Interview mit Michael Hartmann

Die Eliten verspielen das europäische Friedensprojekt

Jean-Claude Juncker (l.) und David Cameron (r.) im Januar 2016 in Brüssel.
Der britische Premierminister David Cameron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncke bei einem EU-Gipfel im Januar in Brüssel © dpa/picture alliance/Olivier Hoslet
Moderation: Anke Schaefer und Christopher Ricke · 28.06.2016
Die Europäische Union muss sich für die Lebensbedingungen der Menschen von heute einsetzen. Das fordert der Elitenforscher Michael Hartmann. Bürgerinnen und Bürger müssten an Entscheidungen beteiligt und die dramatischen Folgen der Austeritätspolitik behoben werden.
Die Briten wollen die EU verlassen. Das hat das Brexit-Votum der zurückliegenden Volksabstimmung ergeben.
Wie konnte es so weit kommen? Warum werden die Vorteile einer Europäischen Union nicht gesehen? Und wer ist schuld an der Ablehnung weiter Teile der Bevölkerung, die nun ihre Wut gen Brüssel richten?
Der Elitenforscher Michael Hartmann sagt dazu: "Wenn man sich die Geschichte der EU ansieht, und gerade die zurückliegenden 10, 20 Jahre, dann würde ich sagen, wenn man die schuld zuweisen müsste, dann eher den Eliten."
Die Bevölkerung messe die EU ja an dem, was sie tagtäglich erlebe – ganz praktisch und konkret. Viele hätten nun mal den Eindruck, dass es nicht mehr schlimmer werden könne. Die Spaltung zwischen den Bevölkerungsteilen sei groß, nicht nur in Großbritannien. Das erzeuge Unmut.

Es geht nicht darum, wie die EU "erklärt" wird, sondern was sie bringt

Hartmann: "Und wenn man sich die letzten 15 Jahre anschaut, so bedeutet das für die meisten in der EU (…), dass sich ihre Situation eher verschlechtert hat. (…) Und da jetzt zu argumentieren, man muss das nur besser erklären, da hält man die Leute glaube ich für dümmer als sie sind.
Die messen einfach ihr Urteil über die EU daran, was die EU für sie macht oder was sie für sie bringt und nicht, wie sie erklärt wird.
Und es gibt zwei wesentliche Punkte, wo ich meine: Die Eliten sind auf jeden Fall verantwortlich. Eine: Sie versuchen nicht wirklich, die Bevölkerung in Entscheidungen einzubinden, (…), wenn Sie sich CETA und TTIP angucken, wie die EU-Kommission oder alle entscheiden Gremien der EU agieren.
Michael Hartmann
Elitenforscher Michael Hartmann© privat
Am liebsten hätten sie die Bevölkerung vollkommen rausgehalten und einfach vollendete Tatsachen geschaffen. Das schafft Misstrauen.
Und das zweite ist die Austeriätspolitik, die nun seit etlichen Jahren betrieben wird – also die schwäbische Hausfrau – vor allem von der deutschen Regierung vorangetrieben, aber eben auch mit Unterstützung anderer Regierungen, die für zumindest große Teile der südeuropäischen Bevölkerung eine drastische Verschlechterung ihrer Lebenssituation beinhalten. (…) Die gucken einfach: Wie geht's uns? Wie hat sich das entwickelt? Und das bestimmt ihr Urteil über die EU."
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