Jagoda Marinić: "Made in Germany"

Von Erfolgen der Einwanderung wird nicht erzählt

Zuwanderung - Spielzeugfiguren mit Koffern unterwegs auf einer Landkarte von Süden nach Norden
Zuwanderung: Willkommensrufe seien erneut in fremdenfeindliche Hysterie umgeschlagen, meint Jagoda Marinić. © imago/Jens Schicke
Jagoda Marinić im Gespräch mit Ernst Rommeney · 21.05.2016
Einwanderern aus drei Generationen werden die deutsche Identität verweigert: Darin erkennt die Schriftstellerin Jagoda Marinić ein grundsätzliches Problem. Der deutschen Gesellschaft fehle ein realistischer Blick auf das Thema Zuwanderung.
Angela Merkel zeige eine beeindruckende Haltung in der Flüchtlingspolitik, nicht aber ihr Volk. Und auch Europa sei das traurigste Europa, das es je gegeben habe, bedauert die deutsch-kroatische Autorin. Die Stimmung sei aus dem Willkommen in fremdenfeindliche Hysterie umgeschlagen, aus der heraus es zu keinen Lösungen käme.
Für eine kurze Zeit vor dem Sommer 2015 habe sie Deutschland in einer Hochphase gesehen, weil es den Wandel zum Einwanderungsland akzeptiert zu haben schien. Doch danach habe sich eine Wut über diese schleichende Erkenntnis politisch entladen. Und seither zeige sich die Bundeskanzlerin in ihrer Gelassenheit irritiert.
Kaum ein Politiker habe den Mut, so Jagoda Marinić, den Bürgern einzugestehen, das weder eine Festung Europa, die Obergrenzen für die Einwanderung festlege, noch europäische Außenpolitik, der die Stärke dazu fehle, die Flüchtlingswanderung stoppen könne.
Ebenso naiv sei die Annahme, unbegrenzte Aufnahme würde das Problem lösen. Die Bevölkerung müsste dies mittragen. Das zeigten nicht zuletzt die steigenden Gewalttaten gegen Geflüchtete.
60 Jahre Einwanderung - weißer Fleck in der nationalen Erinnerung
Die Schriftstellerin stört sich an einem schiefen öffentlichen Bild. Proteste gegen die Flüchtlingshilfe würden sichtbar, die immensen Leistungen der ehrenamtlichen Helfer dagegen unsichtbar gemacht.
Sie kritisiert das Jammern über eine misslungene Integration und vermisst stolze Erzählungen der Einwanderer über Mut und Erfahrung, ein neues Leben fern der Heimat aufzubauen. Und sie bemängelt, wie wenig wahrgenommen werde, dass die Mordserie der Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" gezielt das Kleinunternehmertum angriff, also auf den langgehegten Traum, sich hierzulande selbstständig machen zu wollen.
Jagoda Marinić: Made in Germany - Was ist deutsch in Deutschland?
Jagoda Marinić: Made in Germany - Was ist deutsch in Deutschland?© Hoffman und Campe
Sie macht den weißen Fleck in der nationalen Erinnerung, der 60 Jahre Einwanderung ausspare, dafür verantwortlich, dass eine vielfältiger gewordene Gesellschaft keine neue Identität gefunden habe.
Alteingesessene, Einwanderer aus drei Generationen und Flüchtlinge
Stattdessen werde die Spaltung zwischen Alteingesessenen, Einwanderern aus drei Generationen mit und ohne deutschem Pass und Flüchtlingen zugelassen. Das Gefühl, nicht angekommen zu sein, schüre den Hass gegen die eigene Geschichte, gegen eine Herkunft, die als Mangel der Eltern angesehen werde.
Und die Eltern müssten zusehen, wie ihnen ihre Kinder entgleiten, sich ihnen entfremden, indem sie sich als Vorzeigeausländer assimilierten oder als Einwanderungswaisen aggressiv die deutsche Gesellschaft ablehnten – eben weil ihnen nicht erlaubt werde, sich mit Deutschland wie mit dem Land, aus dem ihre Eltern kamen, gleichermaßen zu identifizieren.

Jagoda Marinić: Made in Germany - Was ist deutsch in Deutschland?
Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 2016
176 Seiten, 16,00 Euro, auch als E-Book

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