Interkulturelles Seniorenzentrum

Altwerden mit Multikulti

Bewohnerin eines Altenpflegeheims
Bewohnerin eines Altenpflegeheims © picture alliance / dpa
Von Vera Block · 20.07.2014
Immer mehr Menschen verbringen ihren Lebensabend in Ländern, in denen sie nicht geboren wurden. Wie können Alten- und Pflegeheime angemessen darauf reagieren? – Ein Beispiel.
Der Gemeinschaftsraum im Seniorenzentrum Goldenherz. Blumenbilder an den Wänden, durch die offene Tür zur Teeküche hört man das Klappern des Geschirrs. Die Kaffeezeit ist fast vorbei, aber an vielen Tischen wird noch geplaudert. Hedwig Piontek sitzt zusammen mit drei anderen Heimbewohnern am großen runden Tisch. Sie trägt eine Brille mit dickem Gestell und einen grauen Schal um die Schultern. Vor ihr ein Teller mit nicht aufgegessenem Käsekuchen und eine Tasse mit schwarzem Kaffee.
Alte Dame: "Hat gut geschmeckt – hier schmeckt Essen gut... manchmal schmeckt mir ohne Zucker, manchmal mit Zucker... Einmal so, einmal so..."
Hedwig Piontek ist 93 Jahre alt. Ihre Lebensgeschichte spielte sich zwischen Deutschland und der Ukraine ab.
Alte Dame: "Mein Vater ist hier geboren, in Deutschland. Und dann ist er mit einem Jahr nach Ukraine. Da haben sie Wirtschaft gekauft und gewirtschaftet. Bis mein Vater war 19 Jahre. Gewandert vom Osten nach Westen. (lacht) Sehr interessant! Und viel Ärger dabei und Traurigkeit dabei – alles ist dabei gewesen."
Zwei Jahre schon ist Hedwig Piontek Bewohnerin im Seniorenzentrum Goldenherz.
Alte Dame: "Da kommt mein Chef!" – "Allet klar?" –" Warum nicht? Sonst wäre ich nicht hier?" (Gespräch mit Lachen)
Roger Körner beugt sich vor zu der kleinen Frau, tätschelt ihr die Schulter und lacht mit. Seit rund eineinhalb Jahren leitet er das Seniorenzentrum mitten in der Berliner Multikulti-Hochburg Wedding.
R. Körner: "Wir sind ein Spiegelbild von Berlin, von den Kulturen, die hier ansässig sind. Wir haben mittlerweile fünfzehn Sprachen aus achtzehn Nationen sowohl auf der Bewohnerseite als auf der Beschäftigtenseite. Wir sind hier im muslimischen Kiez. Aber wir haben hier das Jüdische Krankenhaus fünf Minuten von hier in der Iranischen Straße. Wir haben da vorne die Willi-Brandt-Schule, wo überwiegend Türken, Libanesen, Araber zur Schule gehen, wo Schüler her kommen und ihr Schulpraktikum machen. Und wir sind hier keiner Verfeindung ausgesetzt, wir haben keine Schmierereien an dem Haus. Wir sind integriert hier in unserem Kiez."
Das klar zu stellen ist Roger Körner wichtig. Denn das Goldenherz-Zentrum ist eine einmalige Einrichtung in Berlin. 2009 haben Boris und Lara Levin, ein Ehepaar aus Israel, hier, im Gebäude einer ehemaligen Brotfabrik, ein privates Pflegeheim eröffnet.
Die Besitzer – selbst Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion – führen bereits seit Anfang der neunziger Jahre von Tel Aviv aus eine stetig wachsende Kette von Pflegezentren. Ein Eckstein des Konzepts: Pflegeleistungen für Menschen unterschiedlicher Kulturen, die in einer globalisierten Welt zusammen alt werden.
R. Körner: "Wir haben auf der Bewohnerseite einen starken osteuropäischen Einschlag, also Russisch sprechend aus der ehemaligen Sowjetunion, Ukraine, Lettland, wir haben einen großen polnischen Anteil. Wir haben natürlich Deutsche, Türken, aus dem Mittelmeerraum, wir hatten schon Griechen, wir hatten Brasilianerinnen jüdischen Glaubens, die ausgewandert sind und auch zurückgekommen sind. Den einen oder anderen eingestreuten Europäer. Ob das nun ein Italiener ist, ob das nun ein Spanier ist. All die, die in Berlin irgendwann mal gestrandet sind."
Atmo: „Schön Sport gemacht?" – "Sie war so fleißig!" -
Die Qualitätsmanagerin des Pflegezentrums Martina Hansen führt im zügigen Tempo durch das Haus Goldenherz. In einem Haus zu arbeiten, in dem Menschen vieler Kulturen und Religionen Tür an Tür leben, gibt Martina Hansen zu, stellt sie vor besondere Aufgaben. Zum Beispiel im Umgang mit religiösen Riten nach dem Tod.
Die Qualitätsmanagerin zeigt den koscheren Kühlschrank in der Küche
Martina Hansen: "Da achten wir auch drauf, dass die Bewohner, wenn sie verstorben sind, dass das Zimmer so hergerichtet wird, wie sie mit ihrem Glauben in Ruhe dahin gehen möchten, wo sie hin wollen."
"Jetzt gehen wir zur Küche, dann kann ich Ihnen den koscheren Kühlschrank zeigen. Hallo! Hallo! Das ist unser lieber Koch!"
In der Küche – neben den üblichen Edelstahlutensilien – zwei Klappen in der Wand. An einer ist ein dunkelbrauner Streifen aufgeklebt, an der anderen ein helltürkiser. Die Streifen markieren, wie das dreckige Geschirr zum Abwasch eingeräumt werden soll. Denn nach der jüdischen Tradition sollen fleischige und milchige Speisen und auch das komplette Zubehör stets voneinander getrennt bleiben. Der polnische Koch Slavek Gibeck ist gerade mit Saubermachen fertig.
"Ich koche jetzt nicht nur jüdisch, multikulti, fast alles. Wir müssen international kochen. Der Renner ist Schweinschmorbraten, Rinderschmorbraten.
Das koschere Essen wird im Haus Goldenherz nur nach Bedarf bestellt. Die Nachfrage ist nicht sonderlich groß. Was aber bei täglichen Menüs Pflicht ist, sind Speisen ohne Schweinefleisch für jüdische und muslimische Bewohner. Auch in Sachen Religionsausübung musste sich das Haus Goldenherz den Gegebenheiten des Standortes anpassen.
R. Körner: "Wir haben keine gesonderten Gebetsräume, wir haben Aufenthaltsräume, wo Gottesdienste stattfinden. Die Evangelischen, die Katholiken, der Rabbi kommt, bei den Muslimen haben wir Koranstunden, dass man sagt, dass man zusammen im Koran liest."
Eine idyllische Senioren-Internationale ist das Pflegezentrum Goldenherz aber auch nicht.
R. Körner: "Da werden auch angeregte Diskussionen zwischen den jüdischen Bewohnern und den muslimischen Beschäftigten auch geführt. Aber jetzt nicht so, dass es verletzend oder abgrenzend ist oder angreifend. Sondern leicht humoristisch: Ihr Juden oder ihr Muslime habt - weiß ich jetzt nicht, irgendwas gemacht - zum Beispiel koscher. Wir hatten Diskussion mit einem Herren: was ist jetzt koscher? Für ihn war koscher - alles was sauber ist – kann er essen... oder wenn man Handtuch drüber legt und Gott das nicht sieht, dann kann man das auch essen von der Definition her nach dem Motto: na, ist heute wieder koscher, das Essen? So dass man sich über bestimmte Sachen auch lustig machen kann."
Auch politische Diskussionen bleiben auf den Fluren nicht aus. Aber im Haus Goldenherz hat man schnell gelernt, die Balance zu wahren.
R. Körner: "Weil unsere Chefs in Israel, in Tel Aviv wohnen. Unsere Pflegedienstleitung, die hat Familie in Peschawar... da hat man einen anderen Bezug zu. Es ist aber auch nicht so, dass die Leute sich an der Stelle befinden oder sagen 'ihr Israelis' oder 'ihr Muslime' – ist gar nicht. Dazu ist der Alltag in so einer Einrichtung anders geprägt."
Am späten Nachmittag ist im Gemeinschaftsraum des Pflegezentrums Goldenherz nach wie vor Betrieb. Ein alter Herr holt von der Pflegerin seine obligatorische Nachmittagszigarette ab, eine Dame mit frisch aufgetragener Haarfarbe unter der Plastikhaube grübelt über einem Zeitschriftenrätsel. Vom großen runden Tisch in der hinteren Reihe aus überblickt Hedwig Piontek den Trubel. Ihren Stammplatz liebt sie:
Alte Dame: "Das haben wir uns hier ausgesucht und bleiben wir dabei! Sonst wären wir heute nicht hier, wenn‘s uns nicht gefallen hätt‘!"