In Reih und Glied in den Tod

Von Tillmann Bendikowski · 01.07.2006
Die Schlacht an der Somme war eine der blutigsten der Militärgeschichte. Im Ersten Weltkrieg wollten britische und französische Truppen den lang ersehnten Durchbruch durch die deutschen Linien erzwingen. Nach fünfmonatigen Kämpfen hatten sie allerdings nur geringe Geländegewinne erreicht. Der Preis dafür: eine Million getötete oder verwundete Soldaten auf beiden Seiten.
"Der kleine Godefrey - hast Du ihn gekannt? Der halbe Körper weggeflogen. Er verblutete auf der Stelle, in einem Augenblick - wie ein umgekippter Eimer."

So beschrieb der französische Schriftsteller Henri Barbusse in seinem Antikriegsroman "Das Feuer" das große Sterben an der Somme, jenem eigentlich so friedlichen Flüsschen im Nordosten Frankreichs, an dessen Ufern der Erste Weltkrieg mit besonderer Brutalität tobte. Seit 1914 hielten deutsche Truppen hier weite Teile Frankreichs besetzt. Die britischen und französischen Armeeführungen wollten den seither weitgehend starren Frontverlauf aufbrechen und die Besatzer zurückdrängen. Am 1. Juli 1916 sollte dies schließlich mit einer alliierten Generaloffensive gelingen. Den Anfang machten am frühen Morgen die britischen Infanteristen.

"Um 7.30 Uhr kletterten wir die Leitern hinauf, krochen durch die Lücken im Stacheldraht, legten uns flach auf den Boden und warteten ab, dass die Reihe zu unseren Seiten sich formierte. Wenn sie bereit war, gingen wir vorwärts, aber nicht im Laufschritt, sondern im normalen Schritttempo, denn bis zu dem Schützengraben, der unser erstes Ziel war, hatten wir 800 Meter zerwühltes Gelände zu überwinden."

Die britischen Infanteristen marschierten auf breiter Front und in enger Linienformation auf die gegnerischen Stellungen zu - eine traditionelle Angriffstechnik, die sich nun allerdings als verheerend erwies. Seit 1914 war an der Somme wenig gekämpft worden, und die deutschen Besatzer hatten diese relative Ruhe genutzt, um ihr System der Schützengräben auszubauen und sehr tiefe Unterstände für die Mannschaften auszuheben. Auf diese gut ausgebauten Verteidigungsstellungen marschierten die britischen Soldaten zu. Ein Augenzeuge erinnerte sich an die Folgen:

"Line after line of men were knocked down like tin soldiers swept with a stick."

Wie die Zinnsoldaten, Reihe für Reihe umgestoßen, brachen Welle für Welle vorstürmender Infanteristen im Feuer deutscher Maschinengewehre zusammen. Der Angriff wurde zum Desaster: Fast 20.000 britische Soldaten starben an diesem Tag, über 35.000 wurden verwundet. Der 1. Juli 1916 wurde zum blutigsten Tag in der britischen Militärgeschichte.

Doch Entsetzen über massenhaftes Sterben war in diesem Krieg schon lange kein Argument mehr. Niemand dachte daran, wegen dieser Verluste die Offensive zu stoppen. Allerdings mussten Briten und Franzosen die Hoffnung auf einen schnellen Durchbruch aufgeben. Stattdessen setzten nun Abnutzungskämpfe ein, wozu auch der ständige Artilleriebeschuss deutscher Stellungen zählte. Von einem solchen Trommelfeuer britischer Granaten berichtete der 17-jährige Soldat Karl Brunner:

"Sie verschütteten den Graben bis zur Hälfte, und drei Leute, die in den kleinen Löchern Schutz gesucht hatten, darunter meinen Burschen. Es war schrecklich. Unter uns lagen die drei und wimmerten herzzerreißend, oben krepierte Schuss für Schuss schwere Artillerie, neben uns mit ohrenbetäubendem Krachen. Wir schippten, dass uns der Schweiß runterlief. Schon stieß ich auf meinen Burschen mit dem Spaten, da schlug eine Granate zwei Meter hinter uns ein und verschüttet uns beinah. Alle Arbeit war umsonst gewesen. Es vergingen 15 Minuten angestrengtester Arbeit, doch immer wieder wurde alles zugeworfen. Dann gab ich es auf."

An der Somme tobte eine Materialschlacht. Die Waffenschmieden der beteiligten Länder konnten gar nicht schnell genug liefern, so hoch war der Verbrauch. Konstruktionsmängel und Materialfehler häuften sich, an der Somme versagten in diesem Juli 25 Prozent der britischen Geschütze, und 30 Prozent der Granaten explodierten nicht. Doch die Masse der Waffen sorgte auch so für Schrecken, der auf deutscher Seite noch größer wurde, als die Engländer in dieser Schlacht erstmals Panzer einsetzten. Sie blieben allerdings militärisch vorerst weitgehend ohne Bedeutung. Die Somme war und blieb ein Schreckensszenario. 1917 notierte ein deutscher Soldat:

"Ein furchtbares Grauen hat jeder Soldat, der einmal an der Somme war, davor, ein zweites Mal dorthin zu kommen."

Am 25. November 1916 wurden die Kämpfe eingestellt. Briten und Franzosen hatten den deutschen Invasoren einige Kilometer Gelände abgerungen, aber ein wirklicher Durchbruch war ihnen nicht gelungen. Am Ende wurde Bilanz gezogen, in Menschenleben: Über eine Million britische, französische und deutsche Soldaten waren verwundet oder getötet. So mancher war krepiert wie jener Soldat in der Beschreibung des französischen Schriftstellers Henri Barbusse: zerfetzt und in einem Augenblick verblutet, wie ein umgekippter Eimer.