Irans Atomprogramm

Ist ein schlechtes Atomabkommen besser als keines?

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der iranische Außenminister Javad Sarif stehen am 2. April 2015 vor Nationalflaggen in Lausanne.
Erleichterung nach der Einigung im Atomstreit bei Bundesaußenminister Steinmeier, der EU-Außenbeauftragten Mogherini und dem iranischen Außenminister Sarif © afp / Brendan Smialowski / Pool
Von Matthias Küntzel · 04.06.2015
Lieber ein schlechtes Abkommen als gar keins – dies scheint die Devise in den Atomverhandlungen mit dem Iran zu sein, meint der Politologe Matthias Küntzel: Dabei haben sich seit dem "Durchbruch von Lausanne" unerfreuliche Veränderungen ergeben.
Es mag Sie verwundern, dass ich über die Atomverhandlungen mit Iran rede – scheinen diese doch seit dem "Durchbruch von Lausanne" in trockenen Tüchern zu sein. Doch dieser Eindruck täuscht. Gewiss – die Euphorie war groß, nachdem sich im April die fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland mit dem Iran auf die Eckpunkte eines künftigen Atomabkommens geeinigt hatten.
Die kalte Dusche, die darauf folgte, ist weniger bekannt. Ali Khamenei, der Revolutionsführer in Teheran, bezeichnete die Liste der angeblich erzielten Verhandlungserfolge als "größtenteils falsch" und erklärte, dass man sich "auf fast gar nichts geeinigt" habe. Und als Irans Außenminister kürzlich gefragt wurde, was eigentlich noch umstritten sei, da antwortete er: "Alles!"
Dabei endet die Verhandlungsfrist endet in weniger als vier Wochen. Bis zum 30. Juni muss das Abkommen stehen, das die iranische Atombombe verhindern und die Sanktionen gegen Teheran beenden soll.
Deutsche Firmen fiebern diesem Stichtag seit langem entgegen. Ob der iranische Griff zur Bombe wirksam vereitelt wird, ist für viele Unternehmen zweitrangig. Sie wären auch mit einem bad deal einverstanden, solange er nur die Sanktionen beendet und die Ausweitung ihrer Irangeschäfte erlaubt.
Die Verkaufs- und Kooperationsgespräche laufen
Lieber ein schlechtes Abkommen als gar keins – dies scheint auch die Devise der Bundesregierung zu sein. So weigert sich der deutsche Außenminister über rote Linien zu reden. "Welche Kriterien", fragte kürzlich ein Abgeordneter im Bundestag, "welche Kriterien setzt die Bundesregierung an, um zu sagen, dass es ein hinreichender oder guter Deal ist?" Frank Walter Steinmeier verweigerte die Antwort und plädierte dafür, über derartige Kriterien "nicht öffentlich (zu) diskutieren." Dieser Mangel an Transparenz mag unter Wilhelm II. üblich gewesen sein, doch heute und angesichts der Gefahr einer iranischen Bombe ist er verfehlt - und erweckt einen Verdacht. Hat der Verzicht auf nachprüfbare Kriterien vielleicht mit einer Bereitschaft zum bad deal im Interesse deutscher Firmen zu tun?
Diesen Verdacht erhärtete Berlin, als Vizekanzler Sigmar Gabriel im Mai dieses Jahres den iranischen Ölminister empfing, um schon im Vorgriff Verkaufs- und Kooperationsgespräche zu führen. Keine andere westliche Regierung hat das Regime derart hochrangig hofiert, und das zu einer Zeit, als Teheran Fortschritte bei den Atomgesprächen blockierte. Dabei ist die Bedeutung Irans für die deutsche Exportwirtschaft ein Witz: Sie macht derzeit gerade einmal 0,2 Prozent des deutschen Exportbusiness aus und soll nach Wegfall der Sanktionen auf 0,4 Prozent steigen.
Und wo bleibt der Bundestag, der das Regierungshandeln kontrollieren sollte? Wo bleiben die nötigen Debatten, Anträge oder Anhörungen? Beim Thema Iran taucht das Parlament ab.
Woanders läuft es besser. So haben Frankreich und die USA rote Linien für den Atomdeal formuliert. So stellt ein von Barack Obama unterzeichnetes Gesetz sicher, dass ein Iranabkommen zunächst dem Kongress zur Überprüfung und Abstimmung vorgelegt werden muss. Dort scheint man begriffen zu haben, dass es nicht um kleinliche Firmeninteressen gehen kann, wenn sich das Zerstörungspotenzial der Atombombe mit dem Furor des schiitischen Fanatismus zu vereinen droht.
Am 30. Juni enden die Verhandlungen und ich bin verwundert, dass kaum jemand davon spricht. Es ist höchste Zeit, dass die Medien, die Öffentlichkeit und der Bundestag aufwachen und sich darauf besinnen, worum es bei dieser Vereinbarung geht: nicht um die Logik des schnellen Geschäfts, sondern um die Sicherheit unserer Welt.

Matthias Küntzel, geboren 1955, ist Politikwissenschaftler, Pädagoge und Publizist in Hamburg. Sein Buch: "Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft" erschien 2009 im wjs-Verlag, Berlin. Küntzel schreibt zu politischen Themen auf der Internetseite: www.matthiaskuentzel.de

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