Insel und Festland

    Von Wolf Sören Treusch · 23.03.2007
    Als 1957 die EWG gegründet wurde, war Großbritannien nicht beteiligt - obwohl Winston Churchill ein Jahrzehnt zuvor sogar die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa gefordert hatte. Der Grund: Großbritannien sah sich eher als Aufsicht führende Großmacht, die darüber wachte, dass sich die Kontinentaleuropäer endlich vertrugen. Als die Briten später doch noch an Europas Tür klopften, ließ man sie warten.
    Auf den ersten Blick ist es ein merkwürdiger Widerspruch. Als am 25. März 1957 sechs Staaten die Römischen Verträge unterzeichnen, ist Großbritannien nicht dabei. Obwohl Winston Churchill schon 1946 in einer Rede an der Uni Zürich die Vereinigten Staaten von Europa gefordert hatte:

    "Great Britain, the British Commonwealth of Nations, mighty America must be the friends and sponsors of the new Europe."

    Europa sollte sich unter der Schirmherrschaft der USA und Großbritanniens vereinen. Kontinentaleuropa. Das war die Botschaft. Die Briten sahen sich als Aufsicht führende Großmacht, die darüber wachte, dass sich die Kontinentaleuropäer endlich vertrugen. Insofern war es kein Wunder, dass Großbritannien 1957 nicht dabei war – zumal Frankreich kein Interesse daran hatte.

    Doch die Frage, ob Großbritannien Teil einer europäischen Einigung sein sollte, war damit noch nicht beantwortet. In der Welt des Kalten Krieges konnte das Vereinigte Königreich seine Rolle als Großmacht nicht mehr ausfüllen – und klopfte im August 1961 an die europäische Tür. Erst im Januar 1963 kam von Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle die Antwort:

    "Großbritannien ist ein insulares, ein maritimes Land. Die Natur, die Struktur und die Konjunktur, die Großbritannien eigen sind, unterscheiden sich zutiefst von denen der Länder auf dem Kontinent."

    Vier Jahre später, 1967, versuchten es die Briten ein zweites Mal. Ihre Wirtschaft steckte in der Krise, während die EWG boomte. Dieses Mal dauerte es nur fünf Tage, bis de Gaulles 'Nein' kam. Seine Hauptkritik: Der Beitritt der Briten würde den Agrarmarkt gefährden.

    Ausschnitt Korrespondenten-Bericht: "Bis das große und großartig begabte englische Volk, so sagte de Gaulle zum Abschluss seiner Presseerklärung wörtlich, die tief greifende wirtschaftliche und politische Umwandlung vollzogen hat, die es ihm gestatten wird, der EWG beizutreten, muss gewartet werden."

    1969 trat de Gaulle zurück. Die EWG brauchte neue Impulse, nationale Interessen dominierten die Gemeinschaft. Bundeskanzler Willy Brandt sagte:

    "Die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft muss kommen. Sie, die Gemeinschaft, braucht Großbritannien ebenso wie die anderen beitrittswilligen Länder. Im Zusammenklang der europäischen Stimmen darf die britische keineswegs fehlen, wenn Europa sich nicht selbst schaden will."

    Auf dem EWG-Gipfel in Den Haag Anfang Dezember 1969, wenige Monate nach de Gaulles Rücktritt, wurden die Briten ermuntert, es noch einmal zu versuchen. Aber selbst die kleine Sechs-Staaten-Gemeinschaft war ein kompliziertes Gebilde. Die Verhandlungen zogen sich hin. Es ging um Ausfuhrquoten für die karibischen Zuckerproduzenten und die neuseeländische Milchwirtschaft.

    Im Morgengrauen des 23. Juni 1971 knallten schließlich die Champagnerkorken: Alle Hürden zur Aufnahme Großbritanniens, Dänemarks und Irlands waren beseitigt. Am 1. Januar 1973 wurden sie Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft.

    Was eine Liebesheirat hätte sein können, bedauerte ein britischer Diplomat, war nur eine Vernunftehe. So blieb das Verhältnis der Briten zur EG distanziert. Für die Iren allerdings erwies sich der EG-Beitritt als Glücksfall. Sie erlebten einen ungeahnten Aufschwung und konnten sich aus dem Schatten der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien befreien. Die Erfahrung, dass Europa zurückgebliebenen Ländern zu einem Modernisierungsschub verhelfen kann, haben später auch andere Länder gemacht. Das macht bis heute die Anziehungskraft der Gemeinschaft aus.