Inferno aus Asche und Schlamm

Von Jochen R. Klicker · 09.06.2006
Rund 900 Vulkane bilden den so genannten pazifischen Feuerring. Jedoch sind längst nicht alle von ihnen aktiv. Zu den erloschenen Vulkanen rechnete man auch den Pinatubo auf der Philippineninsel Luzon, bis er sich nach 600 Jahren der Ruhe 1991 zurückmeldete und eine Katastrophe auslöste.
Kaum jemand war besonders besorgt, als im Laufe des 9. und 10. Juni 1991 eine Meldung um die Welt lief, die sich in der Rundschau am Mittag von RIAS Berlin so anhörte:

"Die Berge rauchen und speien Feuer in Japan und auf den Philippinen. Gibt es da einen Zusammenhang? Drohen stärkere Ausbrüche? Rüsten sich die Vulkane im so genannten Ring des Feuers, der den Pazifik einschließt, zur Offensive? Die Wissenschaftler sind etwas entnervt, aber leugnen das. Jedoch in den frühen Morgenstunden mussten die Amerikaner ihren Luftwaffen-Stützpunkt Clark Air Base auf den Philippinen räumen, weil der über 600 Jahre schlafende Pinatubo Asche und Feuer spuckt."

Doch blieb man sonst vor Ort gelassen. Denn erstens hatten die Menschen der philippinischen Inselwelt mit ihren vielen tätigen und schlafenden Vulkanen seit langem zu leben gelernt. Zweitens waren Regierung und Verwaltung der Hauptinsel Luzon durch das katastrophale Erdbeben vom Juli 1990 - mit mehr als 2000 Opfern - nachdrücklich vorgewarnt und darauf vorbereitet worden, dass demnächst noch einmal etwas Ähnliches passieren werde. Und drittens hatten nationale und internationale Vulkanologen seit April 1991 den Pinatubo ständig beobachtet und kontrolliert, der sich nach dem Jahr 1380 erstmals wieder mit ein paar weißen Dampfwölkchen und kleinen Explosionen sowie leichtem Rumpeln samt folgenden Ascheneruptionen ganz unspektakulär in den Kreis der tätigen, der aktiven Vulkane zurückgemeldet hatte. Mit Errichten einer zunächst 10, später 15 Kilometer tiefen Sperrzone sowie der geordneten Evakuierung von 17.000 Menschen - darunter viele Familienangehörige des US-Basis - schien das Nötige getan zu sein. Doch dann kam alles ganz anders.

Bis zum 14. Juni entwickelt sich ein Inferno aus Asche und Schlamm. Häuser und Brücken brechen unter der Last zusammen. Mehrere hundert Grad heiße Glutwolken entstehen in der gesperrten Zone um den Krater und breiten sich rasch aus. Doch kommt das Schlimmste erst noch, als am Vormittag des 15. Juni der Mount Pinatubo mit einer beispiellosen Gewalt explodiert. Der Gipfel des Vulkankegels wird weggesprengt und stürzt ein, wodurch ein heißer See von zwei Kilometern Durchmesser entsteht. Jetzt schießt eine ständige Eruptionssäule hoch in die Stratosphäre und verdunkelt den Himmel. Blitze zerreißen die Finsternis des Tages. Donner rollen. Die Erdbeben wollen kein Ende nehmen. Asche fällt noch im 2500 Kilometer entfernten Singapur. Zu allem Unglück fegt auch noch ein Taifun über den Norden der Insel Luzon hinweg. Die schweren Regenfälle setzen verheerende Schlammlawinen in Bewegung, die ganz Dörfer unter sich begraben. 250.000 Menschen flüchten in Richtung Manila. Nahezu 900 können sich nicht mehr retten.

Trotzdem gilt der Fall Pinatubo für die moderne vulkanologische Forschung als Vorzeige-Beispiel. Denn der rechtzeitige gezielte Einsatz eines so genannten Vulkanobservatoriums mit seinem hohen personellen und technischen Aufwand hatte tatsächlich Schlimmeres verhüten können. Und sogar einen politischen Gewinn hatte diese Jahrhunderteruption den Philippinos eingebracht: Die zähen Verhandlungen zwischen Washington und Manila über die Auflösung des Luftwaffen-Stützpunktes Clarc Air Base, der sich in der Nähe des Infernos befand und erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden war, konnten angesichts des ruinösen Zustandes nun auch zügig abgeschlossen werden, wie es schien.

"Als dann die Sonne aufging, hatte Präsidentin Aquino zusätzliche Sorgen. Eine britische Tageszeitung hatte berichtet, die auf den Philippinen stationierten Amerikaner hätten sie davor gewarnt, dass auf dem geleerten Stützpunkt radioaktives Material zurückgeblieben sei. Die Regierungschefin und ihr Außenminister Manglapus dementierten. Angesichts der amerikanischen Haltung, die Stationierung von atomaren Waffen weder zu leugnen noch zu bestätigen, ist jedoch die Unruhe in der Bevölkerung beträchtlich. Während noch über dem Pinatubo Blitze durch den rötlichen Lavadampf zuckten, wurde eine erste Bilanz der Schäden gezogen."

80.000 Hektar Reisanbaufläche waren für Generationen wertlos geworden, 40.000 Häuser zerstört, fast 1 Million Menschen obdachlos, 900 Tote, ein paar hundert Verletzte. So recht erholt hat sich die Gegend um die Stadt Angeles und ihren Vulkan bis heute noch nicht wieder. Nur der Tourismus profitiert: Angeboten werden Tagestouren in eine durch den Ausbruch gespenstisch und grotesk umgeformte Landschaft und Natur - samt abschließendem Einkaufstrip in die zahlreichen neu angesiedelten Duty Free Shops.