Jahreszeiten

Vom Nebelmonat bis zum Frostmonat

Ein Troll steht auf der Fensterbank einer Schulaula. Die Trolle spielen für die Menschen auf der isländischen Insel am Polarkreis eine entscheidende Rolle zu Weihnachten.
Vor blauestem Himmel: Weihnachtstroll in Island © picture-alliance/ dpa / Georg Ismar
Von Hans Christoph Buch · 23.12.2014
Neujahr ist am 19. Februar, Weihnachten am 7. Januar, Ostern wird 2015 zweimal gefeiert − das stimmt alles. Was aber hat das Ende der Grillsaison mit dem Weltuntergang zu tun? Der Schriftsteller Hans Christoph Buch sinniert über alte Kalender, vergessene Monatsnamen und ganz neue Jahreszeiten.
Die Grillsaison sei zu Ende, las ich neulich in der Zeitung, und es dauerte eine Zeitlang, bis ich begriff, dass damit die warme Jahreszeit gemeint war, die früher Sommer geheißen hatte. Das Gegenteil der Grillsaison ist die Skisaison von Ende Oktober bis Anfang Mai, nicht zu verwechseln mit der Jahresendzeit, einst Weihnachten genannt.
Die traditionelle Zeiteinteilung geht zurück auf den Kirchenkalender, der heute zunehmend in Vergessenheit gerät, nur die Martinsgans und der Osterhase erinnern noch daran, obwohl beide bei den Kirchenvätern nicht vorkommen, ganz zu schweigen von Halloween, ursprünglich ein keltischer Brauch, der sich aus Nordamerika um die halbe Welt verbreitet hat und mit Laternenumzügen verschmolz, bei denen Kinder um Süßigkeiten oder Almosen bitten.
Oktoberfest ist mit dem Kirchenkalender verknüpft
Wer außer Fachhistorikern kennt heute noch den Kalender der französischen Revolution, der, praktisch und poetisch zugleich, jahreszeitlich bedingtes Wettergeschehen kennzeichnete wie "brumaire" gleich Nebelmonat, "frimaire" gleich Frostmonat? Oder den altdeutschen Monatsnamen Hornung, den der Komponist Richard Wagner vergeblich wiederzubeleben versuchte, so benannt, weil im Februar der Rothirsch sein Geweih abwirft?
Zur neuen Zeitrechnung, die das Kirchenjahr verdrängt, gehört auch, dass in Ostasien das Oktoberfest als deutscher Nationalfeiertag gilt und, statt auf der Münchner Wies'n, auf Dachgärten von Hochhäusern in Hongkong, Tokio oder Seoul gefeiert wird. Der Fachausdruck dafür heißt "Rooftop Bierkeller", ein verbaler Widersinn, der aber niemanden stört.
Im Gegenteil: Ein Germanistikprofessor in Qingdao musste auf Wunsch der Universität ein Seminar abhalten zum Thema Oktoberfest, bei dem chinesische Studierende, die noch nie eine Maß getrunken oder eine Weißwurst gegessen hatten, in Lederhosen und Dirndl antraten. Der Professor war ich, und die Biermetropole Qingdao, das frühere Tsingtau, war vor dem Ersten Weltkrieg Hauptstadt des gleichnamigen deutschen "Schutzgebiets".
Doch China ist nicht nur durch das Oktoberfest mit dem Kirchenkalender verknüpft. Schon in der Ming-Dynastie kamen Jesuiten nach Peking mit dem Auftrag, den chinesischen Kalender zu reformieren, der mit exakter Zeitrechnung nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen war.
In China war der Kaiser der Hüter der Zeit
Aus demselben Grund hatte der Papst kurz zuvor den julianischen durch den gregorianischen Kalender ersetzt. Über diese Reform hätte das Reich der Mitte sogar christlich werden können, wenn nicht ein Theologenstreit mit dem fernen Rom die Mission der Jesuiten abrupt beendet hätte. In China war der Kaiser Hüter des Kalenders und legte den richtigen Zeitpunkt für Aussaat und Ernte fest.
Sommer- und Wintersonnenwende, Tag- und Nachtgleiche, Vater- und Muttertag, Erntedankfest und Totensonntag – viele Völker der Welt begehen diese Feiertage unter verschiedenen Namen, und es ist mehr als bloß banal, wenn man den Wechsel der Jahreszeiten auf den Willen zum Grillen reduziert.
Erinnern Sie sich noch an den 21. Dezember 2012 – 13 Baktun, vier Ahau und drei Baktin nach Erschaffung der Welt? Laut Maja-Kalender war dies das Datum der Apokalypse, und nicht nur Endzeit-Freaks und New Age-Esoteriker gerieten in Panik, als nichts geschah.
Oder irrten sie sich, die Welt verschwand von der Bildfläche, doch niemand bemerkte es und alle machten weiter wie bisher? So besehen offenbart die Rede vom Ende der Grillsaison ihren verborgenen Sinn.
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten".
Der Schriftsteller Hans Christoph Buch
Hans Christoph Buch© picture alliance / ZB / Marc Tirl
Ende der 60er Jahre gab er theoretische Schriften, Dokumentationen und Anthologien heraus. Mit seinen Essays versöhnte er Politisches und Ästhetisches miteinander.
Seit 1984 schreibt er Romane: "Die Hochzeit von Port au Prince", "In Kafkas Schloss", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh", "Tanzende Schatten"‚ "Reise um die Welt in acht Nächten"; zuletzt erschienen 2011 "Apokalypse Afrika" und zuvor 2010 der Essay "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat".