Informationsökonomie

Die Gewinner der Digitalisierung

Von Vera Linß · 17.02.2014
Der Informatiker Jaron Lanier hat das Internet mit aufgebaut. Ihm wird die Erfindung des Begriffs "virtuelle Realität" zugeschrieben. Unser Umgang mit dem Netz muss sich komplett ändern, propagiert Lanier in seiner Streitschrift.
Warum nicht mal eine Selbstverständlichkeit völlig auf den Kopf stellen und sehen, was passiert? Diese provokante Idee verfolgt Jaron Lanier in seinem aktuellen Sachbuch, das er eingangs "Science Fiction" nennt oder – um es dann tiefer zu hängen – eine "spekulative Streitschrift". Seine Vorwarnung ist nicht übertrieben. Denn der amerikanische Informatiker entwirft eine "futuristische Wirtschaftsform", die Schluss macht mit der Kostenloskultur des Internets. Kern der Lanierschen Revolution ist, dass man als normaler Nutzer künftig für jede Information entlohnt wird, die man ins Netz hinein gibt – sei es als Artikel bei Wikipedia, als Blogeintrag oder als simple Suchanfrage. Auf diese Weise könnten nicht nur Player wie Google, Amazon oder Facebook von den vielen Daten profitieren, die täglich im Umlauf sind, sondern auch die Urheber dieser Daten selbst.
Datenbarone sammeln ungeheueren Reichtum
Für Jaron Lanier wäre dies ein Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit in unserer digitalen "Informationsökonomie". Denn die Gewinner der Digitalisierung sind aus seiner Sicht bislang einzig und allein die Datenbarone, die ungeheuren Reichtum ansammeln. Wie diese unseren Alltag dominieren, stört den Internetpionier seit langem. In "Gadget", seiner Abrechnung mit den "Herren der Computing-Clouds", hatte er schon vor Jahren kritisiert, dass die Benutzeroberflächen im Netz und damit verbundene Ideologien wie "Open Source" und "Schwarmintelligenz" dem Menschen jeden individuellen Ausdruck aberziehen würden. Das Bild, das er in seinem neune Buch malt, ist noch düsterer. Mit Hilfe wachsender Datenmengen – Big Data – und der entsprechenden Rechenprogramme würden einige wenige Unternehmen und Institutionen die Menschen entrechten. Die Gier nach Informationen führe zu einer "Überwachungsökonomie" und gleichzeitig verliere menschliche Arbeit an Wert, weil sie zunehmend an der Effektivität und der vermeintlichen Autonomie von Maschinen gemessen werde. Für Lanier ist klar: Wenn es so weitergeht, führt das zum wirtschaftlichen Niedergang.
Behebung des Fehlers im System
Verständlich und durchaus nachvollziehbar legt der Computerwissenschaftler seine absolut beachtenswerte Kritik dar, für die man allerdings viel Geduld mitbringen muss. Streckenweise liest sich seine Beweisführung wie ein trockenes Wirtschaftsfachbuch – mit längeren Theorieabhandlungen, Ausflügen in die Geschichte des "Silicon Valley" und einigen Grafiken. Viele (berechtige) Argumente sind zudem bekannt – etwa aus der ebenso fundamentalen Kritik von Ewgeni Morozow. Spannend ist jedoch, wie Lanier den Fehler im System beheben will. Ein Micropayment-System soll dafür sorgen, dass alle Menschen den Rohstoff Information nicht mehr leichtfertig aus der Hand geben, nur um kostenlose Online-Dienste nutzen zu dürfen. Diese Idee hat er sich von dem Philosophen Ted Nelson ausgeliehen, der in den 1960er Jahren mit dem Projekt Xanadu in eine ähnliche Richtung gedacht hatte. Wie genau die Umsetzung geschehen soll, erklärt Lanier zwar nur wage, aber sein Buch macht neugierig auf mehr. In seinem Labor, so schreibt Lanier, lässt er längst an Praxis-Modellen forschen.

Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.
Aus dem Amerikanischen von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer
Hoffmann und Campe, Hamburg 2014
480 Seiten, 24,99 Euro