Interieur von Supermärkten und Bars

Aufstieg und Fall der Europalette

Robin Schellenberg, einer der Macher der Bar Klunkerkranich, posiert am 28.6.2013 auf dem Dach der Neukölln-Arkaden in Berlin.
Robin Schellenberg ist einer der Macher der Bar Klunkerkranich auf dem Dach der Neukölln-Arkaden in Berlin - und bekennender Fan der Europalette. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Marietta Schwarz · 14.06.2016
Aldi Süd macht demnächst auf Stil: Die Europalette passt da dann nicht mehr rein. Dabei wird aber gerade dieses Holzgestell ganz bewusst eingesetzt, um in Kneipen und Bars ein cooles Ambiente zu erzeugen. Hat der Discounter da etwas nicht mitbekommen?
Viele Jahre hat die Europalette ein recht trübseliges Dasein gefristet: im tageslichtlosen Lagerraum. Im Lkw auf europäischen Autobahnen. In den Häfen der Welt. Oder auch mal in der Studentenbude als Bettgestell. Die Europalette kam rum, trug die Spuren unzähliger Reisen, bis sie irgendwann brach. Genau das macht auch einen Teil ihrer neueren Erfolgsgeschichte jenseits des Transportwesens aus, glaubt Sven Ehmann, Kreativdirektor in Berlin:
"Dass man sich auch immer überlegt: Wo war die wohl schon? Wie der Koffer mit den Aufklebern oder die Schramme am Fahrrad. Und das macht die Europalette dann auch ganz sympathisch."

Das Holzgestell erzeugt Sympathie

Sympathie für dieses einfache Holzgestell - elf Bretter, neun Klötze - hatte übrigens auch schon der Architekt Ernst Neufert. Der Mann, der fasziniert von der Normierung im Bauwesen war, entwarf in den 50er-Jahren das Quelle-Versandhaus in Nürnberg, auf Basis des – genau - Palettenmaßes!
"Diese Palette ist das Maß aller Dinge, insofern sie sozusagen die Disposition der Aufstellung der Waren in diesem Lager bestimmt hat."
... der Architekturhistoriker Gernot Weckherlin:
"Diese Paletten-Anlieferung wurde bei der Quelle dann ergänzt durch die Standardisierung der Verpackungen. Damit eben diese Prozesse schneller ablaufen konnten."
Deutsches Wirtschaftswunder dank Palettenmaß. Nun gut, überlebt hat der Quelle-Versand nicht. Und wo sich im Versandhaus früher die Paletten aneinanderreihten, sieht man in den Lagerflächen heute nur noch Reste von Markierungen am Boden: 1,20 Meter mal 80 Zentimeter. Dafür basteln sich die Zwischennutzer im Gebäudeabschnitt nebenan Selbstbaumöbel aus Paletten. Klar: Sie sind stabil, langlebig und billig.

Upcycling-Chic ist Pflicht

Und für die Freiluftbars in den Großstädten weltweit ist der Upcycling-Chic inzwischen zum Pflichtprogramm geworden. Die Palette macht's möglich.
"Europaletten bieten sich natürlich total gut an, um erstmal einfache Holzstrukturen zu schaffen. Also ob es kleine Wege sind, kleine Törchen, macht man ein Scharnier dran, unheimlich praktisches Baumaterial."
.... sagt Robin Schellenberg, Betreiber des Klunkerkranichs auf dem Dach einer Shoppingmall in Berlin-Neukölln:
"Wenn wir eine Ausstellung auf Parkdeck 5 haben, steht da auch eine Palettenbar."
Im Klunkerkranich kann man auf Paletten sitzen. Und schaut auf Vertikalbeete - aus Europaletten.
"Und die Idee ist quasi, die aufeinanderzustecken und mit UV-festen Säcken auszustatten und dementsprechend bepflanzen. Das Wetter macht dann noch sein eigenes Ding draus. Sieht ratzfatz dunkel-grau-braun aus, und dann hast du den natürlichen Used-Look!"

Palettenmöbel für teures Geld

Doch lassen wir uns von der Optik nicht täuschen! Die Europalette labelt eine Bar als Hipster-Ort, an dem junge Großstädter noch mit ihren eigenen Händen improvisieren. Auch wenn dahinter längst ein mittelständischer 160-Mann-Betrieb steckt, wie beim Klunkerkranich. Und inzwischen werden im Internet fertige Palettenmöbel für mehrere hundert Euro vertrieben.
Aber dass Aldi Süd seine Paletten aus dem Verkaufsraum entsorgt, hinterlässt Robin vom Klunkerkranich ratlos:
"Das ist doch wichtiger Bestandteil von Aldi Süd. Ich dachte immer, das ist das Kern-Ding!"

Kommt jetzt der OSB-Trend?

Nun gut: Nicht alles, was shabby ist, ist auch chic! Aber vielleicht überspringt Aldi ja auch einfach einen Trend und setzt gleich auf den neuen?!
"Was jetzt neu im Kommen ist, sind diese OSB-Bars …"
OSB-Platten heißen im Fachjargon auch Grobspanplatten.
"Wir nennen das hier Biber-Kotze."
Ein ziemlich hässliches Baumaterial mit Holzsplitteroptik. Das wär doch was!
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