartet. Jakob Augstein, Chefredakteur der Wochenzeitung "der freitag", sagt, Europa brauche dringend dieses linke Gegengewicht.
Nach seinem Rücktritt als griechischer Finanzminister war Yanis Varoufakis zwischenzeitlich abgetaucht. Jetzt will der Ökonom unter dem Dach des linken Netzwerkes "Democracy in Europe Movement 2025" (DiEM25) verschiedene Protestbewegungen zusammenführen.
"Der rasche Zerfall Europas muss gestoppt werden", sagte Varoufakis am 9. Februar in der Berliner Volksbühne. Er warnte vor einem neuen Nationalismus in Europa und einer Situation wie in den 30er-Jahre.
Europa braucht einen Rockstar
Jakob Augstein, Chefredakteur der Wochenzeitung "der freitag" hat die Veranstaltung besucht und findet Varoufakis, den deutsche Medien gerne als Rockstar der Politik bezeichnen, und seine Pläne überzeugend. Augstein sagt:
"Wenn man sich mal anguckt, in welcher wirklich miserablen Lage sich die Demokratie befindet in Europa und in welcher miserablen Lage sich die europäische Idee befindet, dann können wir so ein bisschen Star-Tum schon gebrauchen, auch, um das wieder aufzupeppen."
Deutlich sei allerdings, dass sich um Varoufakis zwar Menschen mit "Hoffnung und Sehnsucht", in Europa etwas bewegen zu können, scharrten, diese jedoch "keinen Plan" hätten. Dennoch sei DiEM25 eine wichtige Antwort auf Pegida und Co. Denn in Europa "entsteht ein neuer Eurofaschismus" – eine Bewegung von links werde deshalb dringend als Gegengewicht gebraucht. Entscheidend sei, dass sich hier Leute zusammen fänden, die etwas ändern wollten.
Rechts funktionierte es auch
"Auf der rechten Seite funktioniert das im Moment sehr, sehr gut. Da hat sich auch keiner darüber gewundert. Die haben einfach angefangen zu demonstrieren. Die haben einfach angefangen, Asylbewerberheime anzuzünden. Und plötzlich redet die gesamte deutsche Politik der AfD nach dem Mund."
Der Journalist Jakob Augstein spricht bei einer Demonstration unter dem Motto "Europa anders machen" zur Griechenland- und Flüchtlingspolitik am 20.06.2015 in Berlin.
Der Journalist und Publizist Jakob Augstein.© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Augstein sagte weiter, wenn man DiEM25 vorwerfe, "naja, ihr habt ja gar kein richtiges Programm, deshalb machen wir bei euch nicht mit, dann überlassen wir den Leuten von der AfD und Le Pen und Orban und so weiter Europa und unsere demokratische Gesellschaft. Und dann kann ich nur sagen: Gute Nacht!"


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Nichts weniger als die Rettung Europas hat sich der linke "Wirtschafts-Rockstar", wie eine Zeitung mal süffisant titelte, namens Yanis Varoufakis da vorgenommen. Der ehemalige Finanzminister Griechenlands, von seinem eigenen Regierungschef in die Wüste geschickt, will nun durchstarten mit einer paneuropäischen Bewegung. Gestern wurde "DieM 2025 – Democracy in Europe Movement" in Berlin mit großem Aplomb und seinen Apologeten vorgestellt.
Und vielleicht können wir ja das Rätsel lüften mit einem, der gestern auch dabei war, nämlich Jakob Augstein, Chefredakteur der Wochenzeitung "Freitag", die ihm gehört, und er schreibt auch für den "Spiegel" die Kolumne "Im Zweifel links". Guten Morgen, Herr Augstein!
Jakob Augstein: Hallo, Morgen!
Brink: Hat Sie der Auftritt von Varoufakis überzeugt?
Augstein: Ja, das hat mich schon überzeugt. Er ist ein faszinierender Mensch. Unsere Medien machen sich darüber schnell lustig und sagen und nennen ihn dann einen Rockstar oder einen Medienstar oder so. Das finde ich gar nicht so schlecht, denn wenn man sich mal anguckt, in welcher wirklich miserablen Lage sich die Demokratie befindet in Europa und in welcher miserablen Lage sich die europäische Idee befindet, dann können wir so ein bisschen Startum schon gebrauchen, um das wieder aufzupeppen. Insofern schon, ja, ich fand das ganz beeindruckend.
Brink: Die Rettung Europas, nichts weniger hat er sich ja auf die Fahnen geschrieben. In der Analyse sicherlich nicht falsch (Anmerkung der Redaktion: Korrektur eines Versprechers der Moderatorin), die haben ja schon andere. Aber wie will er das denn erreichen, zum Beispiel mit einer neuen Verfassung, die er ja gern machen möchte mit dieser Bewegung?
Augstein: Das Hauptproblem gestern Abend war, dass jemand wie ich – ich fand das toll. Es war wirklich ein schöner Abend, es war großartig. Da waren lauter Leute, die haben an die Veränderbarkeit der Welt geglaubt, und das ist wichtig. Weil wenn man nicht mehr glaubt, dass man irgendwas ändern kann, wenn alle nur noch sagen, es ist keine Alternative, das ist jetzt so, wie es ist, und so bleibt es, dann landet man in der Depression und in der Verzweiflung. Da waren Leute, die hatten Hoffnung und die hatten Sehnsucht.
Es gibt noch keinen Plan
Aber die haben natürlich keinen Plan. Wie man jetzt dazu steht, ist ein bisschen eine Charakterfrage. Jetzt kann man sagen, ihr habt gar keinen richtigen Plan, ihr wisst doch gar nicht genau, wie ihr das alles machen wollt – ja, dann hat es auch keinen Sinn, dann muss ich mich gar nicht weiter mit euch beschäftigen. Oder man sagt, aber das ist der erste Schritt, dass Leute sich zusammenfinden und sagen, wir haben das Bild eines besseren Europas vor uns. Denn man muss sich ja ganz klar machen, dass wir längst eine revolutionäre Bewegung in Europa erleben, die teilweise genau die gleichen Probleme adressiert wie die Kollegen da gestern im Theater.
Nur diese Bewegung kommt von rechts. Wir erleben ja einen neuen Eurofaschismus, der sozusagen entsteht. Der entsteht auch in Deutschland jetzt längst. Wir haben jetzt inzwischen, da sagt Herr Seehofer, Mitglied einer Regierungspartei, über Merkel, dass sie eine "Herrschaft des Unrechts" hat. Bei uns verschieben sich die politischen Dimensionen dramatisch nach rechts im Moment. Insofern haben Sie hier eine zivilgesellschaftliche, bürgerliche Bewegung von links dagegen, die ganz bewusst sagt, wir arbeiten aber nicht mit Angst. Und ich finde, das ist etwas, was man begrüßen muss.
Brink: Ja, Herr Augstein, genau. Da würde ich aber gern einhaken, weil diese Analysen kennen wir ja alle, und das ist ja auch eine Frage von Charakter, keine falschen Versprechungen zu machen. Ich würde es schon noch gern ein bisschen konkreter haben, wenn sich da so viele Menschen zu einem Netzwerk verbinden, müssen sie doch zumindest ein paar Ideen haben, wie das gehen soll, mit denen sie dann nach außen gehen. Um mich zu überzeugen.
Augstein: Es ist keine politische Partei. Sie können diese Leute nicht wählen im Moment. Sie treten nicht an mit einem geschlossenen politischen Programm, sondern sie treten an als Bewegung. Was die machen wollen, ist eine sogenannte Graswurzelbewegung von unten zu schaffen, quasi Adressen an die Hand zu geben, also eine Adresse an die Hand zu geben, einen Begriff an die Hand zu geben für Leute, die irgendwie was machen wollen. Ich sage es Ihnen noch mal: Auf der rechten Seite funktioniert das Prinzip im Moment sehr gut. Da hat sich auch keiner drüber gewundert. Die haben einfach angefangen zu demonstrieren, die haben angefangen, Asylbewerberheime anzuzünden, und plötzlich redet die gesamte deutsche Politik der AfD nach dem Mund.
Brink: Aber wir würden ja so gern eine Telefonnummer haben für die linke Bewegung, wo wir denn anrufen könnten und –
Augstein: Die haben Sie jetzt. Das meine ich jetzt im Ernst.
Demokratiedefizit in Europa
Brink: Nein, aber – sehr gut, aber was sagt mir denn – wenn ich dort anrufe und sage, wir sehen uns die Institutionen in Brüssel an. Und dann möchte ich doch gern wissen, wenn ich bei ihnen anrufe, was wollen sie denn ändern daran, und wie?
Augstein: Na ja. Dass diese Institutionen reformbedürftig sind, ich glaube, darüber sind sich alle Leute einig. Wir haben natürlich ein extremes Demokratiedefizit in Europa. Die ganzen Verhandlungen mit Amerika und Kanada über den Freihandel werden quasi von der Wirtschaft im Namen der Wirtschaft geführt und gehen komplett über die Köpfe der Leute hinweg. Betrifft uns aber alle. Ist aber völlig demokratiefern, weil man uns die Demokratie nicht mehr zutraut, weil sozusagen die Bürokraten sagen, das können wir besser, das klären wir mit den Anwälten und mit den Konzernen, und wir lassen euch raus.
Das heißt, das hier ist längst keine richtige Demokratie mehr. Und den Mut muss man schon haben, das zu sagen und gleichzeitig aber nicht in der rechten Ecke zu landen. Noch mal: Wenn man sich jetzt hinstellt und sagt, na ja, ihr habt ja gar kein richtiges Programm, deshalb machen wir bei euch nicht mit, dann überlassen wir sozusagen den Leuten von der AfD und lePen und Orbán und so weiter Europa und unsere demokratischen Gesellschaften. Da kann ich nur sagen, gute Nacht.
Brink: Ich versuche es noch mal, vielleicht an einer Sache, der Verfassung, an der sich ja Varoufakis auch gern abarbeitet. Es gab da einen ganz interessanten Briefwechsel zwischen ihm und dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold. Der hat das nämlich mal ein bisschen genauer gelesen. Es wird ja eine starke europäische Demokratie verlangt in dem Manifest oder dem, was Manifest dann werden soll, von DIEM, aber gleichzeitig soll auch die nationale Souveränität betont werden. Das ist doch genau das, was wir jetzt schon haben.
Augstein: Nein, das haben wir nicht. Wir haben ja die Form von Verfassung nicht. Er will ja eine richtige europäische Regierung haben. Ich meine, das ist natürlich ein Fernziel. Gestern kamen da Leute zusammen, die finden, dass Europa zu einem föderalen Staat werden soll. Das ist übrigens auch meine Meinung, da muss man gar nicht so schrecklich links sein, um diese Auffassung zu vertreten. Im Moment geht der Trend genau in die andere Richtung. Im Moment haben wir die Renationalisierung. Dass unterhalb sozusagen einer solchen europäischen Verfassung die Staaten – weiß ich gar nicht so sehr, er sprach, glaube ich, mehr von den Städten und von den Regionen – sozusagen eine starke Identität haben und auch selbst über ihre Belange entscheiden.
Gemeinsame Identität aufbauen
Das ist ja eine Binsenweisheit. Das ist ja sozusagen das alte Subsidiaritätsprinzip, alles wird da entschieden, wo es halt hingehört sozusagen. Aber es ist schon zentrale Idee, wir sind Europäer, wir haben eine europäische Identität, wir haben eine europäische Nation, die wir sozusagen dann gemeinsam aufbauen wollen. Ich glaube, dass man das wirklich nicht unterschätzen darf, was es heißt, das hier Leute einfach aus der Slowakei, aus Italien, aus Frankreich, aus Dänemark, aus Deutschland sich zusammengesetzt haben und gesagt haben, wir arbeiten zusammen, weil wir uns unser Europa nicht kaputtmachen lassen.
Brink: Soll das eine Partei werden, für die Sie ja auch mit viel Leidenschaft plädieren?
Augstein: Das weiß ich nicht. Ich bin selbst kein Aktivist. Ich bin ja nur Journalist und habe das mit Freuden einfach dort erlebt. Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich glaube, wenn die eine Partei würden, dann würden die in den verschiedenen europäischen Ländern mit sehr unterschiedlichen Erfolgsaussichten antreten. Insofern glaube ich nicht, dass das die Idee ist, eine paneuropäische politische Partei zu gründen. Ich meine, es ist ja auch kennzeichnend, dass gestern von den deutschen politischen Parteien nur die Linkspartei vertreten war. Man hätte ja eigentlich auch denken können, die Grünen könnten doch da auch mitmachen. Die haben doch auch was für Graswurzeln übrig und für Europa und für Bewegungskultur und so. Da habe ich aber keinen Grünen gestern gesehen auf dem Podium.
Brink: Herzlichen Dank, Jakob Augstein, für das Gespräch! Und wir sprachen über das Manifest von "DieM – Democracy in Europe Movement", das gestern mit Janis Varoufakis vorgestellt worden ist. Danke, Herr Augstein!
Augstein: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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