Israelische und arabische Künstler untersuchen Ostdeutschland

Von Natascha Freundel · 10.08.2005
31 Künstler aus Israel und Palästina unternahmen auf Einladung des Goethe-Instituts eine Reise durch Ostdeutschland. Im Zentrum der Reise stand die Frage nach den Möglichkeiten der Kunst, auf gesellschaftliche Konflikte zu reagieren. Antworten darauf sind nun in Dresden in der Ausstellung "Das Vermögen der Kunst" zu sehen.
"It’s a peep show. Some kind of peep show.

Es ist nicht so zu verstehen, dass wenn man ein Kunstwerk hat, sich die Verhältnisse sofort ändern, aber vielleicht verändert sich Bewusstsein durch Kunst.

I see the seminar, this tour, it’s a piece of art, by itself, ja.

Und du sitzt im Grünen und die Mücke knabbert am Ohr und du hast die Natur um dich und du sitzt im Spreewald und Gernot Böhme spricht über den Naturbegriff, das ist so’n Moment, den hat man wahrscheinlich nicht so oft im Leben.

First of all I feel like I am so lucky, really lucky, we feel like we did something very good probably because we got this present, you know, it is a present, it’s amazing. "

Für die israelische Künstlerin Judith Guetta war die Reise eine Peep-Show, für den deutschen Mitorganisator Wolfgang Höhne eine Erkundung in Sachen "Vermögen der Kunst" und ein Naturerlebnis, für die Kuratorin aus Tel Aviv, Yael Katz ben Shalom, sogar ein Kunstwerk selbst, und für die israelische Filmemacherin Anat Even einfach ein beglückendes Geschenk.

Dass jüdische und arabische Künstler aus Israel gemeinsam auf Tour gehen, ist nicht eben selbstverständlich. Dass auch ein Palästinenser aus der West Bank dabei ist, der in Israel nicht mehr einreisen darf, auch das ist ungewöhnlich. Ebenso, dass die Reise in abgelegene, oft ungemütliche Regionen des deutschen Ostens führt, aussterbende Dörfer und Umweltsünden ins Visier nimmt.

Dabei begann alles so beschaulich. Auf dem Motorschiff Lilienstein schaukelte die Künstlergruppe sächsisch gemächlich die Elbe entlang. Die Kulisse der Altstadt von Dresden im Rücken, ging es vorbei an winkenden Kindern, grasenden Pferden, springenden Hunden. So hatte der Weimarer Künstler Wolfram Höhne die Reise geplant:

" Wenn wir heute von der Schiffsreise zurückkommen, werden wir nach einem kurzen Aufenthalt im Stadtzentrum von Dresden die Volkswagen AG besuchen. Volkswagen, ein großer Autokonzern, hat hier im Stadtzentrum eine Fabrik gebaut, an den Rand eines Stadtparks, der sehr beliebt ist bei den Dresdnern, es war ein sehr umstrittenes Projekt. Und die Kunden werden eingeladen, die Kulturstadt Dresden zu sehen und dann ein Auto zu kaufen. "

"Kooperative Kunstpraxis" lautet die Losung, unter der Höhne gemeinsam mit seinen ehemaligen Weimarer Studienkollegen Jens Herrmann und Andreas Paeslack Auswege sucht aus der, wie er es nennt, "Parallelwelt" der Kunst. Dass die Kooperative mit ihren Aktionen nicht nur lokal die Grenzen des Kunstbetriebs überschreitet, sondern auch transnationale Grenzgänge übt, ist kein Zufall. Weltweit kümmert sich die Kunst zunehmend um Politik. So auch und ganz besonders in Israel. Die Kuratorin und Künstlerin Yael Katz Ben Shalom:

" I think to live in Israel, in such a problematical situation, you can not just sit in your studio and make your art and believe what you do is very important. It’s an onanism for me. I think today we should do something to change the situation. That’s why the only sense of making art today in my point of view is to deal with political and social problems. "

Lange schon wünscht sich die Künstlerin ein deutsch-israelisch-palästinensisches Netzwerk, das die Grenzen offizieller Erinnerungskultur überschreitet und irgendwie aus der Heimatlosigkeit in der globalisierten Kunstszene heraushilft. Vor zwei Jahren hat Yael Katz Ben Shalom daher den ersten Teil des Reise- und Ausstellungsprojekts unter dem Beuys-Titel "Show your wound", "Zeig deine Wunde", initiiert.

Damals konzentrierte sich die Reise in beinah identischer Besetzung auf Lebensgemeinschaften in Israel, man fuhr zu Beduinen in die Wüste und zu Bauern in den Kibbutz. In Dresden ging es nun vom Motorschiff zur VW-Manufaktur, wo die Luxuslimousine "VW-Phaeton" auf Bestellung einzelner, hoch vermögender Kunden hergestellt wird.

" Hier das ist die Oberschenkel-Ablage, Rücken, Nacken, das ist also ein 18 Wege-Sitz, bedeutet neun Richtungen vor und zurück. Der hat 'ne Lenden-Wirbelmassage-Funktion. Der ist beheizbar, der Sitz, der ist aber auch abkühlbar. Also man kann im Sommer so’n leichten Luftfilm drüber laufen lassen, der verhindert, dass das Leder sich aufheizt."

"Erleben Sie eine neue automobile Kultur", kündet ein Flyer des futuristischen Hauses, in dem es ein "Atelier", eine "Galerie", eine "Bühne" und eine "Infotainment-Wand" gibt. Die Reisegruppe erlebt in erster Linie ein Museum. Leise summen nur mobile Reinigungskräfte über das Parkett aus kanadischem Bergahorn, reglos glänzen die Karosserien. Auftritt des Medien- und Kunstphilosophen Boris Groys. Oben im Konferenzraum erklärt er seine Vorstellung vom "Vermögen der Kunst" in einer total durchästhetisierten Welt:

" Zunächst mal frage ich mich, was der Künstler macht, wenn er einfach Kunst tut. Ich merke, dass er nicht mehr produziert, sondern eher Entscheidungen trifft darüber, was er verwendet, in dem Feld, in dem er agiert und aus der Masse der Gegenstände, die er zur Verfügung hat, und das ist im Grunde eine politische Entscheidung. "

Die Künstler aus Israel-Palästina und Deutschland sind nicht zufrieden. Die Idee der Kreation, des Schaffens wollen sie keineswegs über Bord werfen. Andererseits weist Groys auf eine interessante Parallele zwischen Kunst und Politik hin:

" Ein Künstler und ein Politiker kann nicht widerlegt werden, aber er kann scheitern. Der Wissenschaftler kann nicht scheitern, aber er kann widerlegt werden. "

In Heuersdorf kann man dem Scheitern der Politik zusehen. Das 700 Jahre alte Dorf ist in seiner Existenz gefährdet, weil unter ihm Braunkohlevorkommen schlummern, die amerikanische Investoren, gestützt von der deutschen Politik, ans Tageslicht fördern wollen. Etwa 150 Heuersdorfer haben bereits das Handtuch geworfen und ihr Haus an die Braunkohlefirma verkauft. Inge Keller will bleiben:

" Meine Seele ist hier in dem Haus, wo wir gelebt und gearbeitet haben. Da hänge ich dran, das ist mein Leben. "

Das Dorf liegt still, eine Stimmung beinah wie auf den Fotografien des Israelis Roi Kuper:

" Was mir an dieser Reise gefällt: Es geht um Probleme, die nicht so groß sind. Die meisten Teilnehmer wussten gar nichts von diesem Ort. Es ist also ein kleines Problem. Und ich mag kleine Probleme, kleine Details. Auch in meiner Arbeit: Ich suche immer das kleine, Unwichtige, und mache es groß und wichtig, auf visuelle Art."

Im Bus gibt Eyal Ben Dov Hebräischunterricht und eine Einführung in Kapitalismustheorie:

"Ist das Herz eines reichen Mannes verschlossen, so steht ihm das Herz des Himmels weit offen."

Und weiter geht die Reise: zur Bauhaus-Schule in Dessau, wo der Hamburger Kunstwissenschaftler Michael Lingner beim Abendessen über die "Ästhetik des Geschmacks" doziert; zum Einsteinturm in Potsdam und zum KaDeWe in Berlin, wo der Philosoph Bazon Brock den Teufel des Kapitalismus mit dem Weihwasser des freien Marktes vertreibt.

Im Spreewald belehrt Naturphilosoph Gernot Böhme über die "Andere Seite der Vernunft", im Atomschutzbunker unter dem Kurfürstendamm spricht die Berliner Schriftstellerin Daniela Dahn über die revolutionären Erfahrungen aus dem Osten; in den ehemaligen Cargolifter-Hallen in Berlin-Brand, die jetzt in das chlorgesättigte, zweifelhafte Badeparadies "Tropical Islands" verwandelt wurden, klärt der Jenaer Wissenschaftshistoriker Olaf Breitbach über die Illusion des technischen Fortschritts auf.

Überforderung ist Teil des Projekts. In den Augen der israelischen und palästinensischen Gäste muss Deutschland sich in ein merkwürdiges, irgendwie unheimliches Gelände verwandeln, wo auf der einen Seite der Reichtum regiert und auf der anderen Seite romantische grüne Flecken stark bedroht sind. Wie in Ronneburg bei Weimar. Der Wirtschaftstheoretiker Günther Moewes:

" Das ist der Uranabbau im Raum Wismar-Aue. Bei diesem Uranabbau, da gab es 1.300 Todesopfer bei Unglücken, 15.000 Silikosekranke, 3.000 Lungenkrebsfälle, 3.467 Amputationen. Ganze Dörfer wurden damals von der sowjetischen Armee in Zwangsunterkünfte zwangsevakuiert. Und dadurch wurde dann die DDR zum drittgrößten Uranproduzenten der Welt."

Die Reise hat die Frage nicht beantwortet, was das "Vermögen der Kunst" heute sei. Das war auch nicht ihr Ziel. Vielleicht geht das eine oder andere Deutschlandbild in die künstlerische Arbeit der 30 Teilnehmer ein, so wie die Erfahrungen der Israelreise vor zwei Jahren sich in den Werken widerspiegeln, die ab heute im Kunsthaus Dresden zu sehen sind.

Die Ausstellung kann auch als Antwort auf die große "Hebräer"-Schau in Berlin betrachtet werden: anders als dort geht es hier nicht um eine große Darstellung der Geschichte Israels, sondern vielmehr um Alltagsmomente, eigensinnig, eindringlich und behutsam festgehalten als Zeichnungen, Fotos, Videos, Malereien. Die auf der Reise wenig angesprochenen Themen – Holocaust und israelisch-palästinensischer Krieg – hier sind sie augenfällig.

Die zehntägige Fahrt dagegen, sie war ein gewagter Versuch der Neuorientierung durch Desorientierung, eine Expedition auf Abwegen und Umwegen, eine Horizonterweiterung nicht nur für die Palästinenserin Salwa Alenat, die zum ersten Mal in Europa sein konnte:

" Ich möchte nicht nur den israelisch-palästinensischen Kampf sehen und sonst nichts. Ich möchte nicht von diesem Konflikt kontrolliert werden, meine Gedanken, meine Gefühle. Ich möchte raus gehen, die Welt sehen, andere Menschen und andere Konflikte."

Service:
Die Ausstellung "Das Vermögen der Kunst" ist bis zum 18. September im Kunsthaus Dresden zu sehen.